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Klimakrise – KlimaschutzDie Energiewende als Chance für Europas Zukunft

Klimaaktivistin Greta Thunberg im Europäischen Parlament, April 2019.
Sie fordert die Umsetzung der versprochenen Klimaziele vehement ein: Klimaaktivistin Greta Thunberg im Europäischen Parlament, April 2019. (Foto: European Parliament / Flickr / CC BY 2.0)

Die Klimakrise bewegt Europas Bürger. Die EU hat es in der Hand, ob sie sich weiter abhängig machen will von fossilen Energiestrukturen, die der Gesellschaft teuer zu stehen kommen. Oder in die dezentrale Energiewende investiert und es Europas Gesellschaft ermöglicht, ihre Zukunft mitzugestalten.

20.11.2019 – Im Dezember 2018 hatten sich in Brüssel das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission auf das Gesetzgebungspaket Saubere Energie für alle Europäer (Clean Energy Package)geeinigt. Primäres Ziel ist es, im europäischen Strommarkt Platz zu schaffen für den wachsenden Anteil von Strom aus Erneuerbaren Energien sowie den Primärenergieverbrauch deutlich zu verringern. Europas Industrie soll dabei wettbewerbsfähig bleiben, die Energieversorgung sicher, die Wirtschaft grün und innovativ werden und die Transformation in einem sozialverträglichen Rahmen verlaufen.

Was diese Ziele bedeuten und wie sie sich erreichen lassen, zeigt der Think Tank Agora Energiewende in der Studie „European Energy Transition 2030: The Big Picture“. Die Kohleverstromung in der EU müsste sich bis 2030 halbieren, der Verbrauch von Kraftstoffen, Erdgas und Heizöl um ein Viertel verringern. An die Stelle der fossilen Brennstoffe treten Erneuerbare Energien, deren Anteil am EU-Energiemix sich bis 2030 verdoppeln muss. Gleichzeitig stehen hohe Investitionen in Energieeffizienz an. In allen Kohleregionen Europas müssten zudem Programme für eine sozial gerechte Energiewende aufgelegt werden, ähnlich wie es im deutschen Kohlekonsens vereinbart wurde. Mindestens 75 Prozent der gesamten Elektrizität sollten frei die Grenzen der EU überschreiten, dadurch könnten Erneuerbare Energien besser in das Stromnetz eingebunden werden.

CO2 reduzieren heißt Europa dekarbonisieren

2016 produzierte die Europäische Union 46 Prozent ihrer benötigten Energie selbst, 54 Prozent kamen aus Ländern außerhalb der EU. Es herrscht eine große Abhängigkeit von Öl und Gas. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien in allen Sektoren verläuft im Vergleich der Länder sehr unterschiedlich. Ein Ende fossiler Subventionen und der schnelle Ausbau Erneuerbarer würden enorme Ressourcen freisetzen, um den Pariser Klimazielen näherzukommen.

Doch keiner der  EU-Mitgliedstaaten hat eine nachhaltige Strategie zum Abbau der Subventionen für fossile Brennstoffe vorzuweisen – obwohl sich die G20-Staaten schon vor zehn Jahren dazu verpflichtet hatten, bis 2025 solche Subventionen zu streichen. Nach Analysen der Europäischen Kommission haben die EU-Regierungen zwischen 2014 und 2016 durchschnittlich 55 Milliarden Euro pro Jahr an Subventionen für fossile Brennstoffe bereitgestellt.

Raus aus der Kohle!?

Den schnellen Ausstieg aus der Kohle versprechen Frankreich und Schweden bis 2022, Österreich, Irland, Italien und Großbritannien bis 2025. Polens und Tschechiens Regierungen bleiben dagegen auf Kohlekurs. Griechenland hat nun überraschend beim UN-Klimagipfel in New York den Plan verkündet, 2028 das letzte Braunkohlekraftwerk im Land zu schließen – dabei ist die Kohle bislang wichtigster Stromlieferant.

Seit der europäische Emissionshandel angezogen hat, werden die alten Kraftwerke immer unrentabler. Zudem importiert das schuldengebeutelte Land den Großteil seines Energiebedarfs. Laut Premierminister Mitsotakis soll nun der Anteil Erneuerbarer Energien am gesamten Energiebedarf bis 2030 auf 35 Prozent steigen. Doch stattdessen finanziert derzeit eine Tochter der deutschen KfW-Bank den Bau eines neuen Kohlekraftwerks. Dabei gehört Griechenland zu den Ländern mit dem höchsten Potenzial für Erneuerbare Energien in Europa. 2010 wuchs auch der Anteil an Solarstrom, im Projekt Helios war sogar geplant, dass Griechenland ab 2015 Solarstrom bis nach Deutschland liefern sollte. Doch die garantierten Einspeisevergütungen für Solarstrom waren zu hoch angesetzt und fielen der Schuldenkrise zum Opfer: Der Solarmarkt brach ein, Unternehmen verließen das Land.

