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Hoher Ressourcenverbrauch, viel MüllGesundheitssystem als Treiber der Klimakrise

Pflegefachkraft passt Sauerstoffmaske an Patientin an
Mit der Klimakrise nehmen unter anderem Atemwegserkrankungen zu, die das Gesundheitssystem belasten. Aber auch das Gesundheitswesen selbst ist ein Klimatreiber. (Foto: A.C. für Unslash+ / Unsplash+ Lizenz)

Das Gesundheitswesen muss nicht nur höhere Belastungen auf Grund der Klimakrise meistern, sondern ist selbst ein Klimatreiber. Wäre der Gesundheitssektor ein Land, wäre er der fünftgrößte Emittent von Klimagasen im weltweiten Ranking der Länder.

30.05.2025 – Der Klimawandel ist längst in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Praxen angekommen: Hitzewellen, Luftverschmutzung und Extremwetter gefährden die Gesundheit von Patienten und Personal und belasten das ohnehin angespannte Gesundheitssystem. Gleichzeitig ist das Gesundheitswesen selbst ein Klimatreiber – mit hohen Emissionen und enormem Ressourcenverbrauch.

In Deutschland gehen rund sechs Prozent der nationalen Treibhausgas-Emissionen auf das Konto des Gesundheitssystems, ungefähr so viel wie die Stahlindustrie verursacht. Die Zahlen stammen aus dem Abschlussberiecht des Forschungsprojekts German Health CFP des Bundesgesundheitsministeriums. Allerdings entstehen lediglich 10 Prozent direkt in den Einrichtungen, 90 Prozent hingegen außerhalb von ihnen, sind indirekte Emissionen durch eingekaufte Energie, durch Produktion und Transport verwendeter Produkte, Medikamente und ähnliches. Der Ressourcenverbrauch des Sektors ist heute 80 Prozent höher als Mitte der 1990er-Jahre, Tendenz steigend.

Die Internationale Nichtregierungsorganisation Health Care Without Harm zieht in ihrem Report von 2024 eine Parallele, die überrascht: Wäre der globale Gesundheitssektor ein Land, wäre er der fünftgrößte Emittent von Klimagasen im weltweiten Ranking der Länder.

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Umweltfolgen des Gesundheitswesens

Der deutsche Gesundheitssektor geht im ambulanten und stationären Sektor insgesamt mit einem jährlichen Rohstoffkonsum von rund 107 Millionen Tonnen einher. Davon stammen zwei Drittel aus Importen und lediglich ein Drittel aus Deutschland. Insgesamt sind dies fünf Prozent des gesamten deutschen Rohstoffkonsums.

Klimaschädliche Narkosegase

In Deutschland finden jährlich rund sieben Millionen Vollnarkosen mit Narkosegasen statt. Diese Gase sind hochgradig klimaschädlich: So entsprechen die Emissionen einer siebenstündigen Operation mit dem Narkosegas Desfluran etwa denen einer Autofahrt von 8.000 Kilometern. Narkosegase machen bis zu 35 Prozent der Gesamtemissionen einer Klinik aus und bleiben lange in der Atmosphäre – Desfluran bis zu 14 Jahre, Lachgas sogar bis zu 114 Jahre.

Hoher Energieverbrauch in Krankenhäusern

Krankenhäuser sind an sieben Tagen die Woche für 24 Stunden in Betrieb. Zum Klimawandel tragen sie vor allem durch ihren hohen Energiebedarf bei. Laut einem Factsheet des Deutschen Krankenhausinstituts von 2024 betrug der verbrauchte Fremdstrom eines Krankenhausbettes im Jahr 2019 beispielsweise 10.079 Kilowattstunden. Das war mehr als doppelt so viel wie der jährliche Verbrauch eines Haushaltes ab drei Personen mit 4.937 Kilowattstunden. Darüber hinaus verbrauchte ein Bett 2019 täglich 312 Liter Frischwasser – bei einer Privatperson lag der Verbrauch bei 127 Liter.

Jede Menge medizinischer Abfall

Ein weiteres Problem sind zudem die großen Müllmengen, die in Krankenhäusern anfallen. In den deutschen Kliniken sind dies laut AOK jährlich rund 100.000 Tonnen medizinischer Abfall. Ein Anteil von etwa 8.800 Tonnen geht dabei auf Einwegprodukte aus der Chirurgie zurück, darunter Instrumente wie Pinzetten, Klemmen, Scheren und Skalpelle.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) fordert vor diesem Hintergrund von der künftigen Bundesregierung einen Krankenhaus-Klimafonds mit einem Volumen von 31 Milliarden Euro. Grundlage für die Berechnung ist ein Gutachten des Institute for Health Care Business.

Umweltverschmutzung durch Arzneimittel

Der Klimawandel fördert die Entstehung chronischer Atemwegserkrankungen. Zur Behandlung setzen Ärzte verschiedene inhalative Medikament ein, die allerdings selbst in unterschiedlichem Ausmaß durch ihren CO2-Ausstoß zum Klimawandel beitragen. Dieser Umweltsünde will ein Aktionsbündnis Einhalt gebieten und den Anteil der klimaschädlichen Dosieraerosole deutlich verringern. Alternativen in Form von Pulverinhalatoren gibt es.

