LNG-Terminals und Gaskraftwerke: Deutschlands übermäßiger Hunger nach Gas

Deutschland agiert beim Ausbau von Gas-Infrastrukturen in Europa an vorderster Front, zeigen neue Analysen. Dabei sind schon bestehende Strukturen bei weitem nicht ausgelastet. Noch ließe sich der immense Ausbau aufhalten.
14.11.2024 – Nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen letzte Woche mit Donald Trump telefoniert und ihm zum Wahlsieg gratuliert hatte, sagte sie gegenüber Journalisten: „Wir bekommen immer noch viel LNG aus Russland, warum also nicht stattdessen amerikanisches LNG einsetzen, das günstiger für uns ist und unsere Energiepreise senkt.“ Es ist der Versuch von der Leyens ein Angebot für die Vertiefung von Handelsbeziehungen zu machen. Ein neuer Handelskonflikt mit den USA soll noch im Keim erstickt werden.
Für den Import des Flüssigerdgases – des Liquefied Natural Gas, kurz LNG – wird seit dem Wegfall des Gaspipelines aus Russland insbesondere in Deutschland fleißig an neuen Terminals gebaut. Bei den geplanten LNG-Importanlagen steht Deutschland mit einer Kapazität von 38,5 Millionen Tonnen pro Jahr (Mtpa) europaweit an vorderster Stelle, wie aus der von urgewald und Partner-NGOs recherchierten Global Oil and Gas Exit List (GOGEL) hervorgeht. Es folgen Italien (24,2 Mtpa), das Vereinigte Königreich (18,8 Mtpa), Griechenland (14,6 Mtpa) und die Niederlande (8,5 Mtpa).
Dabei war schon 2023 laut ACER, der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden der EU, die bereits in Deutschland in Betrieb befindlichen sogenannten schwimmenden LNG-Terminals nur zu 57 Prozent ausgelastet. Auch in anderen europäischen Ländern mit LNG-Terminals fehlt es meist an einer Vollauslastung.
Aktuelle Zahlen der Berliner Energiewirtschaftsberatungsgesellschaft Team Consult aus dem zweiten Quartal 2024 bestätigen das Bild. Deutsche Terminals war nur zu 48 Prozent ausgelastet. Unwesentlich anders sieht es in anderen westeuropäischen Staaten, wie der Niederlande (65%), Belgien (37%) und Frankreich (51%) aus, über die Gas per Pipelines nach Deutschland gelangt. Zudem ist die Auslastung in den meisten Ländern im Vergleich zum Referenzzeitraum (2. Quartal 2023) gesunken.
Und trotzdem sehen die europaweiten Pläne vor, die bestehenden Kapazitäten von 209 Millionen Tonnen pro Jahr um 68 Prozent zu steigern, wie die GOGEL-Daten zeigen. Dabei gehen unter anderen das Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) und ACER ab spätestens 2025 von einem weiteren Nachfragerückgang für Erdgas in Europa aus.
Frida Kieninger von der NGO Food & Water Action Europe kommentiert: „LNG-Unternehmen haben die Folgen der Russland-Invasion zu ihren Gunsten genutzt und sind dabei massive Überkapazitäten aufzubauen, vergoldet mit staatlichen Subventionen. Diese Überkapazitäten sind schmutzige Bremsklötze für die europäische Energiewende.“
Wie Recherchen des Norddeutschen Rundfunks belegen, erhöhen sich die Kosten des LNG-Terminals in Brunsbüttel für den Bund um fast 30 Prozent. Von 740 auf 940 Millionen Euro musste die staatliche Förderbank KfW ihre Investitionskosten steigern, die die Hälfte des Projekts trägt, während sich die anderen 50 Prozent der Energiekonzern RWE und das niederländische Staatsunternehmen Gasunie teilen.
Mit dem LNG-Ausbau einher geht auch der Ausbau von Gaskraftwerken in Europa. Laut GOGEL-Daten gibt es Ausbaupläne in europäischen Ländern in Höhe von 58,2 Gigawatt (GW). Diese würden die bestehenden Kapazitäten um etwa ein Viertel erhöhen. In Deutschland sind die Ausbaupläne teil der Kraftwerksstrategie des Bundes, um zu jeder Zeit die Stromversorgung in Deutschland zu sichern. Eine neue Gesamtkapazität von 13 GW soll dabei fast gänzlich auf Gaskraftwerke und solche die später zu Wasserstoffkraftwerken umgerüstet werden können, entfallen.
Nils Bartsch, Leiter der Öl- und Gasrecherche bei urgewald, befürchtet aber, dass die Gaskraftwerke dauerhaft mit Gas betrieben werden: „Grüner Wasserstoff wird auf absehbare Zeit ein sehr knappes Gut bleiben, das dringend zur Dekarbonisierung von Industrieprozessen gebraucht wird.21 Ein flächendeckender Einsatz bei der Stromerzeugung ist ineffizient und viel zu teuer.“
Auch sei eine Umrüstung von Gas-Infrastrukturen auf Wasserstoff schwierig. Hinsichtlich der geplanten LNG-Terminals gibt Constantin Zerger, Leiter des Bereichs Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe, zu bedenken: „Die Versprechen der Unternehmen für einen Umstieg auf grünen Wasserstoff oder grünen Ammoniak sind nicht belastbar. Dafür müsste die Infrastruktur teuer umgerüstet oder sogar teilweise neugebaut werden. Konkrete Pläne dazu sucht man in den Antragsunterlagen der Unternehmen vergeblich.“
Hoffnung gibt den Umweltorganisationen, dass sich nur 33 Prozent der geplanten LNG-Importkapazität und 26 Prozent der Gaskraftwerkskapazität bereits im Bau befinden. Viele der übrigen Projekte würden noch auf finanzielle Zusagen warten. Der Gasausbau in Europa ließe sich also noch aufhalten.
Die Finanzindustrie steht zwar noch am Anfang, aber Recherchen von urgewald und Partner-NGOs zeigen, dass bis zum heutigen Tag immerhin 39 Finanzinstitutionen mit globalem Einfluss wirksame Ausschlusskriterien für Öl und Gas beschlossen haben. Zuletzt verkündete Italiens größtes Versicherungsunternehmen Generali nach Einschränkungen für Öl- und Gasförderer, auch Expansionsprojekte von Unternehmen die LNG-Terminals, Pipelines und Gaskraftwerke bauen nicht mehr zu versichern, wenn diese nur schwache Transformationspläne haben.
Regine Richter, Energie- und Finanzcampaignerin bei urgewald, kommentiert: „Die Öl- und Gasindustrie wird sich nicht transformieren, solange die Finanzindustrie weiter frisches Geld und Versicherungen bereitstellt. Die jüngsten Ankündigungen sind ein gutes Zeichen – und gleichzeitig nur Trippelschritte in die richtige Richtung.“ mg