CLICCS-Studie EU-Emissionshandel: Was Deutschlands Kohleausstieg fürs Klima bringt

Deutschland plant den Kohleausstieg bis 2038, doch dessen tatsächliche Klimawirkung ist umstritten. Denn nationale Klimaschutzmaßnahmen entfalten laut Studie oft nicht die gewünschte Wirkung, da sie nicht mit dem EU-Emissionshandel abgestimmt sind.
17.04.2025 – Eine neue Studie des Exzellenzclusters CLICCS an der Universität Hamburg analysiert die tatsächliche Klimawirkung des deutschen Kohleausstiegs bis 2038 und wirft dabei ein überraschendes Licht auf solche nationalen Alleingänge. Die Forscher haben untersucht, wie sich überlappende Klimapolitik – also zusätzliche Maßnahmen einzelner Länder zu größeren politischen Beschlüssen wie dem EU-Emissionshandel (ETS) – auf die globalen Emissionen auswirken.
Der Kohleausstieg reduziere zwar die CO2-Emissionen in Deutschland, doch ein „internes CO2-Leck“ könnte die Einsparungen durch steigende Emissionen in anderen Ländern zunichtemachen, heißt es in der Studie. Zudem senke der Kohleausstieg den Preis für Emissionsrechte, was andere Sektoren zu höheren Emissionen verleite. Die Forscher plädieren für eine bessere Koordination nationaler und europäischer Klimapolitiken und wie zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen wirklich wirksam werden können. Ein entscheidender Punkt ist dabei auch der zügige Ausbau der Erneuerbaren Energien.
„Einige nationale Klimaschutzmaßnahmen entfalten ihre volle Wirkung nicht, weil sie nicht mit dem ETS abgestimmt sind“, erklärt Studienautor Prof. Dr. Grischa Perino, außerdem Verfasser eines Gutachtens zum Kohleausstieg für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Im ETS ist die Gesamtmenge an Emissionsrechten geregelt, die den Ausstoß von CO2 begrenzen. Diese Rechte können Unternehmen erwerben und handeln. Jahr für Jahr wird die Anzahl der Rechte verknappt. So soll eine Verringerung der Emissionen gemäß der EU-Klimaziele erreicht werden, erläutern die Studienautoren.
Parallel wurden Klimaschutzmaßnahmen wie der deutsche Kohleausstieg beschlossen – Fachleute sprechen hier von „überlappenden Klimapolitiken“. Die Ampelregierung zerbrach auch an der Frage, ob solche Maßnahmen zusätzlich zum ETS etwas bringen. So war die FDP der Meinung, es brauche neben dem ETS keine weiteren Maßnahmen. Zum Teil stimmt das sogar: „Wir müssen genau hinschauen, ob das, was national an Emissionen eingespart wird, nicht einfach woanders wieder freigesetzt wird“, sagt Klima-Ökonom Perino.
Perino und seine Kollegen beleuchten das Problem anhand von Beispielen weltweit, darunter auch des deutschen Kohleausstiegs. Für diesen ist das Ergebnis verhalten positiv: „Im rechtlichen Spielraum hat die Bundesregierung das Beste aus dem Gesetz gemacht. Zusammen mit den 2023 beschlossenen Änderungen auf EU-Ebene ist derzeit davon auszugehen, dass der deutsche Kohleausstieg zum Klimaschutz beiträgt“, erklärt Perino.
CO2-Leck im System
In Deutschland wurde der Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 beschlossen. Grundsätzlich gebe es jedoch zwei Probleme, heißt es in der Studie: Schaltet Deutschland seine Kohlekraftwerke ab, verringere sich zwar hierzulande die schmutzige Stromproduktion. Weil aber Strom in einem vernetzten europäischen Markt gehandelt wird, könnten andere Länder mit ihren Kohlekraftwerken einspringen und die Lücke füllen. Dann wäre selbst ohne ETS die Klimawirkung in Wahrheit kleiner als man sie in Deutschland verbuchen würde – ein Phänomen, das die Studienautoren als „internes CO2-Leck“ bezeichnen.
Im schlimmsten Fall wären demnach die anderen Kraftwerke weniger effizient oder nutzten schmutzigere Brennstoffe. Dann könnten die Emissionen sogar steigen. Für das Jahr 2020 beziffern die Forscher diese Verlustrate auf rund 55 Prozent. Das würde bedeuten, dass von jeder Tonne CO2, die Deutschland zu diesem Zeitpunkt einspart, mehr als die Hälfte durch zusätzliche Emissionen in anderen Ländern wieder zunichtegemacht werden können.
Der Wasserbett-Effekt
Das zweite Problem liege im ETS: Der EU-Emissionshandel funktioniert wie ein Deckel auf den gesamten Emissionen von Sektoren wie Energie und Industrie, erläutern die Forscher. Wird in einem Land wie Deutschland die Nachfrage nach Emissionsrechten durch den Kohleausstieg reduziert, sinkt der Preis dieser Rechte. Das wiederum kann dazu führen, dass Unternehmen in anderen Sektoren oder Ländern mehr ausstoßen, da die Verschmutzung für sie billiger geworden ist.