100 Prozent Erneuerbare sind möglich – und nötig

Das Ziel muss lauten: ein Europa ohne fossile und nukleare Energie. Viele Studien, EU-Beschlüsse und vor allem die Aktivitäten von Bürgern, Gemeinden und Kommunen machen deutlich, dass wir es bei der Energiewende mit einer realisierbaren Vision zu tun haben, die Vorteile und Chancen bietet: mehr Versorgungssicherheit, mehr Demokratie, mehr Gesundheit für alle mit weniger Luft- und Umweltverschmutzung, neue Jobs, sinkende Energiekosten und Unabhängigkeit von Ländern, in denen um Ressourcen gefeilscht wird, was zu Unterdrückung und gar Kriegen führt.

Forscher der LUT University mit Energy Watch Group kommen in einer umfangreichen Analyse zu dem Ergebnis, dass 100 Prozent Erneuerbare in Europa bis 2050 machbar und zudem wirtschaftlich konkurrenzfähig mit dem heutigen fossil-nuklearen System sind. Die gesamte Stromproduktion müsste auf das Vier- bis Fünffache gegenüber den Erzeugungswerten im Jahr 2015 ansteigen. 85 Prozent der Erzeugungsleistung der Erneuerbaren Energien – allen voraus die Solarenergie – sollten dezentral produziert werden: mit rechtlichen Privilegien und Steuervergünstigungen für die Erneuerbaren, während die Subventionen für fossile Energieträger eingestellt werden müssten. Da Heizung und Kühlung fast 50 Prozent des Energiebedarfs der EU ausmachen, sieht der Plan der EU-Politik auch eine starke Elektrifizierung des Wärmebereichs vor, um fossile Brennstoffe durch Erneuerbare Energie zu ersetzen.

Debatte um einen CO2-Preis

Um den Umbau des Energiesystems zu finanzieren, fordern viele Experten einen gerechten Preis auf Treibhausgasemissionen. 2017 hatte sich Frankreichs Präsident Macron dafür stark gemacht. In Europa haben 15 Länder zusätzlich zum europäischen Emissionshandelssystem eine CO2-Abgabe eingeführt. Die deutsche Bundesregierung hat sich bislang dagegen ausgesprochen, zuletzt wieder Ende September im Klimakabinett.

Dass eine CO2-Steuer klima- als auch sozialverträglich sein kann, zeigen die Beispiele Schweiz und Schweden. Die CO2-Minderungsziele werden in diesen Ländern erreicht. In der Schweiz fließen die Einnahmen in das nationale Gesundheitssystem zurück, zudem wirkt sich die Abgabe in beiden Ländern nicht nur positiv aufs Klima, sondern auch auf das Bruttoinlandsprodukt aus. Doch eine CO2-Bepreisung macht nur dann Sinn, wenn sie auch mit einem unwiderruflichen Ausstiegsbeschluss aus der Atomkraft verbunden ist und parallel der Ausbau der Erneuerbaren Energien gefördert wird. Ansonsten besteht die Gefahr, dass indirekt Atomstrompolitik forciert wird – wenn man den französischen Vorstoß für eine CO2-Steuer einmal genauer unter die Lupe nimmt.

Nationale Egoismen überwinden

Viele blicken auf Deutschland und Frankreich als die ökonomisch derzeit stärksten Länder in der Europäischen Union. Im Vergleich zu den anderen EU-Staaten haben sie auch den größten Primärenergieverbrauch. Doch was in Deutschland fast schon revolutionär startete, mit dem EEG, das Erneuerbare Energien bevorzugt, dem Atomausstieg, und jetzt einem zumindest geplanten Kohleausstieg, verliert sich gerade in Politikversagen. Die deutsche Windbranche wird politisch gegen die Wand gefahren, der Bürgerenergie werden Steine in den Weg gelegt – wo sie doch schon einen Großteil der dezentralen erneuerbaren Energieversorgung trägt.

