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Auf dem Weg nach Paris

Die Ende des Jahres anstehende Weltklimakonferenz rückt immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Ob die Staatengemeinschaft sich beim Klimaschutz einigen und den Erneuerbaren den Weg ebnen wird, ist derzeit völlig offen.

14.08.2015 – 36 Milliarden Tonnen Treibhausgase. Dies ist die Emissionsmenge aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, die weltweit allein im Jahr 2013 in die Atmosphäre gelangt ist – und dies ist nur die Momentaufnahme von einer beängstigenden Dynamik: So war der absolute Emissionszuwachs in den vergangenen zehn Jahren größer als jemals zuvor seit Beginn der Industrialisierung. Demgegenüber erscheinen die seit den frühen 1990er Jahren andauernden Bemühungen der Staatengemeinschaft, im Rahmen der UN-Konvention einen „gefährlichen Klimawandel“ abzuwenden, wie Aktionen in einer Parallelwelt. Setzt sich der derzeitige Emissionstrend weitgehend ungebremst fort, ist zu erwarten, dass die Mitteltemperatur bis Ende dieses Jahrhunderts um 3,7 bis 4,8 Grad Celsius ansteigen wird. ...“

Die hier zitierte Passage steht am Anfang des Kapitels „Keine Angst vor der Großen Transformation“, das die Wissenschaftler Hans Joachim Schellnhuber und Daniel Klingenfeld für den Oekom-Band „Klimaschutz – neues globales Abkommen in Sichtweite?“ beigesteuert haben – eine von zahlreichen neuen Publikationen, die den anstehenden Pariser Klimagipfel in den Fokus nehmen (Seite 75). Ihr Szenario einer vier bis fünf Grad wärmeren Welt ist bedrohlich. Bereits heute fordern Extremwetterereignisse, die als mögliche Vorboten eines gefährlichen Klimawandels eingestuft werden, zigtausende Menschenleben. Die Autoren zeigen auch die Chancen einer nachhaltigen Energiewirtschaft auf. Verschweigen können sie die Risiken jedoch nicht, die entstehen, falls die Verhandlungen im Dezember scheitern sollten.

Der anstehenden Konferenz wird wieder einmal höchste Bedeutung beigemessen, nachdem zuvor unzählige Klimagipfel enttäuschend verliefen. In Nachfolge des Kyoto-Protokolls soll eine neue internationale Klimaschutz-Vereinbarung verabschiedet werden. Ziel ist, den Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen in den Griff zu bekommen, indem für über 190 Staaten völkerrechtlich verbindliche Ziele festgeschrieben werden. Das ist dringend geboten: Seitdem 1988 das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ins Leben gerufen wurde, ist die CO2- Konzentration in der Atmosphäre stetig gestiegen – von 351,56 parts per million (ppm) bis auf aktuell über 400 ppm. Die höchstzulässige Konzentration wird auf maximal 480 ppm geschätzt. Doch kann dies gelingen, wenn selbst hochentwickelte Industrienationen ihre Klima-Hausaufgaben nicht erledigen?

Tatsächlich sind zur Einhaltung des erklärten Ziels, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, erhebliche Anstrengungen erforderlich. Nicht selten wird sogar ein 1,5-Grad-Ziel gefordert, um schlimmste Konsequenzen für das globale Klima zu verhindern. Forscher wie etwa der Ökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Pik) wollen deshalb nicht nur Emissionen begrenzen, sondern der Atmosphäre obendrein CO2 entziehen. Zugleich wird immer wieder betont, dass das Zwei-Grad-Ziel technisch-ökonomisch machbar ist – wenn nur schnell genug gehandelt wird. Schellnhuber, unter anderem Ko-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), und ebenfalls am Pik, stellt deshalb gemeinsam mit Daniel Klingenfeld eine Forderung ins Zentrum: Die Politiker müssten jetzt eine „globale Emissionstrendwende bis zum Jahr 2020“ einleiten. Je eher der Scheitelpunkt erreicht werde, desto günstiger und wahrscheinlicher sei ein erfolgreiches Gegensteuern.

