Klimaschutz: Deutsche Klimaziele wackeln wieder
Die Freude darüber, Deutschland sei erstmals auf dem Weg, die Klimaziele zu erreichen, war nur von kurzer Dauer. Der Expertenrat für Klimafragen geht inzwischen wieder davon aus, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 verfehlen wird.
05.06.2024 – Der Klima-Expertenrat der Bundesregierung revidiert in einem Sonderbericht seine positive Prognose zur Erreichung der Klimaziele. Noch im März hatte der Expertenrat für Klimafragen verlauten lassen, Deutschland sei auf Kurs, Emissionen in angemessenem Maße zu senken. Damit bestätigte er die Projektionsdaten des Umweltbundesamtes vom Beginn des Jahres.
Inzwischen müssten jedoch neue Erkenntnisse miteinbezogen werden, argumentiert der Expertenrat. Preise für CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel fallen ebenso geringer aus als erhofft wie die Gelder für den Klima- und Transformationsfonds. Auch der Wandel hin zu einer emissionsärmeren Industrie gehe zu langsam voran.
Klimaschutz überprüfen
Anlass für den Sonderbericht war das kürzlich revidierte Klimaschutzgesetz. Die Gesetzesnovelle sieht vor, dass einzelne Sektoren keine festgelegten Emissionsmengen mehr einsparen müssen. Stattdessen muss nur das Ergebnis stimmen und am Ende des Jahres die anvisierte Menge CO2 eingespart worden sein.
Die Änderung des Klimaschutzgesetzes wurde von Klima- und Umweltorganisationen scharf kritisiert. In den vergangenen Jahren wurde wiederholt deutlich, in welchen Bereichen mehr Klimaschutzmaßnahmen erforderlich sind, nämlich im Verkehrs- und Gebäudesektor sowie der Landnutzung. Die Gesetzesnovelle macht es der Regierung einfacher, dringend notwendige Weichenstellungen für eine Klimawende in diesen Sektoren weiter hinauszuzögern und sich auf zufälligen Emissionsreduktionen auszuruhen.
Die Bundesregierung hatte den Expertenrat zu diesem Anlass beauftragt, die Projektionsdaten zu überprüfen. In seinem Sonderbericht kommt dieser zu dem Schluss, dass eine Verfehlung der Klimaziele 2024 wahrscheinlich sei.
Emissionen werden nicht ausreichend sinken
„In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus“, erklärt Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats. Die Gesamtemissionen bis 2030 werden zwar substanziell sinken, allerdings vermutlich weniger stark als in den Projektionsdaten ermittelt. Der Expertenrat halte die projizierten Emissionen in den Sektoren Energie, Gebäude und Verkehr sowie – mit Einschränkungen – auch in der Industrie für unterschätzt, so Henning.
Dem novellierten Gesetz nach müsste die Regierung erst tätig werden, wenn die Klimaziele zwei Jahre in Folge nicht erreicht werden. Der Expertenrat warnt jedoch ausdrücklich davor, länger untätig zu bleiben und empfiehlt, zeitnah weitere Klimamaßnahmen zu prüfen.
„Dies gilt umso mehr, da wir bei unserer Analyse der Projektionsdaten 2023 bereits letzten Sommer eine solche Zielverfehlung festgestellt haben“, merkt die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf, an. Der Fokus solle hier auf den beiden für die europäische Lastenteilung relevanten Sektoren Gebäude und Verkehr liegen, die zudem die größten Zielüberschreitungen aufwiesen. „Insgesamt fehlt für die Zeit nach 2030 eine langfristige Strategie, wie das Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht werden kann“, so Knopf. Der Expertenrat geht davon aus, dass die Treibhausgasneutralität unter den derzeitigen Bedingungen weder bis 2045 noch bis 2050 erreicht wird.
Jetzt handeln
„Die Bundesregierung muss unverzüglich klimapolitisch nachlegen um Deutschland fit für die Zukunft zu machen“, so Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Im Verkehrsbereich werde noch immer im großen Stil fossile, sprich klimaschädliche Mobilität gefördert und die Ampel bleibe eine Antwort schuldig, wie endlich mehr Gebäude effektiver und sozialverträglich saniert werden. Auch Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe, fordert konkrete Maßnahmen wie eine Sanierungsoffensive für marode Gebäude, „um das Ruder noch herumzureißen“.
Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros von Germanwatch, kritisiert die kurzsichtige Politik von Bundesfinanzminister Christian Lindner, die dazu führe, dass viele Klimaschutzprogramme unter Finanzierungsvorbehalt gestellt würden. „Die Maßnahmen des Klimaschutzprogramms 2023 sind aber zu fast 50 Prozent Förderprogramme mit öffentlichem Geld. Wenn die Regierung es nicht schafft, die Finanzierung dieser Programme sicherzustellen, wird Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen“, warnt Weischer. Kürzungen beim Klimaschutz müssten bei den Haushaltsverhandlungen tabu sein. Notwendig sind seiner Meinung nach eine Reform der Schuldenbremse und der sozialverträgliche Umbau klimaschädlicher fossiler Subventionen. jb