KlimakriseLokale dezentrale Energiesysteme für resiliente Städte

Blick auf Großstadt mit Lichtern bei Nacht
Ein großflächiger Stromausfall wäre der Gau für jede Stadt. Mit lokalen dezentralen Energiesystemen könnten Städte resilienter werden. (Foto: Zac Ong on Unsplash)

Microgrids könnten urbane Infrastrukturen bei Stromausfällen infolge Klimakatastrophen oder Cyberangriffen widerstandsfähiger machen. Eine Studie untersucht, wie Städte die Transformation zu einer nachhaltigen Versorgung gerecht gestalten könnten.

22.07.2024 – Ein weltweiter IT-Ausfall hatte am vergangenen Freitag den internationalen Flug- und Bahnverkehr teilweise lahngelegt, auch einige Banken und Medienunternehmen waren betroffen. Das hat die Abhängigkeit von einer vernetzten und funktionierenden Infrastruktur wieder einmal deutlich vor Augen geführt. Auch urbane Infrastrukturen sind immer häufiger großen Risiken ausgesetzt, bspw. großflächigen Stromausfällen nach einem schwerwiegenden Cyberangriff oder durch den Klimawandel verursachten Extremwetterereignissen, zuletzt bspw. die massiven Überschwemmungen weiter Teile Süddeutschlands.

Wie aber lassen sich urbane Infrastrukturen resilienter gestalten und wie Risiken für die Bevölkerung verringern?

Die Frage, wie Städte und Gemeinden die Versorgung und Sicherheit der Bevölkerung widerstandsfähiger gegen solche Krisen gestalten können, rückt sogenannte Microgrids, also lokale dezentrale Energiesysteme, in den Fokus. Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben sich des Themas angenommen und stellen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Sustainability Designkriterien für solche Microgrids, vor, die neben technischen Faktoren einen fairen Umgang mit unterschiedlichen sozialen Gruppen berücksichtigen.

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Planungsgrundlage für Stadtplaner: Verschiedene Aspekte integrieren

Dezentrale Systeme zur Erzeugung, Speicherung und Verteilung von Energie, zum Beispiel mit vernetzten Photovoltaik-Anlagen und Blockheizkraftwerken, könnten großflächige Stromausfälle im gesamten Stadtgebiet unwahrscheinlicher machen und die Funktion kritischer Infrastrukturen der Daseinsvorsorge sichern, heißt es in der Studie.

Eine Gruppe deutscher und US-amerikanischer Forschender unter Leitung von Dr. Sadeeb Simon Ottenburger, Abteilungsleiter am Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit (ITES) des KIT, hat dafür ein Modell für eine raumplanerische Konzeption von Microgrids erarbeitet. Die Studie biete Städteplanern eine Vorlage für einen Planungsprozess, der verschiedene Aspekte integriert – einschließlich sozioökonomischer Faktoren und Fragen der gesellschaftlichen Partizipation im Planungsprozess. Beteiligt waren Mitarbeitende des ITES, des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT sowie in den USA des Energy Production and Infrastructure Centers (EPIC) der University North Carolina und des National Renewable Energy Laboratory (NREL) in Colorado.

Energy Gerrymandering: Wer hat Zugang zur Energieversorgung?

„Eine Besonderheit unseres Ansatzes ist, dass wir nicht isoliert technische Parameter oder Kostenfragen berücksichtigen, sondern uns mit der Frage beschäftigen, welche Rolle der Zuschnitt von Microgrids hinsichtlich einer fairen Verteilung der Versorgung spielt“, erklärt Ottenburger. „Stellen Sie sich die Stadt als Puzzle vor. Wie die Puzzleteile zugeschnitten sind, kann variieren. Die Grenzziehungen von Energienetzen sind Ergebnis bewusster Entscheidungen und haben Auswirkungen auf die Bevölkerung. Es macht im Krisenfall einen Unterschied, wie Angebote zur Gesundheits-, Sicherheits- und Lebensmittelversorgung innerhalb einzelner Microgrids, aber auch im gesamten Stadtgebiet verteilt sind.“