Erneuerbare machen Mut

Auch Oliver Geden von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik betont angesichts der aktuell vorliegenden nationalen Klimaschutzbeiträge, dass das, was die einzelnen Länder anbieten, auf keinen Fall ausreiche: „Deshalb hat sich jetzt die Sprachregelung durchgesetzt, das Zwei-Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Man hofft auf höhere Zusagen in den Reviews nach Paris.“ Dabei macht die schnelle technologische Entwicklung einigen Experten auch Mut. Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch, betont: „Angesichts des Siegeszugs der erneuerbaren Energien und der damit verbundenen Kostensenkungen sehe ich ernsthafte Chancen, dass schon in wenigen Jahren die Ziele substanziell verschärft werden können.“ Aber selbst wenn das Zwei-Grad-Limit nicht erreicht werden sollte, hält Bals es für nötig, daran festzuhalten: „Auch als Dokument des Scheiterns ist das Limit politisch und juristisch sehr bedeutend“.

Gleich mehrere Bekenntnisse bedeutender Staatschefs wie auch jüngste Beschlüsse der EU-Kommission und des Europaparlaments können auf dem Weg nach Paris verhalten optimistisch stimmen. Noch vor dem Klimatreffen von Lima Ende 2014 gaben US-Präsident Barack Obama und Chinas Präsident Xi Jinping ihre Blockadehaltung auf und einigten sich auf Ziele zur Emissions-Reduktion. China und die USA verursachen zusammen 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen, ohne ihre Mithilfe lässt sich die Klimaerwärmung nicht in den Griff bekommen.

Festzuhalten ist auch, dass die CO2-Emissionen im weltweiten Energiesektor 2014 nur minimal gestiegen sind, obwohl es keine Wirtschaftskrise gab. Oliver Geden erkennt deshalb aber noch keine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und fossilen Energieträgern. Zum einen seien die Angaben mit Vorsicht zu betrachten: „Chinesische Zahlen werden im Nachhinein stets noch nach oben korrigiert. Aber selbst wenn sie gesunken wären, macht ein Jahr noch keine Trendwende aus. Zudem setzen andere Schwellenländer wie Indien und Indonesien weiter massiv auf Kohle.“

Auch vor diesem Hintergrund wird seit langem eine Reform des europäischen Emissionsrechtehandels gefordert. Ein Signal der EU-Kommission kam im Juli: Neben der vom Europaparlament bereits gebilligten, für 2019 vorgesehenen Einführung einer Markstabilitätsreserve, die 1,4 Milliarden Emissionszertifikate umfassen soll, sieht der Vorschlag der Kommission für die Zeit ab 2021 unter anderem eine jährliche Verringerung der Zertifikate um 2,2 Prozent vor (bisher: 1,74 Prozent). Zudem sollen Mechanismen abgeschafft werden, mit denen europäische Unternehmen über im Vergleich zu Europa kostengünstigere Emissionsminderungen in Entwicklungsländern Zertifikate generieren und in der EU anrechnen lassen können. Christoph Bals gehen diese Schritte jedoch nicht weit genug, angesichts eines CO2-Zertifikatepreises von aktuell acht Euro je Tonne: „Der Emissionshandel wird auf absehbare Zeit nicht das notwendige Preissignal senden, um den anstehenden Ausstieg aus der Kohle und einen Schub für Energieeffizienz zu erreichen“.

Steilvorlage für Merkel-Kritiker

Dass sich Bundeskanzlerin Merkel und US-Präsident Obama schon zuvor beim G7-Gipfel zur globalen „Dekarbonisierung“ der Energiewirtschaft bis zum Ende des Jahrhunderts bekannten, wurde als historischer Durchbruch und weiterer Hoffnungsschimmer für das Gelingen des Pariser Abkommens gewertet. Auch konkrete Zahlen wurden genannt: Bis 2050 sollen die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen um mindestens 60 Prozent gegenüber 2010 verringert werden.

