Menü öffnen

Fridays ForeverWas die Schulstreiks über den Zustand unserer Gesellschaft verraten

Fridays for Future Protest in Berlin
Fridays for Future Protest in Berlin (Foto: © Joschua Katz)

Weltweit gehen jeden Freitag Schüler und Studenten auf die Straße und protestieren gegen die Untätigkeit der Politik. Um noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen und den Druck zu erhöhen, könnten die Proteste schon bald radikaler und gewaltsamer werden.

18.04.2019 – Seit Wochen gehen weltweit Schüler und Studenten immer freitags auf die Straße und protestieren gegen die Untätigkeit der Politik, nein, der gesamten Generation ihrer Eltern und Großeltern. Die Jugend will es nicht mehr hinnehmen, dass ihre Zukunft - genauer gesagt ein auskömmliches Leben - auf diesem Planeten auf leichtsinnige Art und Weise gefährdet wird. Leichtsinnig und ignorant, da die Fakten zu Ursachen und Auswirkungen der fortschreitenden Umweltzerstörung seit Jahrzehnten bekannt sind, sich aber über Absichtserklärungen hinaus noch nichts wirklich Entscheidendes in die richtige Richtung getan hat. Der CO2-Ausstoß und der daraus resultierende Temperaturanstieg der Atmosphäre, die Vermüllung der Weltmeere, das Artensterben – alles schreitet nach wie vor ungebremst voran, dringend notwendige Schritte werden jedoch gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße eingeleitet.

Was Greta Thunberg mit ihrem „Skolstrejk För Klimatet“ im August 2018 begann, worauf die Weltöffentlichkeit dann durch ihre beeindruckende Rede vor der UN-Klimaschutzkonferenz im polnischen Katowice im Dezember aufmerksam wurde, ist nun zu einer gigantischen, weltumspannenden Protestbewegung angewachsen. Dieser mittlerweile international unter der Bezeichnung „Fridays For Future (FFF)“ agierenden Bewegung haben sich auch viele Eltern, sowie Wissenschaftler und weitere Gesellschaftsgruppen angeschlossen. Selbst Ex-US-Präsident Barack Obama lobte kürzlich bei seinem Berlin-Besuch das Engagement der Jugendlichen, wenn auch mit einem für einen Politiker aus der Mitte der Gesellschaft typischen Appell an die Besonnenheit: „Als ich ein junger Aktivist war, wollte ich immer hundert Prozent Erfolg“; doch dann habe sich gezeigt, dass das nicht gehe, dass vielmehr der Kompromiss das Wichtige sei in einer demokratischen und offenen Gesellschaft.

Dies mag im Ansatz richtig sein, wenn aber der auszuhandelnde Kompromiss kein fauler oder Minimal-Kompromiss sein soll, dann muss man mit entsprechend radikalen oder unverschämten Forderungen in die Verhandlung gehen. Sogenannte "realistische" Forderungen der einen Seite in Kombination mit egoistischen oder sogar überzogenen Forderungen der Gegenseite führen zwangsläufig zu Verhandlungsergebnissen, mit denen die Gegenseite oft sehr komfortabel leben kann, da sie am Ende kaum Zugeständnisse machen muss. In der Wirtschaft ist das für jeden halbwegs guten Verhandler eine Selbstverständlichkeit. Insofern ist es völlig in Ordnung und zu begrüßen, dass die FFF-Bewegung nun sehr ambitionierte Forderungen an die Politik und Gesellschaft stellen, die weit über das hinausgehen, was in konservativeren Kreisen diskutiert wird.

Damit reagieren die Schüler auf die Kritik, dass ihre Proteste substanzlos sind, so lange keine Forderungen oder Lösungsansätze formuliert werden. Dies hat sich seit Anfang April geändert, ein Maßnahmenpaket ist auf dem Tisch. Der Ausgangspunkt ist dabei die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad, was ja mittlerweile breiter Konsens ist. Daraus leiten die Schüler nun ab, dass Deutschland seine CO2-Emissionen bis 2035 netto auf Null bringen und die Energieversorgung vollständig auf erneuerbaren Quellen umstellen muss. Der Kohleausstieg soll bis 2030 abgeschlossen sein. Ein Viertel des Kraftwerksparks soll noch in diesem Jahr vom Netz gehen. Zudem verlangen die Klimaschützer, bis Jahresende alle Subventionen für fossile Energieträger zu streichen. Desweiteren sollen alle Treibhausgasemissionen mit 180 Euro pro Tonne CO2 besteuert werden. Auch sei es höchste Zeit, den absurden 52-Gigawatt-Deckel bei der Photovoltaikförderung innerhalb des deutschen EEG aufzugeben.

