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Schwieriger Weiterbetrieb

Wenn ab 2020 Tausende Turbinen aus der EEG-Förderung fallen, müssen Betreiber die Windenergie an der Strombörse vermarkten. Die Erlöse dürften kaum ausreichen, um noch eine angemessenen Wartung zu ermöglichen. (Foto: © NATURSTROM AG)
Wenn ab 2020 Tausende Turbinen aus der EEG-Förderung fallen, müssen Betreiber die Windenergie an der Strombörse vermarkten. Die Erlöse dürften kaum ausreichen, um noch eine angemessenen Wartung zu ermöglichen. (Foto: © NATURSTROM AG)

Wenn ab dem Jahr 2020 Tausende Turbinen aus der EEG-Förderung fallen, müssen Betreiber die Windenergie an der Strombörse vermarkten. Die Erlöse dürften für den Weiterbetrieb der Anlagen dann allerdings kaum noch ausreichen, da keine angemessene Wartung und Instandhaltung mehr möglich sein wird.

14.06.2016 – AN Bonus, Micon, Südwind – noch immer prägen viele Windräder aus den Neunzigerjahren die norddeutsche Energielandschaft. Obwohl die Anlagen vor Inkrafttreten des EEG im April 2000 errichtet wurden, gilt auch für sie der Anspruch auf Förderung aus diesem Gesetz. Denn die sogenannte Altanlagenregelung des EEG 2000 stellt alle Windräder, die zu diesem Zeitpunkt bereits ans Netz angeschlossen waren, mit Anlagen gleich, die im Jahr 2000 neu ans Netz gingen. Doch am 31. Dezember 2020 endet für die insgesamt rund 6000 Altanlagen mit einer Gesamtleistung von etwa 5000 Megawatt der gesetzliche Vergütungszeitraum. Die große Frage ist: Rechnet sich ihr Weiterbetrieb über 2020 hinaus? Oder müssen sie aus wirtschaftlichen Gründen abgebaut werden, obwohl technisch ein Weiterbetrieb möglich wäre?

Das Problem ist, dass Betreiber die Windenergie nach Ende der EEG-Vergütung ab 2021 an der Strombörse verkaufen müssten – zu Erlösen, die nach derzeitigem Stand der Debatten um das neue EEG 2016 alles andere als üppig ausfallen dürften. Während sich die Vergütungssätze des EEG 2000 zwischen 6,19 Cent und 9,10 Cent pro Kilowattstunde bewegen, pendelt der Börsenstrompreis aktuell um die 2,5 Cent, Tendenz fallend. Das würde heute gerade einmal reichen, um die Wartungskosten sicher abzudecken, nicht aber die gesamten Betriebskosten einer Turbine inklusive Pacht, Großreparaturen, Vermarktungskosten und Versicherung. Die Servicepreise orientieren sich nicht selten an der Vergütung und belaufen sich nach Brancheninformationen je nach Servicekonzept auf 0,7 bis 1,5 Cent pro Kilowattstunde. Wenn es auch künftig bei einem realistischen Verhältnis von Erlös und Wartungskosten bleiben soll, müssten die Serviceanbieter ihre Preise erheblich senken. Doch wird das ohne Qualitätseinbußen und drastische Einschnitte bei den Firmen möglich sein?

In der Branche herrscht massive Skepsis. „Der Weiterbetrieb lässt sich nicht mit dem Börsenstrompreis abbilden. Bei Wartung und Instandhaltung sind die Einsparmöglichkeiten nicht so groß“, sagt Ian-Paul Grimble, Geschäftsführer des Winddienstleisters psm Nature Power Service & Management aus Erkelenz. Diese Einschätzung lässt sich leicht nachvollziehen: Eine Windturbine wird während ihres Betriebs durch eine Kombination von Wartungen und wiederkehrenden Prüfungen überwacht. Die erforderlichen Prüfintervalle hierfür ergeben sich individuell aus der Genehmigung, der Typenprüfung und der Stellungnahme eines Gutachters zur Anlage. Erfüllen Betreiber die Auflagen nicht und erfolgt die Wartung nicht mindestens nach Pflichtenheft, steht die Betriebssicherheit der Turbine auf dem Spiel und sie darf nicht weiterbetrieben werden. Viel reduzieren lässt sich bei Service und Wartung also nicht.