 

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Planerischer Gestaltungsspielraum

Mit dem Begriff der „Freiheitsgrade“ hebt die Studie die Bedeutung des planerischen Gestaltungsspielraums hervor. Um auf potenziell negative Folgen von Einteilungen hinzuweisen, die Fragen der sozialen Gerechtigkeit nicht berücksichtigen, benutzten die Studienautor:innen den Begriff „energy gerrymandering“, angelehnt an das politische gerrymandering, bekannt aus den USA, beim Zuschnitt von Wahlbezirken zum Vorteil bestimmter Gruppen. Die Definition von Microgrid-Bezirken kann demnach zu einer ungerechten Verteilung von Ressourcen und Vorteilen führen, erläutern die Forschenden. Starke und wohlhabende Gruppen könnten bevorzugt, sozial schwächere und vulnerable Gruppen benachteiligt werden. „Zu Resilienz gehört auch, zu definieren, wie der Zugang für verschiedene Gruppen der Bevölkerung gestaltet wird“, sagt Ottenburger.

Bewertung des Wohlbefindens als relevante Messgröße

Die Studie richtet den Fokus auf den Zusammenhang zwischen der unterschiedlichen Verwundbarkeit sozialer Gruppen und einem gerechten Zugang zu Energie und Versorgung. Dazu haben die Forschenden Metriken mittels existierender Vulnerabilitätsindizes entwickelt, die das Wohlbefinden der Bevölkerung (Wellbeing) als Messgröße beschreiben und darstellen, wie Energieausfälle insbesondere sozial und ökonomisch empfindliche Gruppen betreffen: Kranke, Familien mit Kindern, ältere Menschen und Geringverdiener.

Daten aus Fallstudie nach Hurrikan

Datengrundlage hierfür bot eine umfassende Fallstudie nach Stromausfällen während des Hurrikans Florence im September 2018 in New Hanover County, North Carolina, berichtet das Forscherteam. Diese steuerten die Projektpartner in den USA bei. Die Daten ermöglichten eine Analyse der kritischen Infrastruktur, deren Verwundbarkeit in Verbindung mit der geografischen Verteilung sozial benachteiligter Haushalte und deren Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Das Projektteam entwickelte daraus ein universelles Design, das es für jede Stadt ermöglicht, urbane Resilienz umfassend zu bewerten und Vorschläge für einen Zuschnitt von Microgrids zu generieren, der technische und soziale Fragen berücksichtigen soll.

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Faire Beteiligung gewährleisten

Für eine gerechte Verteilung und Zugänglichkeit kritischer Dienstleistungen wie Gesundheits- und Sicherheitsstrukturen sollte eine Stadt nicht nur eines, sondern mehrere Microgrids errichten, empfehlen die Studienautoren. Mit Blick auf die Grenzziehungen der Versorgungsnetze sollten Stadtverwaltungen Institutionen in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Sicherheit, Vertreter unterschiedlicher sozialer Gruppen, Bildungseinrichtungen und sozialer Dienste aktiv in die Planungs- und Entscheidungsprozesse einbeziehen – um möglichst die Bedürfnisse aller sozialen Gruppen fair zu berücksichtigen.

„Die Suche nach optimierten Microgrid-Zuschnitten ist hoch komplex und bedarf neuer Algorithmen, um aus den vorhandenen Daten tragfähige Modelle zu entwickeln“, sagt Ottenburger. Entscheidend dabei wäre, dass resiliente Lösungen nicht unbedingt eine Frage von mehr Investition seien – sondern vor allem von einer klugen Planung. „Wir sollten darauf achten, dass alle Gruppen eine Stimme haben und an diesen Prozessen teilnehmen können.“

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