Dieser sogenannte Wasserbett-Effekt sorgte in der Vergangenheit dafür, dass Maßnahmen einzelner Länder oft wirkungslos blieben, so die Studienautoren. „Wie bei einem Wasserbett, bei dem man eine Stelle herunterdrückt und sich dadurch eine andere Stelle anhebt“, sagt Perino. Durch die Einführung der Marktstabilitätsreserve (MSR) im EU-Emissionshandel, vergleichbar mit einem Überdruckventil im Wasserbett, sei dieser Effekt zeitweise verschwunden, da sie automatisch freiwerdende Emissionsrechte lösche. Die MSR werde sich aber in absehbarer Zeit selbst deaktivieren. „Dann ist der Wasserbett-Effekt wieder zurück“, analysieren die Forscher.
Um sicherzustellen, dass auch in Zukunft zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen zur Reduktion der Gesamtemissionen beitragen, müsste man – um im Bild des Wasserbettes zu bleiben – die entsprechende Menge Wasser ablassen, also die Emissionsrechte löschen, sobald die MSR – das Überdruckventil im ETS – dies nicht mehr automatisch macht, schreiben die Studienautoren. Der Kohleausstieg sei daher bis dato die einzige Klimaschutzmaßnahme, die dies vorsieht und damit die Wirkung der MSR sinnvoll ergänze. So kommt Grischa Perino zu dem Schluss, dass „alle durch den deutschen Kohleausstieg erreichten CO2-Einsparungen seit 2021 sehr wahrscheinlich in vollem Umfang die Gesamtemissionen in der EU reduzieren.“
Wie lange die Marktstabilitätsreserve noch automatisch die eingesparten Emissionen vom Markt nimmt, hänge jedoch davon ab, wie sich der Markt entwickelt und ob die Regeln des EU-Emissionshandels fortbestehen werden, heißt es in der Studie. Ob die Bundesregierung sich an den eigenen Plan hält, selbst erforderliche Emissionsrechte zu löschen und auf die Einnahmen aus deren Versteigerung zu verzichten, bleibe jedoch abzusehen. Davon hänge entscheidend ab, ob der deutsche Kohleausstieg auch in Zukunft eine echte Klimaschutzwirkung hat.
Wie Klimaschutz wirklich wirkt
Die Studie zeigt nicht nur Probleme auf, sondern auch Lösungswege – wie mit dem ETS überlappende Klimapolitik besonders wirksam ist und kommt zu dem Schluss: Maßnahmen wie die Förderung Erneuerbarer Energien sind wirksamer als solche, die versuchen, Verschmutzer direkt anzugehen. Wenn Deutschland etwa massiv in Wind- und Solarenergie investiert, drücke das den Strompreis und könnte soauch in Nachbarländern die Nachfrage nach schmutzigem Strom aus Kohle und Gas senken.
Grischa Perino und seine Kollegen plädieren für eine besser abgestimmte Klimapolitik zwischen nationaler und europäischer Ebene und einen verlässlichen Emissionshandel. Weitere Maßnahmen sollten Investitionsanreize für saubere Alternativen bieten und den sozialen Ausgleich für die Bürgerinnen und Bürger beinhalten.
Direkte Auswirkungen auf privaten Klimaschutz
Die Probleme im ETS wirken sich auch auf den privaten Klimaschutz aus: Bürgerinnen und Bürger könnten das Klima grundsätzlich schonen, indem sie etwas tun, das nicht dem ETS unterliegt – etwa weniger Fleisch essen. Derzeit helfe es noch, weniger Auto zu fahren, Strom zu sparen oder weniger zu heizen. In den nächsten zwei bis drei Jahren werde sich dies jedoch ändern, da die MSR endet und der ab 2027 geltende ETS 2 für die Sektoren Wärme und Verkehr anders aufgebaut sein wird, geben die Forscher zu bedenken.
„Diese Argumente werden – zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht – genutzt, um Maßnahmen zu torpedieren“, meint Perino. Aktuelle Beispiele dafür seien das heikle Lindner-Papier vom November 2024 und die kleine Anfrage der FDP an die Bundesregierung in diesem Jahr. Beides stellte effektive Klimaschutzmaßnahmen in Frage. „Für den Kohleausstieg scheint das BMWK bisher alles richtig gemacht zu haben – beziehungsweise wurden Verfahrensfehler für das Jahr 2021 von der MSR ausgebügelt“, sagt Perino. Ob das genauso für die neue Bundesregierung gilt, wäre noch offen.
Empfohlene Maßnahmen in der Studie
Möchte man mehr erreichen als der ETS allein, helfen vier Daumenregeln, empfehlen die Studienautoren:
- Prüfen: Bevor man sich für eine Klimaschutzmaßnahme entscheidet, muss man prüfen, ob die Marktstabilitätsreserve noch aktiv ist.
- Schnell sein: Die Maßnahme sollte wirksam werden, solange die MSR noch aktiv ist – also besser noch in diesem Jahr.
- Alternativen fördern: Es ist immer besser, die Nachfrage nach beispielsweise schmutzigem Kohlestrom zu reduzieren (etwa durch die Anschaffung einer Solaranlage), statt die Emissionsquelle einfach abzuschalten. Letzteres birgt die Gefahr, dass stattdessen andere – womöglich noch schmutzigere – Quellen zum Einsatz kommen.
- Löschen: Ist die MSR nicht mehr aktiv, müssen Emissionsrechte direkt gelöscht werden. Privatpersonen und Firmen könnten dies bei entsprechenden Organisationen veranlassen.