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ErderwärmungJahresringe von Bäumen neu interpretiert

Baumringe von Bäumen zeichnen auch klimatische Bedingungen in der Vergangenheit nach. Doch die bisherigen Rekonstruktionen waren fehlerhaft. Unser Klima war viel gleichmäßiger als gedacht. (Foto: Lillaby / Pixabay)

Die aus Jahresringen an Bäumen rekonstruierten Temperaturschwankungen waren weniger stark als bisher angenommen. Das hat ein Vergleich mit Daten aus Archiven gezeigt. Die gegenwärtige Erwärmung ist deshalb tatsächlich außergewöhnlich.

12.09.2020 – Unser Klima hat sich gleichmäßiger entwickelt als bisher angenommen. Wissenschaftler schließen aus der Breite der Wachstumsringe von Bäumen auf die Klimabedingungen in den vergangenen Jahrhunderten. Die bisherigen Temperaturrekonstruktionen sind aber fehlerhaft. Zu diesem Ergebnis kommt eine in Climate Dynamics veröffentlichte Studie. Die Forscher haben die Daten aus der Baumringanalyse mit Daten aus Pfarr- und Stadtarchiven verglichen.

„Gab es im Mittelalter eine Warmzeit, die der heutigen zumindest nahekommt? Antworten auf solche grundlegenden Fragen erhofft man sich hauptsächlich von Baumring-Analysen“, erklärt Leit-Autor Josef Ludescher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Unsere Analyse zeigt nun, dass die bisherigen Klima-Abschätzungen aus Baumringdaten stark die Beharrungstendenz des Klimas überschätzen. Zwar folgt auf ein warmes Jahr in der Tat eher ein weiteres warmes als ein kühles, aber nicht so lang und stark, wie Baumringe das zunächst vermuten lassen. Wenn die Beharrungstendenz korrekt berücksichtigt wird, erscheint die gegenwärtige Erwärmung Europas noch außergewöhnlicher als bisher angenommen.“

Um die Qualität der aus Baumringen gewonnenen Temperaturreihen zu testen, konzentrierte sich die Forschergruppe auf Mitteleuropa. Der Grund war, dass für diese Region außer den Baumringdaten auch noch lange Beobachtungsreihen existieren, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreichen. Zudem gibt es Archive, die akkurat den Beginn von Weinlese und Getreideernten aufzeichneten und sogar bis ins 14. Jahrhundert zurückgehen. Diese Aufzeichnungen erlauben, ebenso wie die Breite von Baumringen, Temperaturrekonstruktionen. Für einen warmen Sommer spricht ein breiter Baumring und ein früher Erntebeginn, für einen kalten Sommer ein schmaler Baumring und ein später Erntebeginn. Dabei werden Bäume aus Höhenlagen betrachtet, in denen die Temperatur einen starken Einfluss auf das Wachstum hat, und wo es auch in warmen Jahren genug Wasser für das Wachstum gibt.

Baumringe übertreiben

„Es zeigte sich nun, dass in den Baumringdaten die Klimaschwankungen überzeichnet werden. Dagegen haben die Temperaturen aus den Ernteaufzeichnungen die gleiche Beharrungstendenz wie Beobachtungsdaten und auch die Computersimulationen mit Klimamodellen“, so Ko-Autor Hans Joachim Schellnhuber vom PIK. „Interessanterweise bestätigen damit mittelalterliche Archive die moderne Klimasystemforschung.“

Um den Fehler in den Baumringdaten zu beseitigen, passten die Wissenschaftler mit einer mathematischen Methode die Stärke der Beharrungstendenz den Erntedaten und den Beobachtungsdaten an. „Durch die Transformation verändert sich die zeitliche Lage der jeweiligen Kälte- und Wärmephasen in der Baumringreihe nicht, aber ihre Ausprägung wird deutlich abgeschwächt. Die so korrigierte Temperaturreihe stimme deutlich besser mit den vorhandenen Beobachtungen und Ernte-Chroniken überein. Aus der Gesamtheit der Daten ließe sich schließen, dass die mittelalterlichen Klimaschwankungen und insbesondere auch die Wärmeperioden deutlich schwächer ausgeprägt waren als bisher vermutet.

Dieses Ergebnis bedeutet auch, dass die gegenwärtige Erwärmung in Mitteleuropa vergleichsweise stark ist und noch mehr heraussticht, als das bisher gesehen wurde. pf

Hier finden Sie einen Hintergrundartikel zur Situation des Waldes in Deutschland.


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Kommentare

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Dirk 19.07.2023, 02:07:11

Faktisch wurde also aus zwei Datenquellen, die untereinander unvereinbare Daten lieferten, einem Primat gegeben und das andere an das Primäre "angeglichen". Es ergeben sich daraus folgende Fragen:

- Wie wurde sichergestellt, dass der Proxy, den man zum führenden erklärt hat, tatsächlich verlässlich(er) ist? Immerhin ist "Beharrungsverhalten" insbesondere Bestandteil menschlicher Natur, also auch bei Saat und Ernte.

- Ein Kriterium zur Beurteilung der Güte des Proxies wäre die Abbildungsgüte in aktueller Zeit im Vergleich zu direkten Messungen. Wie ist die Güte?

- Inwieweit kann ausgeschlossen werden, dass _beide_ Proxies den Verlauf für den sie heran gezogen werden, unzureichend korrekt bzw. präzise wiedergeben bzw. wie ist die Signifikanz?

 

Forschung und Erkenntnis sind elementare Bestandteile von Wissenschaft, und entsprechend fallen nur wenige Disziplinen dadurch auf, den letzten Stand ihrer Ergebnisse und die darauf beruhenden Schlüsse immer wieder als "zweifelsfrei" (oft in dem Zusammenhang gebrauchte Vokabel) zu postulieren, darunter eine, die praktisch ihre gesamte Erkenntnisbasis aus interpretierten Proxy-Daten bezieht, womit gleich zwei prinzipielle Probleme aufscheinen. Es ist mehr als bedauerlich, dass Belange, die zu existenziellen Belange erhoben werden, nicht solideres Fundament haben.

Leider sind die "zweifelsfrei" deklarierten Ergebnisse noch nicht einmal widerspruchsfrei und müssen immer wieder "nachjustiert" werden.


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