Natürlich kam prompt ein Aufschrei seitens der konservativen und liberalen Parteien, sowie der Industrieverbände. Die Forderungen seien völlig unrealistisch, es gäbe noch keine brauchbaren Alternativen und man gefährde damit den Wirtschaftsstandort Deutschland – die alte Leier. Aber dieser ist ohnehin in Gefahr, wenn sich nicht bald etwas am Kurs der regierenden Parteien und Großkonzerne ändert, sondern der schnelle Wechsel in Richtung emissionsarmer Energieerzeugung und Elektromobilität, sowie weiterer zukunftsweisender Technologien im Zeitalter der Digitalisierung weiterhin verschlafen wird. Stattdessen schürt man die Angst vor der wirtschaftlichen Übermacht Chinas, die in allen vorgenannten Bereichen schon viel weiter sind und vermeintlich die Weltmacht anstreben.

Insofern ist es gut, wenn nun auf ambitioniertere Schritte gedrängt wird, eine ganze Generation streikt und unbequem ist, bis sich endlich etwas bewegt. Schmusekurs und Angepasstheit waren gestern. Die junge Generation scheint verstanden zu haben, dass ein Wohlstand zulasten der eigenen Zukunft keine wirkliche Option und schon gar nicht erstrebenswert ist. Vereinzelt entdeckt man auf den Bannern und Pappschildern der Demonstranten auch Kapitalismuskritik, ein Systemwechsel wird gefordert. Der Konsum und die Spaßgesellschaft scheinen bei ihnen nicht mehr so hoch im Kurs zu sein, wie wir „älteren Semester“ lange dachten. Besteht also doch noch Hoffnung? Und welche Schlüsse können wir "Alten" aus dieser gesellschaftlichen Entwicklung ziehen?

Nun, unterstützen wir doch die Proteste, und zwar uneingeschränkt! Motivieren wir unsere Kinder und jungen Verwandten, die noch nicht aktiv geworden sind, sich der FFF-Bewegung anzuschließen. Bieten wir außerdem weitere Lösungsansätze in Form immer neuer, interessanter und zukunftsweisender Geschäftsmodelle, Produkte, Denkansätze - auch Obama tut dies durch seine neu gegründete Stiftung und seine öffentlichen Auftritte. Greta wird Ihren Schulstreik sicher noch lange nicht beenden, auch wenn sie am 1. April über die sozialen Netzwerke etwas anderes behauptet hatte – zum Glück nur ein gelungener Aprilscherz. Ein vorzeitiges Aufgeben wäre die Kapitulation vor der Unfähigkeit der Elterngeneration und ein Verrat der eigenen Zukunft.

Warum aber tun wir Erwachsenen uns so schwer, unser Verhalten zu ändern? Warum tut die Politik sich so schwer, die Weichen in die richtige Richtung zu stellen?

Die meisten Menschen, die bis heute gar nichts oder viel zu wenig gegen den Klimawandel getan haben, werden die drastischsten Folgen selbst nicht mehr erleben. Es gibt daher wenig Anreiz in unserer Gesellschaft aus Egomanen und Narzissten, sich aus der liebgewonnenen Komfortzone zu bewegen. Unsere Kinder aber werden fürchterlich leiden, sich dereinst fragen, ob ihnen das in der Schule oder Ausbildung Gelernte helfen wird, passende Überlebensstrategien zu entwickeln. Manche der Schüler, die jetzt protestieren, werden vielleicht nie wieder an einem Freitag in die Schule gehen, denn ihre Schulzeit wird schneller vorbei sein, als die Schulstreiks enden! Die Proteste sind im Allgemeinen noch friedlich, aber sie könnten schon bald radikaler und gewaltsamer werden, um noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen und noch mehr Druck auf die Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik auszuüben.

School's out for Friday! School's out forever...?

Martin Schachinger / pvXchange.com


Mehr zum Thema


energiezukunft