Doppelte Preise nötig

Auch die Betreiber bezweifeln, dass mit einem Börsenstrompreis von 2,5 Cent Windturbinen weiterbetrieben werden können. „Hierzu benötigen wir mindestens vier oder fünf Cent“, sagt Dieter Fries, Vorsitzender des Betreiberbeirats des Bundesverbands WindEnergie (BWE). Fakt sei aber auch, dass sich selbst mit geringeren Servicekosten bei 2,5 Cent kein Weiterbetrieb erreichen lasse. Die Lösung des Problems sieht Fries vielmehr auf politischer Ebene. „Die Ungleichbehandlung der erneuerbaren Energien im Strommarktsystem muss angegangen werden. Zusätzlich brauchen wir auch ein sinnvolles und attraktives Modell für die Vermarktung von Grünstrom, das den Umweltwert der Windenergie und anderer regenerativer Energieträger widerspiegelt“, so Fries. Der BWE-Experte verweist auf die Sektorenkopplung, die Verknüpfung der Bereiche Strom, Wärme und Mobilität. Würde Windstrom zusätzlich zur Erzeugung von Wärme, Wasserstoff und Methan oder als Antriebsenergie für Nutzfahrzeuge eingesetzt, böten sich der Branche neue Vermarktungsmöglichkeiten. „Aktuell gibt es sehr interessante Konzepte für Nutzfahrzeuge, die auch als Servicefahrzeuge in der Windbranche genutzt werden könnten, wie etwa der Streetscooter bei der Post“, so Fries. Ein Problem: Bisher werden etwa Power-to-Heat- und andere Anlagen, die überschüssigen Windstrom nutzen, als sogenannte Letztverbraucher eingestuft und daher mit zusätzlichen Abgaben und Umlagen für den Strombezug belastet. Das bremst potenzielle Investoren.

Fehlen attraktive Alternativen zum Börsenhandel, gerät der Service unter Druck. Zuerst dürften nach Einschätzung von Experten die umfassenden, relativ teuren Vollwartungsverträge auf den Prüfstand gestellt werden. „Das Gros an Vollwartung wird nicht überleben. Das wird sich schon mit den Ausschreibungen zeigen, die ab 2017 kommen sollen“, sagt Gerald Riedel, Gesellschafter des Kieler Windprojektierers Getproject. Aber auch die günstigere Basiswartung wird in ihrer heutigen Form keine Selbstverständlichkeit mehr sein. Der Enercon-Servicevertrag „EKP III“ für Anlagen ab dem 20 Betriebsjahr etwa umfasst für 0,7 Cent pro Kilowattstunde neben Fernüberwachung und geplanter Instandhaltung die Reparatur und den Austausch von Standard-Ersatzteilen, der Ersatz von Großkomponenten wie Getrieben ist dagegen nicht im EPK III eingeschlossen. Fällt eine solche Komponente aus, droht dem Betreiber ein Problem. Denn hat er für diesen Fall keine Rücklagen gebildet, müsste er mit den Einnahmen aus dem laufenden Betrieb Ersatz beschaffen – das dürfte bei den absehbaren Börsenstrompreisen schwierig werden.

Die Serviceanbieter sehen sich deshalb vor große Herausforderungen gestellt. „Es wird spannend, der Preisdruck steigt“, sagt Matthias Brandt, Chef des freien Dienstleisters Deutsche Windtechnik. Dennoch glaubt Brandt, dass künftig auch für Turbinen, die älter als 20 Jahre sind, wirtschaftliche Servicekonzepte angeboten werden können. „Wir werden ein neues Optimum finden müssen“, so Brandt. Er verweist auf Spanien, wo die Deutsche Windtechnik bereits einfachere und günstigere Konzepte anbiete. Mit Beginn der Wirtschaftskrise wurde dort die Erneuerbaren-Förderung massiv gekappt. „Deshalb geht in Spanien die Tendenz zu Manpower-Serviceverträgen: Hier ist Verfügbarkeit nicht alles, sondern es stehen garantierte Instandsetzungspreise und Reaktionszeiten im Vordergrund.“ Außerdem arbeiteten die Servicefirmen dort häufiger vor Ort mit Leiharbeitern und weniger mit den Ingenieuren der Auftraggeber zusammen. Schlankere Konzepte seien auch in Deutschland realisierbar. Ein denkbarer Ansatz für den heimischen Markt sind Brandt zufolge integrierte Instandhaltungsstrategien, bei denen aus verschiedenen möglichen Strategien – von der ausfallbedingten bis zur zustandsorientierten Instandhaltung – eine für den einzelnen Windpark optimale Strategie konstituiert werde. Dazu zähle auch, die Organisation aller Beteiligten des Service zu verschlanken und Schnittstellen abzubauen. Voraussetzung für die integrierte Instandhaltung sei allerdings, dass Betreiber und Instandhalter noch enger zusammenarbeiteten und gemeinsam nach der passenden individuellen Lösung suchten. „Es gilt, viele Interessen unter einen Hut zu bringen“, sagt Brandt.

