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Ein Katastrophenszenario für Spanien

Spanien könnte bis 2050 einen großen Teil seiner traditionellen Landwirtschaft verlieren, wichtige Anbaugebiete für Zitrusfrüchte, Oliven und Wein sind vom Klimawandel bedroht. Ein Wissenschaftler hat die Folgen der derzeitigen Erderwärmung für das Land und für ganz Europa verständlich aufgedröselt.

17.04.2015 – „Wir müssen fähig sein, die emotionale Distanz zwischen dem Klimawandel und uns zu brechen. Wir wollen maximalen Druck auf die Regierungen ausüben, aber parallel fähig sein, zivilgesellschaftliche Alternativen auf den Weg zu bringen.“ Mit diesen Worten kommentierte Florent Marcellesi, Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im EU-Parlament und aufgrund einer internen Quotenregelung dort bald Abgeordneter der jungen spanischen Partei Equo, am Dienstag nach Ostern eine Studie, die seine Fraktion in Auftrag gegeben hatte und die Marcellesi in Madrid mit vorstellte.

Die mehr als 100-seitige Studie trägt den Titel „Klimawandel in Europa. Wahrnehmung und Auswirkungen 1950 – 2050“ und soll wissenschaftliche Erkenntnisse alltagsnah zusammenfassen, um eben den Klimawandel leichter erfahrbar zu machen. Diese Aufgabe hat Jonathan Gómez übernommen, ein Umwelt- und Klimaforscher, der auch am jüngsten Weltklimabericht mitgearbeitet hat.

Das Ergebnis könnte an manchen Stellen klarer gegliedert sein, denn manchmal vermischen sich Rückschau und Ausblick, und die Bedingungen der Prognosen sind nicht immer klar. Ansonsten aber ist Gómez ein sehr gut lesbarer, mit vielen Bildern und Grafiken angereicherter und teilweise in geradezu pädagogischem Duktus geschriebener Bericht gelungen. Er führt zunächst in den Begriff Klimawandel ein, spricht dann über die Klimaveränderungen in Europa seit 1950 und bis 2050 – dem Jahr, in dem wir laut EU-Ziel klimaneutral leben sollen – und dekliniert das Ganze dann für Spanien durch.

So ist viel die Rede von Durchschnittstemperaturen, Niederschlägen und Gletschern; den Auswirkungen der dortigen Veränderungen auf Flora, Fauna, Landwirtschaft, Fischzucht und Tourismus; sowie katastrophalen Phänomenen wie Hitzewellen, Überschwemmungen, Stürmen, Waldbränden und Trockenheiten. Gómez unterscheidet zwischen der von der EU angepeilten durchschnittlichen Erderwärmung von zwei Grad bis 2050 und der derzeit drohenden von vier oder fünf Grad, malt also alternative Szenarien aus. Für Europa hält er fest:

- Bei einem Anstieg der Erdtemperatur von zwei Grad verlagern sich die Fischbestände und mit ihnen die Zonen, wo Fischzucht betrieben werden kann, nur. Bei einem Anstieg von fünf Grad könnte die Fischzucht „in einem guten Teil Europas“ unmöglich werden, da wärmeres Wasser Parasiten und Krankheiten begünstige und zudem die Wasserqualität verschlechtere.

- Die Forstwirtschaft könnte im europäischen Süden schon bei einem Temperaturanstieg von zwei Grad wegen des dauernden Wassermangels unmöglich werden. Ein Anstieg um fünf Grad würde Waldbrände und Schädlinge noch mehr begünstigen.

- Ganz Südeuropa wäre bei einem Temperaturanstieg um vier oder fünf Grad einen Großteil des Jahres unattraktiv für den heute schon so wichtigen Tourismus, da es schlicht ungemütlich heiß wäre.

- Für die EU werde alleine wegen der Hitzewellen und deren Verstärkung in Großstädten durch schlechte Luft von zusätzlichen 86.000 Toten pro Jahr ausgegangen – und das schon bei einem Temperaturanstieg von zwei Grad. Hinzu kommen die Lebensrisiken gerade für Schwache durch Überschwemmungen und Stürm.

- In den Mittelmeerländern erhöhe sich beträchtlich das Malaria-Risiko, weil die übertragenden Stechmücken ein besseres Lebensumfeld hätten. Dasselbe gelte für Zecken und andere Krankheitsüberträger. Bakterien und Viren hätten es ebenfalls leichter, beispielsweise Salmonellen.

