Hamburg Climate Futures Outlook 2024: Mit unmittelbarer Anpassung kaufen wir Zeit, mit nachhaltiger Klimaanpassung Zukunft
Mehr Aktivität und trotzdem Rückschritte beim Klimaschutz. Und bei der Anpassung an den Klimawandel sind wir noch weit entfernt von zukunftsträchtigen Maßnahmen. Hamburger Forscher:innen zeigen auf, woran es konkret hapert.
20.09.2024 – Es ist eine breit angelegte, interdisziplinäre und jährlich erscheinende wissenschaftliche Untersuchung zur Zukunft von Klimaschutz und Klimaanpassung. Am gestrigen Donnerstag stellten Forscher:innen den „Hamburg Climate Futures Outlook 2024“ vor. Es geht einerseits um die Fortschritte bei der sogenannten „tiefen Dekarbonisierung“ – also dem Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 – und andererseits um Tiefe und Art von Klimaanpassungsmaßnahmen, die anhand von 9 Fallbeispielen ermittelt werden.
Zwar sei das Aktivitätslevel bezüglich Klimaschutzmaßnahmen gestiegen, zugleich aber das Erreichen von Netto-Null-Emissionen 2050 in die Ferne gerückt, konstatieren die Forscher:innen. Während etwa die transnationale Zusammenarbeit, Klimagesetzgebung, Klimaklagen und soziale Bewegungen die Dekarbonisierung mehr oder minder stark befördern, sorgen Produktionsstrategien von Unternehmen, Konsum der Gesellschaft und die wiederaufflammenden Investitionen in fossile Brennstoffe für ein Hemmnis des Netto-Null-Ziels bis 2050.
„Es wird wieder massiv in Öl, Gas und Kohle investiert. Die Wette auf den Finanzmärkten müsste aber entgegengesetzt laufen“, sagt Anita Engels, Professorin am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Der Treiber Divestment, der Abzug von Finanzmitteln aus fossilen Industrien, habe seit 2023 seine Richtung gewechselt. In Europa und den USA schreitet die Energiewende zwar unaufhaltsam voran, zugleich wird aber massiv in Gas- und Öl-Infrastrukturen investiert. Auch China zeigt sich ambivalent. Kein Land investiert mehr in Erneuerbare Energien und damit die Dekarbonisierung, zugleich werden neue Kohlekraftwerke ans Netz gebracht.
Klimaanpassung im Fokus
Da seit einigen Jahren immer deutlicher wird, dass der Klimawandel bis zu einem gewissen Grad nicht mehr abwendbar ist und es beim Klimaschutz nun darum geht noch schlimmere Folgen zu verhindern, rücken Klimaanpassungsmaßnahmen in den Fokus. Die Forscher:innen hinter dem Hamburg Climate Futures Outlook haben anhand von neun Fallstudien verschiedener Regionen auf der Erde wesentlichen Faktoren identifiziert, die beeinflussen, ob eine nachhaltige Klimaanpassung plausibel ist. „Wo Anpassung nicht durchdacht wird, können Nebenwirkungen die Erfolge zunichtemachen“, sagt Beate Ratter, Professorin für Geografie am Exzellenzcluster „Klima, Klimawandel und Gesellschaft“ (CLICCS) der Universität Hamburg.
Mit unmittelbarer Anpassung kaufe man Zeit, mit nachhaltiger Anpassung Zukunft, so Ratter bei der Vorstellung der Analyse in Hamburg. Die unterschiedlichen Arten von Anpassung legt Ratter wie folgt dar: Die erste Stufe ist die unmittelbare Krisenbewältigung (coping), etwa akute Maßnahmen bei Überschwemmungen oder Dürre. Vorausschauender sind Maßnahmen der zweiten Stufe, hier werden schrittweise präventive Anpassungen vorgenommen (incremental), die helfen sollen negative Klimafolgen in naher Zukunft abzuwenden. Die dritte Stufe, eine nachhaltige Anpassung, erfordert einen grundlegenden Umbau von Strukturen und Prozessen, eine Transformation.
So gebe es in Sao Paulo in Brasilien zwar gute Konzepte für den klimagerechten Umbau der Stadt, befördert von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und Mitarbeiter:innen in den Behörden, aber die wechselnden Regierungen würden dies nicht genügend unterstützen, so Eduardo Gresse vom Exzellencluster CLICCS. „Es gab ein gut durchdachtes Konzept zivilgesellschaftlicher Akteure ein Viertel in Sao Paulo besser vor Hochwasser zu schützen. Dann kam ein schweres Hochwasserereignis, dass das Viertel überflutete. Anschließend gingen die Stadtoberen nicht auf die Zivilgesellschaft ein, sondern bauten lediglich einen großen Kanal durch das Viertel, der die Situation am Ende verschlimmerte“, berichtet Gresse. In Hamburg dagegen gebe es mit dem Bau der neuen Hafencity ein durchdachtes Konzept für den Hochwasserschutz. Gleichzeitig hapere es am Starkregenmanagement.
Klimaanpassung könne nur funktionieren, wenn anhaltende politische Konflikte, gesellschaftliche Ungleichheit und weitere strukturelle Probleme bearbeitet werden, so die Forscher:innen. Zugleich sollten soziokulturelle Aktivitäten gestärkt werden. Denn nur gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung und deren Wissen könne nachhaltige Klimaanpassung implementiert werden und funktionieren. mg