Antibiotika & Co. im Abwasser

Rückstände von Arzneimitteln im Abwasser, zum Beispiel von Antibiotika, können Wasserkreisläufe kontaminieren. Umso wichtiger ist die Wiederaufbereitung von Wasser im Krankenhaus. Wenig bekannt ist, dass auch frei verkäufliche Medikamente wie der schmerzlindernde Wirkstoff Diclofenac in Salben häufig ins Abwasser gelangen und eine hohe umweltschädigende Wirkung aufweisen.

Strukturen fördern schädliche Umweltwirkungen

Die starken negativen Auswirkungen des Gesundheitswesens auf den Planeten sind nicht allein durch mangelnden Klima- und Umweltschutz bedingt. Das System hat grundlegende strukturelle Probleme, die zu einem hohen unnötigen Verbrauch an Ressourcen führen – finanzieller und personeller als auch natürlicher Ressourcen.

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Im internationalen Vergleich bietet das deutsche Gesundheitssystem einen breiten Zugang für die Bevölkerung mit einem umfassenden Leistungsangebot. Trotzdem steht Deutschland im internationalen Vergleich nur mittelmäßig da, was die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung angeht und auch bei der Lebenserwartung besteht Luft nach oben. Der demografische Wandel und eine im Durchschnitt recht alte Bevölkerung spielen natürlich eine Rolle, aber auch überalterte Strukturen und fehlende Effizienz. Sie führen zu wachsenden Belastungen für die Finanzierungssysteme, für die Beschäftigten – und auch für Klima und Umwelt.

Deutschland liegt bei Risikofaktoren, die durch präventive Maßnahmen vermeidbar wären, über dem EU-Durchschnitt. Dazu zählen eine ungesunde Ernährungsweise, Rauchen und Alkoholkonsum, aber auch zu wenig Bewegung. So gehen Krankheitslast und Behandlungsbedarf in hohem Ausmaß auf Krankheiten zurück, die mit dem Lebensstil oder Umweltfaktoren zusammenhängen – dazu zählen etwa Herz-Kreislauf-Leiden, Rückenschmerzen, Krebs und chronische Lungenerkrankungen.

Ein weiterer Hebel: Das deutsche Gesundheitssystem ist traditionell stark auf die Behandlung bestehender Krankheiten ausgerichtet. Präventive Ansätze erhalten weniger Aufmerksamkeit und Ressourcen, obwohl sie das Potenzial haben, Menschen Krankheit zu ersparen, das System zu entlasten und Kosten einzusparen.

Ebenso liegt der Fokus mehr auf apparativen und invasiven Untersuchungen. Sie werden höher honoriert als die sogenannte sprechende Medizin. Für ausführliche Beratungen bleibt aus Gründen der Wirtschaftlichkeit oft keine Zeit, Prävention kommt eher zu kurz, ein hoher Technikeinsatz kostet Geld, Ressourcen und Energie.

Klimakrise belastet das Gesundheitswesen

Neben den eigenen Nachhaltigkeitslücken ist das Gesundheitswesen in vielerlei Hinsicht derzeit außerdem nicht ausreichend für den Klimawandel gerüstet, um die Patienten hinreichend zu schützen. Gesundheitliche Belastungen durch Hitze und UV-Strahlung, Atemwegserkrankungen, zunehmende Allergien, neue Infektionskrankheiten und die seelischen Belastungen durch die Klimakrise fordern das Gesundheitswesen zusätzlich heraus.

Stellschrauben für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem

Eine Binsenweisheit, aber dennoch an erster Stelle: Klima- und Umweltschutz müssen im Gesundheitssystem breit etabliert werden. Nachhaltigkeitsberichtserstattung, Treibhausgasrechner für Krankenhäuser und Pflege, die Etablierung nachhaltiger Standards für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen und die Einbeziehung des Arzneimittelwesens sind einige der der grundlegenden Schritte.

Darüber hinaus gilt es, das Gesundheitssystem selbst vor den Folgen der Klimakrise zu schützen, um auf Bedrohungen wie Hitze, andere Extremwetterereignisse, Pandemien und weitere mögliche Risiken vorbereitet zu sein. Die Aufklärung der Bevölkerung, sich bei Hitzewellen gut zu schützen und Medikamente richtig zu lagern, schützt das System vor Überlastung. Aber auch die Kliniken selbst brauchen Hitzeschutzpläne.

Ziel sollte es auch sein, das Gesundheitssystem zu entlasten, indem Prävention und Gesundheitsforderung priorisiert werden. Darüber hinaus sollten die Versorgungsstrukturen am echten Bedarf ausgerichtet sein. Anfänge in diese Richtung sind gemacht, jedoch für die Größe der Aufgabe längst noch nicht ausreichend. pf

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