Das ist allerdings eine Steilvorlage für Merkels Kritiker. Nach derzeitigem Stand dürfte das Klimaschutzziel der Bundesregierung – die Reduktion der CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 – klar verfehlt werden. Energieexperte Volker Quaschning von der HTW Berlin erklärt: „Die von Frau Merkel anvisierten Ziele für 2050 reichen für einen wirksamen Klimaschutz nur aus, wenn danach in großem Umfang umstrittene CCS-Verfahren zum Abtrennen und Endlagern von Kohlendioxid aus der Atmosphäre zum Einsatz kommen. Und ob sich mit den aktuellen deutschen energiepolitischen Vorgaben die wenig ambitionierten Ziele erreichen lassen, ist auch noch mehr als fraglich.“ Dies gilt umso mehr, seitdem die von Sigmar Gabriel vorgeschlagene Sonderabgabe für alte Kohlekraftwerke zum Rohrkrepierer wurde, da Kanzlerin Merkel ihrem SPD-Minister die Unterstützung versagte.

Lässt sich dieser Schlingerkurs gegenüber der heimischen Wählerschaft dauerhaft fortsetzen? Viele Menschen verlieren mittlerweile das Interesse am Thema Klimawandel: Angst hat man in Europa, Nordamerika, Japan und Australien aktuell eher vor Kämpfern des Islamischen Staats. Das zumindest haben US-Forscher des Pew Research Centers ermittelt, indem sie insgesamt 45 000 Menschen in 40 Ländern zu ihren Zukunftssorgen befragten. War der Klimaschutz zuvor in Ländern wie Deutschland von höchster Relevanz, sind es jetzt vor allem die Bewohner Afrikas, Pakistans, Mittelamerikas und Indiens, die Klimaschäden fürchten. Schließlich sind sie direkt betroffen: 2014 wurden über 19 Millionen Menschen durch Umweltkatastrophen gezwungen, ihren Lebensraum zu verlassen. 90 Prozent davon lebten in China, Indien und auf den Philippinen, wie der Norwegian Refugee Council jüngst mitteilte.

Doch die Bedrohung durch den Klimawandel nimmt auch in Zentraleuropa zu. Ein Beispiel: Anfang Juli wurden in dem kleinen rheinlandpfälzischen Ort Framersheim etwa 100 Häuser zerstört oder beschädigt, Bäume entwurzelt, es gab unzählige Verletzte. Für das, was sich an diesem 7. Juli ereignet hat, finden die Menschen vor Ort unterschiedlichste Begriffe – von einem Tornado sprechen Augenzeugen, Windhose nennt es die Polizei, Meteorologen sprechen beschwichtigend von schweren Gewittern. Fest steht: Das Unwetter tobte mit einer Heftigkeit, die früher, wenn überhaupt, dann allenfalls im Herbst denkbar gewesen wäre.

Schmerzlich sind auch die Erkenntnisse, die eine Studie der Economist Intelligence Unit liefert. Die Einrichtung, die zur britischen Economist-Gruppe gehört, hat ermittelt, dass Privatanleger bis Ende des Jahrhunderts aufgrund des Klimawandels rund vier Billionen Dollar verlieren dürften – wenn das Zwei-Grad-Limit gehalten wird. Sollte die Erderwärmung gar um sechs Grad ansteigen, wächst der Verlust auf rund 14 Billionen Dollar. Nichtstun wird demnach richtig teuer.

Dass Ende Juli die UN-Verhandlungsleiter einen Textentwurf für den Weltklimavertrag vorgelegt haben, wurde von vielen Akteuren als „technische Arbeitshilfe“ begrüßt. Der Entwurf, in dem sich die Positionen sämtlicher beteiligter Länder in gestraffter Form finden, bildet die Basis für Folgekonferenzen Ende August und im Oktober in Bonn. „Wenn die Staaten nun Anfang September diesen Verhandlungstext akzeptieren, zeigt dieser Übergang von Rhetorik zur Substanz, dass alle Staaten ein Abkommen in Paris wollen“, lobt Germanwatch-Experte Christoph Bals. Allerdings gab es auch Kritik, etwa seitens Greenpeace, wo man ein deutliches Nein zu fossilen Energien bis 2050 und einen klaren Pfad in Richtung 100 Prozent Erneuerbare vermisste.

