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WeltklimaratKlimakrise in Häppchen – Hunger, Hitze und Klimapolitik

Rotes Boot an Land, bedrohliche Wolken
Der Weltklimarat legt bald den zweiten Teil seines Sachstandberichtes vor. Das Deutsche Klima Konsortium gab einen Ausblick.  (Foto: Analogicus auf Pixabay)

Der Ausblick des Deutschen Klima Konsortiums auf den zweiten Teil des IPCC-Berichts ist schwer verdauliche Kost. Die katastrophale Klimalage erfordere einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Deutschland habe viel aufzuholen.

16.02.2022 – Sind in Häppchen kredenzte Katastrophenberichte besser zu verdauen, als wenn sie in einem Paket auf den Tisch geknallt würden? Der Weltklimarat IPCC jedenfalls will am 28. Februar den zweiten Teil seines Sechsten Sachstandsberichts (AR6) für den Zeitraum 2016 bis 2022 vorlegen, der dritte folgt im April. Und für September ist die „Synthese“ der drei Gänge angekündigt, hoffentlich dann kein zerkochtes Menü.

Kaum jemand mehr kann sich an den Geschmack des ersten Teils von AR6 erinnern. Dabei hätte sich jede:r von uns seit August 2021 Zeit gehabt, sich diesen einverleiben zu können. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens die politisch Zuständigen von GroKo und Ampel – also der Großteil der im Bundestag Vertretenen – die von weltweit 270 Autor:innen zusammengetragene, heftige Schelte an ihrer Arbeit goutiert haben.

Am vergangenen Mittwoch nun hat das Deutsche Klima-Konsortium (DKK), in dem viele IPCC-Autor:innen Mitglied sind, schonmal einen Vorgeschmack darauf gegeben, was uns alle beim zweiten Gang von AR6 Ende des Monats erwartet. Das Klima-Frühstück – so der Titel der Veranstaltung – dürfte nicht jedem geschmeckt haben.   

Sparsames Klima-Frühstück

„Es geht im Bericht um ganz Grundsätzliches: Die Möglichkeiten der Natur für unser Überleben zu sorgen, ändern sich mit dem Klimawandel enorm – Hunger nimmt zu, Wasser wird knapp.“ Deshalb sei neben der Senkung von Treibhausgasen beispielsweise „veränderter Lebensmittelkonsum und Wassersparsamkeit in der Landwirtschaft“ unumgänglich, erklärte Professor Josef Settele, Biodiversitätsexperte vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Und: „Ein Weiter-So und ein bisschen Naturschutz reichen bei Weitem nicht aus. Wir brauchen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, um für kommende Generationen eine lebenswerte Zukunft zu sichern.“

Professorin Daniela Jacob vom Climate Service Center Germany (GERICS) ergänzte am Klima-Frühstückstisch: „Der Klimawandel geschieht vor unserer Haustür und stellt insbesondere unsere Städte und Kommunen vor neue Herausforderungen.“

Schwer verdaulicher Mittagstisch

Ja, für die Klimazustände vor unserer Haustür sind wir selbst genauso wie die jeweilige Bundes- und Landesregierung verantwortlich. Doch auch die EU-Kommission sowie andere Regierende weltweit gestalten Menüs aus Vorschriften und Plänen, die für Mensch, Natur und Erde den menschgemachten Klimawandel besser erträglich machen sollen. Gerade deshalb war es schwer verdaulich, was Klima-Allianz Deutschland, DNR und VENRO (Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen) kurz nach dem Deutschen Klima Konsortium als vorgezogenes Mittagessen auftischten.

Durch die anstehende Umsetzung des Bundes-Klimaschutzgesetzes, die angekündigten Sofortprogramme der Ampel, das Fit for 55-Paket der EU, den G7-Gipfel und die IPCC-Berichte werde in diesem Jahr viel Dynamik in die Klimapolitik kommen, war schon in der Einladung zum Pressebriefing zu lesen. Man werde also erfahren, „was 2022 auf Bundesebene, in der EU und auf internationaler Ebene auf uns zukommt“.

Was dann aufgetischt wurde, war großteils schwer verdaulich. Denn Deutschland hechelt augenscheinlich so weit hinter den selbst- und fremdgesteckten Zielen hinterher, dass für das Aufholen eine kaum vorstellbare Energie notwendig ist, im wahrsten Wortsinn. „Die Aussichtslage ist nicht rosig“, umschrieb Viviane Raddatz die katastrophale Klimalage sehr dezent.

