Expertenrat für Klimafragen: Klimakurs auf unsicherem Fuß

Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hat bestätigt, dass Deutschland bis Ende des Jahrzehnts seinen Klimakurs einhalten kann. Die Bundesregierung wird somit nicht zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Ab 2030 wird es eng.
19.05.2025 – Vergangene Woche veröffentlichte der Expertenrat für Klimafragen (ERK) seinen Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2024 und zu den Projektionsdaten 2025, die das Umweltbundesamt (UBA) Mitte März vorgelegt hatte. Der ERK bestätigt die vom UBA vorgelegten Emissionsdaten für 2024. Demnach wurden die Klimaziele insgesamt eingehalten. Die Sektoren Gebäude und Verkehr überschritten ihre Emissionsbudgets dabei allerdings erneut und stärker als in den Vorjahren.
Anders als das UBA stellt der ERK keine Übererfüllung der Klimaziele 2024 fest. Auch im Vorjahresbericht war der ERK zu einem pessimistischeren Ergebnis gekommen als das UBA, und hatte festgestellt, dass das Emissionsbudget 2023 überschritten wurde. In diesem Jahr sieht der ERK Deutschland trotz Differenzen noch auf Klimakurs. Wäre das Emissionsbudget auch in diesem Jahr überschritten worden, hätte die Bundesregierung umgehend – d.h. noch in diesem Jahr – weitere Klimamaßnahmen ergreifen müssen.
„Zwar stellen wir im Ergebnis unserer Prüfung keine Überschreitung des Emissionsbudgets bis 2030 fest. Aber ohne den Puffer, der sich in den Jahren 2021 bis 2024 unter anderem durch Corona und die schwache Wirtschaft aufgebaut hat, wäre bis Ende 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutliche Budgetüberschreitung zu erwarten gewesen“, so der Ratsvorsitzende Hans-Martin Henning. „Zudem werden laut Projektionsdaten die nationalen Verpflichtungen unter der europäischen Lastenteilung ab dem Jahr 2024 verfehlt. Sie weisen eine im Vergleich zum vorigen Jahr gewachsene Ziellücke bis 2030 auf. Auch das übergeordnete 65-Prozent-Ziel für das Jahr 2030 würde nicht erreicht.“
Ab 2030 wird es eng
Der ERK weist darauf hin, dass die Ziele in diesem Jahrzehnt nur mit Hilfe des schnellen Ausbaus Erneuerbarer Energien und des in den Corona-Jahren aufgebauten ‚Puffers‘ eingehalten werden, jedoch strukturelle Zielverfehlungen vorliegen. Unklar bleibt, wie der Klimakurs nach 2030 eingehalten werden soll, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden. Die fortlaufenden Budgetüberschreitungen der Sektoren Verkehr und Wohnen können langfristig nicht durch Übererfüllung in anderen Bereichen abgefangen werden, der LULUCF-Sektor ist von einer Emissionssenke zur Emissionsquelle geworden, und was mit dem Restbudget 2045 passiere, sei weiter unklar.
„Vom Koalitionsvertrag geht kein nennenswerter Impuls für die Zielerreichung im Jahr 2030 aus“, stellt die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf fest. Zudem adressiere der Koalitionsvertrag die maßgeblichen Problemfelder nicht explizit und bleibe an vielen Stellen vage. Der ERK empfehle daher, das anstehende Klimaschutzprogramm neben der Sicherstellung der Zielerreichung für das Jahr 2030 auch explizit auf die identifizierten Handlungsfelder und die langfristige Erreichbarkeit der Klimaneutralität auszurichten.
Deutschland mit dem Sondervermögen auf Klimakurs bringen
Die Umwelt- und Klimaschutzorganisationen BUND, Germanwatch, NABU, DUH und Greenpeace fordern ein effektives Klimaschutzprogramm von der neuen Bundesregierung, mit Programmen für eine dauerhafte Senkung der Emissionen über 2030 hinaus, und mit besonderem Augenmerk auf die Sektoren Verkehr und Wohnen. Sie fordern unter anderem Sofortmaßnahmen wie ein Tempolimit, eine sozialverträgliche Wärmewende und Sanierungsoffensive und den Abbau klimaschädlicher Subventionen.
„Entscheidend für ein wirkungsvolles, akzeptiertes und sozial ausgewogenes Klimaschutzpaket ist ein intelligenter Mix aus Fördermaßnahmen, Steuer- und Ordnungsrecht sowie einer weiterentwickelten CO2-Bepreisung“, sagt Kai Bergmann, Referent für deutsche Klimapolitik bei Germanwatch. Ganz entscheidend sei, dass jetzt ein Elektrifizierungs-Turbo bei Mobilität und Heizen für Haushalte kommt – und zwar als gezielte Förderung für die Haushalte insbesondere im ländlichen Raum, die die nötigen Investitionen ohne deutliche finanzielle Unterstützung kaum stemmen können. Die intelligente Nutzung des Sondervermögens werde der Lackmustest für den Willen dieser Regierung, Deutschland auf Klimazielkurs zu bringen.
Greenpeace und DUH führen derzeit jeweils Klagen gegen die letzte Änderung des Klimaschutzgesetzes, mit der unter anderem die Sektorenziele aufgegeben wurden. Mit der Verfehlung der Sektorenziele riskiert Deutschland auch hohe Ersatzzahlungen für die Emissionsüberschreitungen an die EU.
„Die genauen Kosten pro überschrittener Tonne CO2 sind noch nicht bekannt, es wird aber vielfach angenommen, dass die Kosten mindestens in der Größenordnung von 50 bis 100 € pro Tonne CO2 liegen werden, möglicherweise auch höher. Dies würde bedeuten, dass Deutschland infolge seiner unzureichenden Emissionsminderungen insbesondere in den Sektoren Verkehr und Gebäude bis 2030 mit Kosten in Höhe von mindestens 11 bis 22 Milliarden Euro rechnen muss“, ordnet Sascha Samadi, Senior Researcher, Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH ein.
Erneuerbarer Strom gegen die Klimakrise
Mehr Elektrifizierung – Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Co. – könnte die Sektoren auf Klimakurs bringen. „Erneuerbare Energien sind die grundlegende Stellschraube im Kampf gegen die Klimakrise“, betont Verena Graichen, Geschäftsführerin Politik beim BUND. „Durch den Einsatz von erneuerbaren Energien können langfristig die Energiekosten im Strom-, Wärme- und Mobilitätssektor gesenkt oder stabil gehalten werden. Die Preise für Sonnen- und Windenergie sind auch langfristig kalkulierbar. Fossile Brennstoffe bedeuten geopolitische Abhängigkeiten und künftig weiter steigende Beschaffungs- und Folgekosten.“
Sinkende Strompreise bei steigenden Erdgaspreisen könnten beispielsweise die Elektrifizierung in der Industrie und in den Gebäuden voranbringen und auf diese Weise die Emissionen erheblich senken, bestätigt Samadi. Eine wesentliche von der Politik ausgehende Unsicherheit bestehe in der Frage, welche bestehenden Klimaschutzinstrumente auch nach dem Wechsel der Bundesregierung mit welchen Fördervolumina beibehalten werden.
“Unsere Klimaziele sind kein Selbstzweck, sondern der Motor für Fortschritt und die Voraussetzung für Gesundheit, Lebensqualität und wirtschaftliche Stabilität“, warnt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Jetzt ist der Moment, politische Verantwortung zu übernehmen.“ jb