Expertenrat für Klimafragen: Deutsche Klimaziele gefährdet

Der Expertenrat für Klimafragen hat seine zweite Zweijahresbilanz vorgelegt. Kurzfristige Erfolge könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Handlungsbedarf bestehe, um die grüne Transformation erfolgreich umzusetzen und die Klimaziele zu erreichen.
07.02.2024 – Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hat zum zweiten Mal umfassend die deutsche Klimapolitik der vergangenen zwei Jahre analysiert. Der Expertenrat der Bundesregierung prüft seit 2020, ob die im Klimapolitik dem deutschen Klimaschutzgesetz gerecht wird. Deutschland hat sich mit dem Klimaschutzgesetz selbst verpflichtet, Emissionen bis 2030 um rund 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern.
Der Expertenrat bestätigt, dass Deutschland seine Emissionseinsparungsziele für 2022 und 2023 erfüllt hat. Maßgeblich verantwortlich für den Emissionsrückgang sind Erneuerbare Energien. Die Energiewirtschaft übertraf ihr Reduktionsziel deutlich und kompensierte so Probleme in anderen Sektoren. Eine vorläufige Emissionsberechnung des Think Tanks Agora Energiewende für 2024 kommt zu dem Schluss, dass sich der Trend weiter fortgesetzt hat.
Doch nicht alle Einsparungen sind auf nachhaltige Transformation zurückzuführen. Stattdessen geht ein nicht unerheblicher Anteil der Emissionseinsparungen auf die schwache Konjunktur des letzten Jahres zurück. Besonders die Probleme in den Sektoren wie Gebäude, Verkehr und Landnutzung sind weiterhin groß. Emissionen aus dem Verkehrssektor sind zuletzt sogar gestiegen, und der LULUCF-Sektor emittiert CO2, anstatt es zu speichern.
Der CO2-Preis allein reicht nicht aus
Der Expertenrat für Klimafragen hatte bereits im vergangenen Jahr offiziell angemahnt, dass der Verkehrssektor seine Ziele das dritte Jahr in Folge nicht erreicht hatte. Auch das vorliegende Gutachten zeigt, dass die Sektoren Gebäude und Verkehr weiter in ihren fossilen Wurzeln verhaftet blieben. Die Emissionen aus dem Verkehrssektor stiegen sogar leicht an, anstatt zu sinken.
„Die nächste Bundesregierung muss vor allem ihre Verkehrspolitik konsequent auf CO2-Reduktion ausrichten“, fordert Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland. „Dazu braucht es ein langfristig finanziertes und günstigeres Deutschlandticket, eine sozial gestaffelte Steuer bei der Zulassung von PKW sowie ein Tempolimit.“
Der Expertenrat warnt, dass der europäische Emissionshandel EU-ETS 2 nicht ausreicht, um die Emissionsminderungsziele in den Sektoren zu erreichen. Dies sei besonders kritisch, da die EU-Lastenteilung Sektorenziele vorsieht. Die Ampel-Regierung hatte auf Drängen der FDP die im Klimaschutzgesetz verankerten Sektorenziele aufgeweicht. Die Novelle trat Mitte 2024 in Kraft und wurde von Klima- und Umweltorganisationen klimapolitisch und rechtlich scharf kritisiert.
Auch der Expertenrat fordert weitere Maßnahmen bei Verkehr und Gebäuden und stellt fest, dass der Strukturwandel besonders in diesen Sektoren für vulnerable Gruppen bisher nicht ausreichend abgefedert werde. „Diese negativen Verteilungswirkungen könnten durch steigende CO2-Preise noch verstärkt werden. Daher sind zusätzliche Unterstützungs- und Kompensationsmaßnahmen erforderlich“, heißt es aus dem Expertenrat.
Wälder und Moore werden zu Emissionsquellen statt -senken
Der Sektor Landnutzung (LULUCF) stellt eine besondere Herausforderung dar. Wälder und Moore sollten als Kohlenstoffsenken bis 2030 jährlich 25 Millionen Tonnen CO2 aufnehmen. Stattdessen emittierte der Sektor zwischen 2018 und 2022 34-mal mehr Treibhausgase als zuvor angenommen.
Klimapolitik müsse breiter gedacht und klimapolitischer Maßnahmen umfassend in eine politische Gesamtstrategie eingebettet werden, betont der Vorsitzende des Expertenrats, Hans-Martin Henning. Ein zentraler Koordinierungsmechanismus sowie ein systematisches Monitoring- und Evaluationssystem seien sinnvoll, um Wechselwirkungen mit anderen Politikbereichen zu analysieren und Zielkonflikte offenzulegen. Der erhebliche Investitionsbedarf der Wirtschaftstransformation sollte von der nächsten Regierung ausdrücklich und langfristig eingeplant werden.
In die Zukunft investieren
Für das Gutachten wurden mehrere Finanzbedarfsstudien zum Erreichen der Klimaziele verglichen. Demnach liegt der jährliche Investitionsbedarf bei 135 bis 255 Milliarden Euro. Das entspricht 3,2 bis 6 Prozent des deutschen BIP im Jahre 2023. GermanZero geht davon aus, dass jährliche Investitionen von mindestens zwei Prozent des BIP notwendig seien, um weitere private Investitionen zu mobilisieren.
„Deutschland muss den Weckruf des Expertenrats hören und ernst machen beim Klimaschutz: Wir brauchen 2% des BIP für eine 1,5-Grad-Politik. Denn nichts ist teurer als der weitere Verzicht auf ausreichende Klimaschutzinvestitionen“, kommentiert Michael Schäfer, Geschäftsführer von GermanZero. „Klimaschädliche Subventionen müssen dafür abgebaut – und nicht wie von der CDU in ihrem Sofortprogramm gefordert wieder eingeführt werden. Auch eine Reform der Schuldenbremse darf kein Tabu bleiben. Klimaschutz kann nicht weiter aufgeschoben werden. Ohne entschlossene Investitionen gefährden wir die Zukunft kommender Generationen.“
Auch Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, fordert eine Reform der Schuldenbremse und eine Transformation umweltschädlicher Subventionen – auch, um soziale Härte abzufedern. Neue Abgaben nach dem Verursacherprinzip könnten helfen, dass jene, die den Klimawandel anheizen, endlich auch die Kosten dafür tragen. Bisher gelte zu oft, dass private Gewinne mit fossilen Energieträgern gemacht werden, die Kosten aber sozialisiert werden. „Dies muss sich ändern. Geld für Klimaschutz ist gut angelegtes Geld“, sagt Bals. Global gesehen würden die Schadenskosten bei einem „weiter so“ die Klimaschutzinvestitionen um rund das Sechsfache übersteigen.“ jb