Klimakrise: Dramatische Entwicklungen in der Arktis

Mitten im arktischen Winter lag die Temperatur am Nordpol kürzlich über dem Gefrierpunkt. Und wissenschaftlichen Prognosen zufolge erwärmt sich die Arktis in rasantem Tempo bis zu viermal schneller als der Rest des Planeten – mit dramatischen Folgen.
11.02.2025 – Auch wenn es in der Vergangenheit bereits Ausschläge nach oben gab, im Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte stieg die Temperatur am Nordpol nur in den Sommermonaten ab und an mal über den Gefrierpunkt. Im arktischen Winter jedoch beträgt die Durchschnittstemperatur rund Minus 31 Grad. Doch diese Mittelwerte bekommen immer mehr Risse. Schon 2015 und 2018 stiegen die Temperaturen im Winter zeitweise über den Gefrierpunkt. Auch in diesem Jahr war es schon so weit. Am 02. Februar 2025 wurden Temperaturen von bis zu 0,5 Grad Celsius registriert. Ein Tiefdruckgebiet über Island leitete ungewöhnlich warme Luft Richtung Norden.
Die Temperaturanomalien sind Teil einer erschreckenden Entwicklung. 2024 hatte sich die gesamte Arktis, im Vergleich zum Referenzzeitraum 1979 bis 2000, um durchschnittlich 2,3 Grad Celsius erwärmt. Im globalen Mittel erwärmte sich die Erde erstmals um 1,5 Grad. „Die Arktis erwärmt sich viermal schneller als der Rest des Planeten“, sagt die Professorin Julienne Stroeve, die am National Snow and Ice Data Center (NSIDC) und an der Universität in Manitoba in Kanada forscht. „Bei durchschnittlich 2,7 Grad Celsius globaler Erwärmung weltweit werden wir deshalb in dieser Region besonders extreme Auswirkungen haben.“ Sollten die Staaten der Erde ihre aktuell zugesagten Klimaziele einhalten, gehen Analysen von einem weltweiten Temperaturanstieg bis 2100 von 2,7 Grad aus.
Stroeve hat, gemeinsam mit einem Team von Forscher:innen aus Kanada, den USA und Hamburg in Deutschland, die möglichen Folgen einer globalen Erwärmung um 2,7 Grad auf die Antarktis untersucht. In ihrer Studie, die letzte Woche im Fachjournal „Science“ erschien, verknüpften die Forschenden Simulationen von Klimamodellen mit Messdaten von Satelliten. So untersuchten sie die Entwicklung des arktischen Meereises, des Grönländischen Eisschilds und des Permafrosts von der vor-industriellen Zeit über den heutigen Zustand bis hin zu einem Szenario für das Jahr 2100.
Aus der prognostizierten vierfach schnelleren Erwärmung von bis zu 10 Grad, würden sich bis 2100 monatelange eisfreie Sommer ergeben. Frühere Studien gehen von einer mindestens doppelt so schnellen Erwärmung der Arktis aus. Längere Zeit eisfrei war die Arktis zuletzt vor rund 130.000 Jahren. Schmelzende Gletscher in Grönland würden 20 Zentimeter zum Anstieg des globalen Meeresspiegels beitragen. „Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass der Mensch schon heute die Macht hat, ganze Landschaften von der Oberfläche unseres Planeten zu tilgen“, sagt Polarexperte Dirk Notz, Professor vom Exzellenzcluster CLICCS an der Universität Hamburg.
Der Anstieg des Meeresspiegels erhöhe das Risiko für Küstenerosion, Überflutungen und den Salzwassereintrag in Süßwasserreservoirs. Im arktischen Meer wären die dort lebenden Fische und Plankton nicht an das Leben im wärmeren, helleren Wasser angepasst, die entsprechenden Bestände werden voraussichtlich schrumpfen. Eisbären und manche Seevogelarten könnten zumindest regional aussterben. An Land würde 2100 rund die Hälfte des bislang zugefrorenen Bodens – der sogenannten Permafrostfläche – abnehmen und erhebliche Mengen Treibhausgase freisetzen, die das Klima zusätzlich anheizen. Auch würde der Boden für Häuser, Straßen und Brücken instabil.
In einer speziellen Simulation untersuchten Forscher:innen aus Kanada und den USA zudem die sogenannte „Last Ice Area (LIA)“ – ein Gebiet nördlich von Grönland und dem kanadischen Arktischen Archipels, das wahrscheinlich als letztes auch im Sommer eisbedeckt bleiben wird, während bereits jetzt weite Teile des arktischen Eisschilds im Sommer eisfrei sind. Den Forscher:innen zufolge handelt es sich um die bisher umfangreichste Simulation, bei der mithilfe hochauflösender numerischer Simulationen des Community Earth System Model auch Meeresströmungen unter dem Eis berücksichtigt wurden. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse Ende Januar.
Und den Forscher:innen unter der Leitung der McGill-Universität in Montreal, Kanada, zufolge, könnte auch dieser Teil der Arktis im Jahr 2035 erstmals eisfrei sein. Laut den Simulationen wird das Meereis in der LIA immer dünner und beweglicher, was den Eisexport in den Süden deutlich erhöht. Bislang galt das besonders dicke Eis des LIA auch als langanhaltender Schutz des Transports von Eismassen der Arktis Richtung Süden.
Hilft Geoengineering?
Wie unter anderem CNN im Dezember letzten Jahres berichtete, werden aktuell sogenannte Geoengineering Tests durchgeführt, bei denen Wasser unter dem Eis an die Meeresoberfläche gepumpt wird. Wasser das über dem Eis wieder gefriert und eine zusätzliche Schutzschicht generiert. Einige Forscher:innen kritisieren das Projekt als undurchführbar angesichts der riesigen Massen an Eis, die geschützt werden müssten. Eine weitere Idee sind sogenannte Unterwasser-"Vorhänge" in der Nähe von Gletschern. Diese flexiblen Strukturen, am Meeresboden verankert, sollen den Zustrom von warmem Ozeanwasser zu den Gletschern blockieren und so deren Schmelzrate reduzieren.
Ein weiteres Geoengineering-Projekt wurde nach jahrelanger Forschung eingestellt. Beim Arctic Ice Project sollte eine dünne Schicht aus reflektierenden Glas-Mikropartikeln auf das Eis aufgetragen werden, um mehr Sonnenlicht zurück in den Weltraum zu reflektieren und so die Erwärmung des Eises zu reduzieren. Doch Tests zeigten Bedenken, dass die Glas-Mikropartikel die Ökosysteme der Arktis stören könnten, insbesondere für Plankton und andere Kleinstlebewesen, die auf natürliche Lichtverhältnisse angewiesen sind. Auch hätten mit dem Projekt riesige Flächen bedeckt werden müssen, was immense Kosten verursacht hätte.
Dirk Notz von der Universität Hamburg appelliert an die Staatengemeinschaft deutlich mehr Anstrengungen für den Klimaschutz und eine weitere Begrenzung der Globalen Erwärmung zu nehmen. „Wir haben noch nicht einmal das extremste Szenario untersucht. 2,7 Grad Erwärmung bekommen wir, wenn alle Staaten ihre vereinbarten Klimaziele erfüllen – was nicht garantiert ist“, so Notz. „Wir verändern den Planeten radikal und sollten uns unserer Macht und Verantwortung deutlich bewusst sein. Die Arktis ist nur ein Beispiel, tatsächlich liegt die Zukunft des gesamten Planeten in unseren Händen.“ mg