Frankreichs Präsident Macron macht sich verbal zwar stark für den Klimaschutz, hat aber parallel dazu 2018 das französische Energiewendegesetz nonchalant mal eben nach unten korrigiert: Der Atomstromanteil im französischen Energiemix soll nicht bis 2025, sondern erst bis 2035 auf 50 Prozent sinken. Von einem Atomausstieg war ohnehin nie die Rede, im Gegenteil sind neue Atomkraftwerke geplant. Die Windkraftleistung soll zwar bis 2030 verdreifacht werden und die Photovoltaik vervierfacht – jedoch gemessen an der relativ geringen Kapazität bliebe Frankreich bei solchen Ausbauplänen weit hinter seinen Möglichkeiten.

Der französische Verband von Energieexperten néga-Watt zeigt indes ein Szenario, nach dem Frankreich bis 2050 ein zu 100 Prozent erneuerbares Energiesystem für alle Sektoren erreichen kann: Energieverbrauch halbieren, Ausbau von Windenergie und Solarenergie vervielfachen. Platz und Sonne gäbe es genug. Die Investitionen müssten bei diesem sportlichen Szenario zwar verdoppelt werden, doch das wäre wirtschaftlich gesehen trotzdem vorteilhaft – aufgrund der eingesparten Energie- und Ressourcenkosten als auch reduzierter Folgekosten für die atomaren Hinterlassenschaften.

Doch seit 2014 setzt auch Frankreich auf marktorientierte Mechanismen wie Prämien und Ausschreibungen. Große Projektentwickler können dadurch leichter wettbewerbsfähige Gebote einreichen als Privatleute und Genossenschaften – die damit wieder aus dem Geschäft gedrängt werden. Dabei sind es gerade Genossenschaften und Miteigentümer, die die lokale mit der europäischen Ebene verbinden. Österreich hat daher gerade erst im September ein PV-Notpaket mit der Abschaffung der Steuer auf Photovoltaik-Eigenverbrauch beschlossen. Laut Bundesverband Photovoltaic Austria sollen ab 2020 jährlich 36 Millionen Euro für die Förderung von PV-Anlagen und Speichern zur Verfügung stehen.

Allianzen bilden

Einiges hängt daher nun von der Ausgestaltung des europäischen Clean Energy Package ab. Ohne die politisch-rechtliche Gestaltung von Rahmenbedingungen kann die Selbstregulierung von Märkten nur weiter in die Klimakrise führen. Das gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die europäische Idee. Ökologische und auch wirtschaftliche Chancen werden dabei verspielt.

Zentralisierte und dezentralisierte Systeme müssen in Zukunft zusammenspielen, Millionen neuer Akteure auf Nachfrage- und Angebotsseite des Energiesystems miteinander agieren, Strom- Wärme und Verkehrssektor zusammenwachsen – auch über Grenzen hinweg. „Miteinander harmonierende Marktregeln zwischen den europäischen Ländern sind eine wesentliche Voraussetzung für den Strommarkt über die Ländergrenzen Europas hinweg“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Denn nur damit lassen sich die in Zentralwesteuropa reichlich vorhandenen Flexibilitätspotenziale optimal nutzen.“

EU-Mitglied werden? Von Einsteigern…

Die Westbalkanländer pumpen noch viel Geld in veraltete Kohlekraftwerke. Den Kohlestrom exportieren sie derzeit teilweise in die EU, wo er billiger ist als Strom aus EU-Kohlekraftwerken, die Emissionsgebühren zahlen müssen. Die extrem schmutzigen Betriebe am Laufen zu halten würde für diese Länder bei einem EU-Beitritt teuer. Wer der EU beitreten will, muss sich den Klimaschutzzielen anpassen.

Teilweise wird daher der Bau Erneuerbarer Energien nun gefördert. Doch auf dem Balkan stehen Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energien noch viel größere Hürden als hierzulande im Weg – vor allem auf regulatorischer Ebene. Grenzüberschreitende Projekte sollen der gesamten Region Südosteuropa künftig helfen – zumindest nach dem Willen der EU, die von 2021 bis 2027 eine hohe Finanzierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei Infrastrukturprojekten im Bereich der Erneuerbaren Energien zur Verfügung stellen will.

… und Aussteigern

In Großbritannien zeigt ein CO2-Mindestpreis seine Wirkung: Der Anteil an Kohlestrom sinkt seit Jahren, 2025 soll der Kohleausstieg vollendet sein. Das Committee on Climate Change hatte zudem vorgerechnet, dass es ab den 2020er Jahren billiger wird, bestehende Gaskraftwerke durch neue Ökostrom-Anlagen zu ersetzen.