Menschliche Psyche als Hürde

Offen sind bislang auch Fragen zu Privilegien, die in älteren Abkommen festgeschrieben worden waren. So gelten Erdölfördernationen wie Saudi-Arabien als Entwicklungsländer, die von Reduktionspflichten befreit sind. Auch stellt sich als Problem dar, dass die USA die Ergebnisse des Kioto-2-Vertrags nie in nationales Recht übersetzt haben. Der Journalist Nick Reimer weist in seinem Band „Schlusskonferenz“ zudem darauf hin, dass es bislang keine Instanz gibt, die über die Einhaltung eines neuen Klimavertrags wachen könnte. Er wünscht sich deshalb einen „Internationalen Klimagerichtshof“.

Angesichts der Fülle der Probleme stellt das Autoren-Duo Schellnhuber/Klingenfeld in den Vordergrund, dass jeder Einzelne zum Handeln aufgerufen ist. Ein Fazit von Schellnhuber, der als Politikberater auch direkten Zugang zu Angela Merkel hatte, lautet: „Letztendlich wird die Kombination aus zivilgesellschaftlichen Impulsen und politischer Führungsstärke über Erfolg oder Misserfolg des Klimagipfels entscheiden.“

Ein Beitrag von Manfred Milinski und Jochem Marotzke zum Sammelband „Die Zukunft des Klimas“ lässt jedoch Skepsis aufkommen, ob Schellnhubers Hoffnung auf die „Mobilisierung des Einzelnen“ Wirkung entfalten kann.

Mit Mitteln der Verhaltensforschung nähern sich die Forscher der Frage, warum Klimaverhandlungen bisher so oft gescheitert sind. Die Analyse leuchtet spontan ein: Der Kern des Problems ist, dass sich die ganze Menschheit am Klimaschutz beteiligen soll, der Einzelne sich aber nicht direkt angesprochen fühlt. Die Effekte können mit dem so genannten Public-Goods-Spiel simuliert werden: Sämtlichen Mitspielern nützt es dabei, wenn möglichst viele in eine bestimmte Sache investieren. Allerdings lohnt es sich für den Einzelnen auch, keinen Beitrag zu leisten und nur Gewinne abzuschöpfen. Beim Klimaschutz werde dieses Dilemma durch den Umstand verschärft, dass sofort gehandelt werden müsse, die Auswirkungen aber erst in 20 oder 30 Jahren erfahrbar würden, führt Evolutionsbiologe Milinski aus. Wenn wir also heute bei der Nutzung von Autos und Flugzeugen, beim Heizen und Kühlen sparen, dann üben Menschen Verzicht nicht für sich, sondern für kommende Generationen. Da sich experimentell nachweisen lässt, dass sich Menschen oft für den kleinen sofortigen statt für einen großen zukünftigen Gewinn entscheiden, ist zu erahnen, welche Hürde die menschliche Psyche für den Klimaschutz darstellt.

Verschärft wird dies durch Politiker, die kurzfristig orientiert dem vermeintlichen Willen der Wähler folgen und – ganz im Sinne von Lobbyisten der Großindustrie – zugleich wenig dafür tun, die Bevölkerung aufzuklären. Es kommt aber stark darauf an, welche Prioritäten politisch gesetzt werden. Denn die Staaten müssen nachjustieren: Mit den bislang beim UN-Klimasekretariat gemeldeten Intended Nationally Determined Contributions, den angestrebten nationalen Klimazielen also, dürfte die Erderwärmung nach Schätzungen von Experten um bis zu vier Grad steigen. Dass Angela Merkel im September 2014 ihren Besuch des Klimagipfels der Vereinten Nationen in New York absagte und lieber eine Rede beim Bundesverband der Deutschen Industrie hielt, sollte sich vor diesem Hintergrund mit der Pariser Konferenz besser nicht wiederholen. Die deutsche Energie- und Klimapolitik hat noch immer hohe Signalwirkung – diese Trumpfkarte im Klima-Poker darf nicht verspielt werden. Jörg-Rainer Zimmermann (neue energie, Nr.08 / August 2015, S. 20-24)


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