Einsparungen durch Synergien

Abo Wind aus Wiesbaden sieht ebenfalls mögliche Ansätze für die Wartung von Altanlagen. Das Unternehmen ist in verschiedenen Bereichen der Windkraft aktiv und bietet neben der Betriebsführung von Windparks auch Serviceprodukte wie Wartungen und Reparaturen an. Diese Vielseitigkeit könnte sich als Vorteil erweisen, denn dadurch könne Abo Wind bei der Instandhaltung Synergien nutzen, sagt Andreas Fischer, Bereichsleiter für technisches Windpark-Management. „Der Service ist wesentlich geprägt durch Anfahrtskosten. Werden Service und Betriebsführung zusammengelegt, lassen sich Kosten sparen.“ Außerdem seien bei Altanlagen keine intensiven lebensverlängernden Maßnahmen mehr nötig, wichtiger sei vielmehr eine punktuelle vorbeugende Instandhaltung wesentlicher Bauteile mit festen Kontrollroutinen. Condition-Monitoring-Systeme könnten bei der intelligenten Wartung aus Fischers Sicht eine wichtige Rolle spielen. Ihre Sensoren im Triebstrang oder in den Rotorblättern messen regelmäßig die Vibrationen der Komponenten, sodass Betreiber mithilfe der Daten ihren Service besser planen und bei drohenden Schäden frühzeitig gegensteuern können. Doch müssten Betreiber auch hier genau abwägen, ob die zusätzlichen Kosten für die Systeme die Anschaffung rechtfertigen.

Experten bestätigen das Einsparpotenzial beim Service, sehen bei den Preisen aber auch Untergrenzen. „Es darf auf keinen Fall bei der Sicherheit gespart werden“, sagt Riedel. Um einen sicheren Weiterbetrieb von Turbinen zu ermöglichen und einen ruinösen Preiskampf unter den Serviceanbietern zu vermeiden, halten Marktakteure vor allem ein politisches Einlenken für nötig. „Es fehlen Marktmodelle, um die Windenergie zu einem angemessenen Wert zu verkaufen“, sagt Sönke Tangermann, Vorstand von Greenpeace Energy. So drängen Ökostromanbieter schon seit längerem auf ein sogenanntes Grünstrom-Markt-Modell, das es Stromkunden ermöglichen würde, direkt und nachvollziehbar mit echtem Ökostrom aus konkreten Anlagen beliefert zu werden. Mit dem Modell wäre es zum Beispiel möglich, Windstrom aus Altanlagen als wertvollen Ökostrom etwas über Börsenpreis unmittelbar an ein nahegelegenes Industriegebiet zu verkaufen. Stattdessen wird der an der Börse verkaufte Grünstrom zu „Graustrom“, weil dafür keine Herkunftsnachweise aufgestellt werden. „Das Bundeswirtschaftsministerium blockiert“, so Tangermann.

In die gleiche Richtung ginge ein Design, das bei einer hohen Erzeugung der Turbinen niedrige Strompreise erlaubt und bei geringer Erzeugung, oder wenn zur Stabilisierung des Stromnetzes Energie aus einem Speicher entnommen werden muss, hohe Preise verlangt. Dann könnte sich für Altanlagenbetreiber der Weiterbetrieb lohnen und sogar ein zusätzlicher Speicher in Frage kommen. Dass dieser Gedanke nicht abwegig ist, zeigt die Firma Energiespeicher Nord, ein Zusammenschluss des Bürgerwindparks Braderup-Tinningstedt und des Technikkonzerns Bosch. Sie hat in der Nähe von Husum eine Lithium-Ionen-Batterie und eine sogenannte Vanadium-Redox-Flow-Batterie kombiniert, um überschüssigen Strom des Windparks Braderup-Tinningstedt aufzunehmen. Der Lithium-Ionen-Akku kann sehr schnell große Energiemengen aufnehmen und abgeben, die Vanadium-Batterie wiederum kann mehrere stromlose Stunden überbrücken und dient daher als Langzeitspeicher. Windenergie wird somit zugleich zu einem wertvollen Sicherheitsfaktor für das Energiesystem. Würde dieser Aspekt stärker in politische Entscheidungen einfließen, stünden Weiterbetrieb und Service bei Altanlagen kaum zur Disposition. Sascha Rentzing (neue energie, Ausgabe Nr. 06/2016, S.71-74)


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