- Die (vor allem Land)Wirtschaft wird 2050 in etlichen Teilen Europas entweder verschwunden oder eine ganz andere sein – davon ist Gómez überzeugt. Bestimmte Landschaftsbilder, Tier- und Pflanzenarten würden dort dann ebenfalls verschwunden sein. Er betont jedoch mehrfach, dass es immer einen Unterschied machen werde, wie stark der Temperaturanstieg ausfällt – es lohne sich also, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Im Fall Spaniens betont der Forscher, dass das Land auf Grund seiner klimatischen Diversität unterschiedlich betroffen sein wird, und nicht ausschließlich negativ. Doch Temperaturanstiege und Niederschlagsrückgänge sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlicher geworden und die Verwüstung ist seit Jahren alarmierend. Zudem steigt der Wasserverbrauch, während die Wasserreserven schwinden – Gómez nennt die Wasserknappheit „strukturell“. Die Verluste wegen einer Hitzewelle 2003 seien auf 800 Millionen Euro geschätzt worden. Die Produktion von Tierfutter und Kartoffeln sei damals um jeweils 30 Prozent niedriger ausgefallen, die Hitzewelle habe rund 7000 Menschen das Leben gekostet. Doch der Klimawandel stellt noch schlimmeres in Aussicht:

- So stehen Kernelemente der spanischen Esskultur und mancher regionalen Wirtschaft auf dem Spiel: Bei einem Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur um vier oder fünf Grad würden die nordspanischen Weinanbaugebiete im Duero-Tal und in Navarra unmöglich. Im Bundesstaat Valencia an der Ostküste hängen laut Gómez 60 Prozent der Wirtschaft vom Anbau von Zitrusfrüchten ab. Er wäre 2050 wahrscheinlich komplett verschwunden (nämlich in die Pyrenäen oder nach Zentraleuropa). Der Olivenanbau, der vor allem im südspanischen Andalusien sehr groß ist, wird von höheren Temperaturen und extremen Wetterphänomenen beeinträchtigt – diese Tendenz könnte auch ihn unrentabel machen.

- Bei dieser hohen Erwärmung erwartet Spanien Sommer mit Durchschnittstemperaturen von über 30 und Hitzewellen mit über 50 Grad. In den Sommermonaten könnte der heutige spanische Alltag unmöglich sein, einzelne Tage könnten lebensgefährlich werden, warnt Gómez. Das würde unweigerlich den Tourismus beeinträchtigen, den er mit elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes beziffert und der auf den Balearischen Inseln (wie Mallorca) für 45 Prozent und auf den Kanaren für 30 Prozent des Umsatzes sorge.

- Ein erwärmtes Meer zieht nicht nur neue Arten an, die das Ökosystem stören und eventuell zur Plage werden, sondern auch Bakterien, die sogar für den Menschen giftig sein können.

- Flugsand aus der Sahara, der heute oft die Kanarischen Inseln plagt und zu schlechten Sichtverhältnissen sowie Atemwegsproblemen führt, wird unweigerlich häufiger und massiver vorkommen.

Der Rest ist klar, da nicht an Spanien gebunden: häufigere und stärkere Stürme und Niederschläge, mehr Erosion und Überschwemmungen, Abnahme des Grundwasserspiegels und der Bewaldung, Verschwinden von Gletschern und Feuchtgebieten, dazu vermehrt Schädlinge und ungewisse Entwicklungen in der Tier- und Pflanzenwelt. Die Folgen einer Erderwärmung von durchschnittlich zwei Grad werden ernst, bei einer um vier oder fünf Grad „sehr ernst und extrem“, schreibt Gómez.

Florent Marcellesi hält in seinem Vorwort zur Studie dankenswerterweise fest, dass wir bei ersterer Variante die Auswirkungen noch ungefähr vorhersehen können, bei einer stärkeren Erderwärmung hingegen noch weniger als sowieso schon wissen können, wie es auf der Erde zugehen wird. Es ist also nicht so, dass Variante eins an sich akzeptabel wäre – sie macht nur gewisse Prognosen über das Ausmaß der Katastrophen möglich. Nein, das Ziel der Zwei-Grad-Erwärmung ist skandalös. Es wurde zur allgemeinen Devise, weil auf dem Klimaversager-Gipfel von Kopenhagen 2009 ein dringend gebotenes ambitionierteres Ziel nicht zustande kam. Der Untergang einiger bewohnter Pazifik-Inseln ist damit besiegelt. Für Europa hätte, das zeigt dieser Bericht, ebenfalls ein höheres Ziel Not getan. Ralf Hutter


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Kommentare

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Sebastian Luening 01.05.2015, 09:32:18

+294 Gut Antworten

Eine Analyse des Klimawandels im nahen Portugal findet ein weniger alarmistisches Szenario:

http://www.kaltesonne.de/surprising-facts-about-climate-change-in-portugal-why-the-climate-catastrophe-is-not-happening/


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