Tief Anett: Vorbildlicher Hochwasserschutz in Wien
Es ist ein Lichtblick in Stunden schrecklicher Meldungen und Bilder aus den Hochwassergebieten in Rumänien, Tschechien, Polen und Österreich. In Wien entlastet ein ausgeklügeltes Hochwasserschutzkonzept die Stadt.
17.09.2024 – Eine schlimmere Katastrophe konnte in Wien bislang wohl verhindert werden, während der Rest von Niederösterreich ein Katastrophengebiet ist. Mehrere Tote wurden bereits vermeldet. Ein Staudamm in St-Polta ist gebrochen. Der Stausee Dobra läuft unkontrolliert über in den Fluss Kamp, der wiederum in die Donau fließt. Wassermassen, die weiter nach Wien ziehen.
Doch die Stadt hat angesichts früherer Hochwasserlagen schon früh angefangen Schutzkonzepte zu erarbeiten, um die Donau zu entlasten. Es wurde ab 1870 ein Überschwemmungsgebiet geschaffen, dass bei normalen Wasserständen als Erholungsgebiet diente. Als sich zeigte, dass das Überschwemmungsgebiet bei Hochwassern nicht ausreichte, wurde ein zweites Hochwasserschutzprojekt gestartet. Die Bauarbeiten dauerten von 1972 bis 1987.
Entlastungsrinnen und Rückhaltebecken
Das Überschwemmungsgebiet selbst wurde zum Teil aufgeschüttet und ist heute die berühmte, 21 Kilometer lange, Donauinsel, eines der Naherholungsgebiete der Wiener:innen. Zwischen Ufer und Donauinsel wurde eine Entlastungsrinne, die sogenannte Neue Donau geschaffen. Ein Einlaufbauwerk zu Beginn der Neuen Donau verhindert normalerweise das Einfließen von Wasser. Das Wasser der Neuen Donau steht und wird zum Baden genutzt.
Ab einem Pegelstand der Donau von 5,20 Metern werden die Wehrfelder des Einlaufbauwerks überströmt und das Donauhochwasser fließt zunächst ohne Zutun in die Neue Donau. Ab einem Pegelstand von ca. 6 Metern werden die Wehrfelder langsam geöffnet und das Hochwasser wird kontrolliert abgeleitet. So wird der Hauptarm sowie ein weiterer Nebenarm – die „Alte Donau“ – entlastet. Zwei weitere Wehre innerhalb der Neuen Donau kontrollieren den weiteren Zu- und Abfluss. Während dieser Zeit besteht ein Badeverbot.
Auch Rückhaltebecken und das umgebaute Wienflussbecken bieten innerhalb der Stadt Schutz vor extremen Hochwasserlagen. Der tief im Boden, von hohen Betonwänden eingefasste Fluss ist im Normallfall nicht mehr als ein Rinnsal und führt rund 200 Liter pro Sekunde. Auf einem Teil der Strecke wurde eine Radbahn in die Ebene gelassen, weil der Fluss so wenig Platz benötigt. Direkt neben dem Flussbecken führt abschnittsweise die U-Bahnlinie 4 entlang.
Doch bei Hochwasser kann das Wasservolumen in kurzer Zeit extrem ansteigen, auf 450.000 Liter pro Sekunde, wie die Stadt Wien mitteilt. Der insgesamt 34 Kilometer lange Wienfluss entspringt im Wienerwald, mit einem anfangs starken Gefälle. Was aus einem Rinnsal schnell eine reißende Strömung macht.
Droht der Fluss komplett überzulaufen und in die angrenzenden Straßen und Wohnviertel hinein, dann stehen sechs Rückhaltebecken am Ortseingang von Wien bereit. Bei Normalwasserstand durchfließt der Wienfluss die Rückhaltebecken. Zeichnen sich Hochwasserlagen ab, werden diese Rückhaltebecken zunächst mit Wehren geschlossen, um eine Vorbefüllung zu vermeiden. Das Wasser fließt durch ein Umgehungsgerinne vorbei. Erst wenn das Flussbett in der Stadt die Wassermassen nicht mehr adäquat durchleiten kann, werden die Wassermassen wieder in die Rückhaltebecken abgeleitet und nach und nach befüllt.
Wie extrem die Hochwasserlage ist, zeigt, dass die Rückhaltebecken schon am Sonntag komplett voll waren und der Wienfluss „unentschärft in die Innenstadt“ floss, wie der Sprecher der Wiener Gewässerbetriebe der APA, der österreichischen Presseagentur mitteilte. Das Wasser überstieg im laufe des Sonntags die Mauer zu den Bahngleisen, die U-Bahnlinie 4 ist unterbrochen. Schnell errichtete Schutzmauern verhindern das Eindringen des Wassers in die Bahnhöfe. Auch war das Flussbett an einigen Stellen über die Ufer getreten und in Häuser gelaufen.
Tief Anett
Doch eine schlimmere Katastrophe für die Menschen in der Stadt konnte mit den Hochwasserschutzkonzepten wohl wieder einmal verhindert werden. Schon am gestrigen Montag konnten wegen einer Regenpause, die Rückhaltebecken vorsichtig wieder entleert werden, um Platz für neue Notsituationen zu schaffen. Die gute Nachricht: ab Dienstagmittag ist an der Regenfront Entspannung in Sicht. Bislang fielen in Teilen der Stadt bis zu 300 Millimeter Niederschlag (was umgerechnet 300 Liter Wasser auf einen Quadratmeter ausmacht), in anderen Teilen Niederösterreichs waren es bis zu 400 Millimeter. Der Normalfall liegt bei 60 Millimeter für den ganzen Monat September.
In der vergangenen Woche bildete sich über dem Mittelmeerraum, in Höhe des Golfs von Genua, ein Tiefdruckgebiet, mit dem Namen „Anett“, welches angetrieben durch polare Höhenluft und dem sehr warmen Mittelmeer, viel Druck aufbaute und gegen den Uhrzeigersinn gen Norden trieb. Dabei führte das Tiefdruckgebiet viel feuchte und warme Mittelmeerluft mit sich. Den je wärmer die Meere infolge der Klimakrise, desto mehr Feuchtigkeit nehmen die Wolken auf und führen sie ins Landesinnere. Ein Hochdruckgebiet im Norden verhinderte bislang, dass das Tiefdruckgebiet abziehen konnte. Die Regenmassen ergossen sich so ungehindert in Österreich und den Nachbarländern. mg