Was aber macht der Brexit mit Großbritanniens Energiewende? Theresa May hatte im Juni 2019 noch als Premierministerin angekündigt, Großbritannien per Gesetz zur Klimaneutralität bis 2050 zu verpflichten. Doch Boris Johnsons Interesse an Umwelt- und Klimapolitik ist begrenzt, er setzt sich lieber für Fracking ein. Britische Umweltschützer sehen im Brexit aber auch eine Chance, und zwar für die Landwirtschaft: Die steht selten im Fokus, gehört aber zu den großen Stellschrauben für mehr Klimaschutz. Denn die EU-Subventionen orientieren sich vor allem an der Fläche und kaum an nachhaltiger Landwirtschaft. Das britische Landwirtschaftsministerium hat nun ein Gesetz für die Zeit nach dem Brexit vorgeschlagen, das vorsieht, nur noch umweltfreundliche Landwirtschaft zu fördern. Doch Umweltrechtsexperten sind skeptisch. Denn abgesehen von den klimaschädlichen Agrarsubventionen hätte die EU-Gesetzgebung andererseits auch dafür gesorgt, dass Umweltschutz in den ländlichen Regionen umgesetzt wurde.

Die Klimakrise nicht weiter subventionieren

Eine gerechte Wende fordert auch eine Umverteilungspolitik. Der Ausschuss des EU-Parlaments für Regionale Entwicklung hatte sich Anfang 2019 auf gemeinsame Bestimmungen und Finanzregeln für EU-Regionalfonds verständigt. Energieeffizienz und das Null-Emissionen-Ziel sowie der dezentrale Ausbau der Erneuerbaren Energien hätten dabei Vorrang. Wenn Europa den Kampf gegen den Klimawandel ernst nimmt, ist ein wichtiger Schritt dazu auch eine klare Befürwortung einer fossilfreien Europäischen Investitionsbank. Diese gab nun bekannt, die Finanzierung für Projekte mit fossilen Brennstoffen ab Ende 2021 zu beenden. Bis 2030 wolle die EIB stattdessen eine Billionen Euro für die Finanzierung von Projekten freimachen, die konkret Klimaschutz und Nachhaltigkeit fördern. Es ist allerdings ein Deal mit etlichen Schlupflöchern, kritisieren Experten.

Europa zukunftsfähig machen

Nationale Interessen und wechselnde geopolitische Lagen und Lobbyisten leiten noch Europas Energiepolitik. Europa sollte die Energiewende jetzt dazu nutzen, um sich weltpolitisch und in der globalen Wirtschaft einen bedeutenden Platz zu erhalten. Dafür braucht der alte Kontinent aber auch neue Partner. Freihandelsabkommen wie mit dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur sind dabei ein Irrweg – damit schadet Europa nicht nur der eigenen Wirtschaft nachhaltig, sondern trägt auch zur Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes bei und feuert so die Klimakrise weiter an.  Ein möglicher Verbündeter könnte dagegen Indien sein, meint Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Denn die indische Regierung hatte sich beim letzten G7-Gipfel in einer gemeinsamen Deklaration mit Frankreich dazu bekannt, ihre Klimaziele zu erhöhen und eine nachhaltige Strategie zu entwickeln.

Aber ausgerechnet der Vorreiter Deutschland hat sich nun mit seinem schwachen Klimapaket nicht nur gegen eine ambitionierte Klimapolitik in Deutschland entschieden, sondern gibt damit auch seine internationale Führungsrolle in Sachen Energiewende auf. Doch jetzt geht es um mehr als eine möglichst softe grüne Agenda. Wenn die EU es mit ihren Klimazielen ernst meint, müssen alle Länder fossile Energiequellen durch Erneuerbare ersetzen, eine Allianz für einen CO2-Preis bilden, Agrarsubventionen klimafreundlich umbauen und jede Investition in Verkehr und Infrastrukturen auf ihre Zukunftstauglichkeit prüfen.

Ohne eine starke Rolle der EU wird sich das Pariser Klimaabkommen nicht umsetzen lassen. Der Umweltwissenschaftler und Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker vergleicht Europas Energiewende mit einem Generationenvertrag: Die heutige Generation befreit künftige Generationen und Länder des Südens von den Risiken fossiler und nuklearer Energie. Nicole Allé

Dieser Text ist auch in der neuen Print-Ausgabe der energiezukunft erschienen, Seite 8-12.


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