Tierische Klimaanpassung: Die Küstenflucht der Austerntaucher

Viele Vogelarten verlieren durch den Klimawandel und den Einfluss des Menschen ihre Brut- und Lebensräume. Einige von ihnen finden jedoch an ungewöhnlichen Orten neue Brutplätze. Die Austerntaucher sind vom Strand aufs urbane Flachdach umgezogen.
14.01.2025 – Mit dem Klimawandel ändern und verschlechtern sich häufig die Lebensbedingungen vieler Tiere – und zwingt sie zu neuen Strategien. Füchse, Wildschweine und Waschbären in den Städten sind keine Seltenheit mehr, Zugvögel treten ihren Winterflug in den Süden teilweise nicht mehr an.
Vom Strand aufs Flachdach
Wie sich das Brutverhalten einer europaweit gefährdeten Küstenvogelart verändert, haben Forschende der Universität Osnabrück untersucht. In ihrer Studie, die 2024 in der Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen ist, haben sie festgestellt, dass urbane Flachdächer in der Nähe von Fußballplätzen gute Brutbedingungen für den Austernfischer bieten und gerne genutzt werden. Ähnliches Verhalten wurde in Mitteleuropa bereits für Möwen dokumentiert, unter den Watvögeln stellt der Austernfischer jedoch eine Ausnahme dar. Die Art hat nach den aktuellen Forschungsergebnissen auf den Dächern einen bis zu fünfmal höheren Bruterfolg als in ihren natürlichen Lebensräumen.
In ihrer Studie haben die Forschenden das Brutverhalten des Austernfischers im urbanen Raum untersucht. Diese Vogelart brütet am Boden und kam ursprünglich in Europa nur entlang der Küsten vor. Dort haben sie heute jedoch bedingt durch Veränderungen ihrer natürlichen Lebensräume und der starken Zunahme ihrer Fressfeinde zumeist nur noch geringen Bruterfolg.
Fußballplätze als Nahrungsfundgrube
Seit den 1980er-Jahren schon werde beobachtet, dass die Vögel zur Brut vermehrt ins Binnenland ausweichen, berichten die Studienautoren. Sie brüten dort vor allem auf flachen Kiesdächern in der Nähe von Fußballplätzen.
Die Struktur der Kiesdächer ähnelt den natürlichen Nistplätzen. Da Austernfischer im Gegensatz zu anderen Wattvögeln ihre Jungvögel füttern, können diese von umliegenden Rasenflächen aus mit Nahrung versorgt werden“, erläutert der Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Osnabrück Franz Löffler.
Laut Studie bieten Flachdächer einen guten Schutz vor natürlichen Feinden wie dem Fuchs. Außerdem blieben die Vögel dort vom Menschen weitgehend ungestört. Entscheidend für das Überleben der Jungvögel wäre jedoch auch die Nähe zu Sportplätzen, die zur Fütterung der Jungvögel gezielt angeflogen wurden, berichten die Forschenden. „Fußballplätze mit Naturrasen bieten dem Austernfischer und auch einigen anderen Vögeln hervorragende Bedingungen für die Nahrungssuche. Da sie regelmäßig bewässert werden, trocknen die Rasenflächen während der gesamten Brutzeit nicht aus. Regenwürmer, die bevorzugte Nahrung des Austernfischers im Binnenland, bleiben daher häufig nahe der Oberfläche und sind im niedrigen Gras und weichen Boden eine leichte Beute für die Vögel“, so Löffler.
Durch den Klimawandel könnte sich dieser Trend noch verstärken, da die Nahrungsverfügbarkeit in anderen Grünflächen bei anhaltender Trockenheit noch stärker eingeschränkt werde, heißt es weiter in der Studie. Darüber hinaus gebe es Hinweise, dass auch andere Bodenbrüter erfolgreich im Siedlungsraum brüten können. „Das Beispiel des Austernfischers zeigt: Auch urbane Lebensräume können zum Schutz bedrohter Vogelarten beitragen. Da die Art aber sehr gebietstreu ist, also immer wieder an den gleichen Orten brütet, ist ihr Erhalt mit einer langfristigen Verantwortung verbunden“, betont Prof. Thomas Fartmann, Leiter der Abteilung für Biodiversität und Landschaftsökologie an der Universität Osnabrück.
Laut der Studie können Veränderungen im Stadtbild, zunehmende Sommertrockenheit und der Einsatz von Kunst- statt Naturrasen den Bruterfolg des Austernfischers beeinträchtigen. „Wenn diese Faktoren bei der Stadtplanung verstärkt berücksichtigt werden, könnte sich für die Art in Städten auch zukünftig eine echte Chance ergeben“, so Fartmann. na