Doch dann nannte die Leiterin Energiepolitik des WWF Deutschland Fakten: „Das Emissionsziel für 2020 wird selbst 2021 verfehlt. Heuer werden die Sektorziele für Verkehr und Gebäude verfehlt. Und nach unserer Analyse des Koalitionsvertrags wird in keinem Sektor das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Verträge erreicht.“ Vor allem der Verkehr sei das Problem: Es brauche nicht nur fünf Millionen E-Autos bis 2030, sondern viele weitere Maßnahmen. Insbesondere sei der Individualverkehr zu reduzieren, der ÖPNV zu stärken.

Antje Mensen, beim DNR für EU-Klima- und Energiepolitik zuständig, benannte große Probleme beim Emissionshandel: „Es gibt immer noch mehr Zertifikate als reale Emissionen", wenn man kostenlose und kostenpflichtige Zertifikate zusammenzähle. Und auch der Entwurf der deutschen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EER), die auf die europäische Fit for 55-Zielsetzung folgt, bleibe „weit zurück: In Deutschland reden wir nur über den Strommix, die EU zielt auf Gesamtenergie ab.“ Dennoch sah sie es als „nicht absurd, sondern machbar“ an, die Ziele zu erreichen – aber nur, „wenn bei den beiden Bereichen Emissionen und EER stark nachgeschärft würde“.

Vera Künzel, Klimawandel- und Menschenrechts-Referentin von Germanwatch, forderte insbesondere eine Klimabilanzierung: „Die ist essentiell – die gibt es bislang aber international nicht. Und bei uns sind die finanziellen Mittel zur Erreichung Klimaziele in der Haushaltsplanung nicht drin. Die international zugesagten sechs Mrd. Euro sind also nicht gesichert“, kritisierte sie.

Für Deutschland habe die Ampel zwar ein Sofortprogramm Klimaschutz im Koalitionsvertrag verankert, aber das werde nach Meinung von Viviane Raddatz frühestens zum Jahresende gesetzlich wirksam. Lediglich für die verfehlten Ziele der Vorjahre müsse bereits im Juli das Bundeskabinett Gegenmaßnahmen beschließen.

Ohnehin schien, dass die Einladenden des Pressebriefings die Hoffnung eher auf internationalen Klimaaustausch als denn auf wirksamen Klimaschutz in Deutschland haben. So erklärte Vera Künzel: „Es ist ja keine Entscheidung einer einzelnen Regierung – es geht um den globalen Beitrag, andere Länder zu unterstützen. Partnerschaften werden im Focus stehen.“ Deshalb muss aus ihrer Sicht die deutsche Präsidentschaft der G7-Wirtschaftsmächte dafür sorgen, „dass G7 kein exklusiver Club bleibt“ – weder bei Klima noch bei Gesundheit und Digitalem. Deshalb legt sie große Hoffnungen in den EU-Afrika-Gipfel am 17. und 18. Februar, dem ersten seit 2017. Es gehe um eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Es müsse auch konkrete Vereinbarungen zum Ausstieg aus fossilen Energien geben „einschließlich der Abkehr vom Erdgas“.

Hierzu ergänzte Antje Mensen vom DNR: „Wir bekommen Signale, dass die Taxonomie noch gestoppt werden kann. Das geht mit einfacher Mehrheit im EU-Parlament. Und wir setzen auf die Klagen dagegen aus Österreich und Luxemburg. Der Drops ist noch nicht gelutscht.“ Wie ausführlich berichtet, hat die EU-Kommission zu Jahresbeginn Atomkraft und Erdgas zu „bedingt nachhaltigen Energiequellen“ erklärt.

Und laut Moderatorin Christiane Averbeck (DNR) ist gerade in Deutschland nicht alles schlecht bei der Klimapolitik: „Ich finde es toll, welche Dynamik sich da entfaltet hat. Klimaschutz ist in den Ministerien angekommen und wird ernst genommen.“ Sogar im Finanzministerium gebe es gute Ansätze. Auch im Verkehrsministerium (beide im Bund FDP-geführt) sei Bewegung. „Ich habe eine positive Einschätzung für die Legislatur.“

Und was Feines zum Dessert…

Vielleicht gibt der Nachtisch, den es zum Abschluss am Mittwochabend gab, Hoffnung auf Veränderung zum Besseren: Deutschlands langjährige Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan, eine „Berlinerin mit amerikanischem Pass“, wird Klimaschutzbeauftragte und nach ihrer Einbürgerung Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, also die für internationalen Klimaschutz Zuständige der Bundesregierung. Dass die Neu-Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) damit einen Coup gelandet hat, ist den wutschnaubenden Reaktionen der Bundestags-Opposition zu entnehmen. Zumal für Morgan Qualifikation und nicht Parteienproporz bei der Besetzung eines für die Zukunft essenziellen Postens wichtig gewesen könnte. Heinz Wraneschitz


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