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UmweltbewusstseinWir klimabesorgten Klimasünder

Schatten eines Flugzeugs
Wer von Berlin auf die Malediven und zurück fliegt, stößt fünf Tonnen CO2-Äquivalente aus. (Foto:  pixabay.com)

Unser Treibhausgasausstoß pro Kopf ist so gigantisch, dass drei Erden vonnöten wären, würden alle Menschen so leben wie wir Deutschen. Das Paradoxe daran: Gerade die umweltbewussten Bürger stoßen mehr CO2 aus als der Durchschnitt. Was also tun?

27.06.2019 – Würden Sie behaupten, umweltbewusst zu leben? Wenn ja, dann verhalten Sie sich besonders klimaschädlich – statistisch gesehen stoßen Sie zumindest mehr Kohlendioxid aus. Das hat das Umweltbundesamt in einer detailreichen Studie herausgefunden. Die Umweltforscher befragten Bürger repräsentativ zu ihrer Lebenssituation, Einkommen, Haushalt, Gewohnheiten.

Zwei zentrale Ergebnisse lieferten die Befragten: „Die statistischen Analysen bestätigen die Vermutung, dass vor allem das Einkommen einen zentralen Treiber für den Ressourcenverbrauch darstellt.“ Wer also mehr verdient, verhält sich statistisch gesehen umwelt- und klimaschädlicher. Und: „Der Energieverbrauch nimmt mit dem Alter zu, ist bei Männern größer als bei Frauen und sinkt tendenziell mit der Haushaltsgröße. Bemerkenswert ist, dass er in den sozialen Milieusegmenten mit verbreitet positiven Umwelteinstellungen überdurchschnittlich hoch ist.“ Umweltbewusste Menschen haben einen höheren Energieverbrauch und stoßen somit mehr CO2 aus, die provokante These vom Anfang.

„Umweltbewusst bei hohem Ressourcenverbrauch“

„Klimabesorgte Klimasünder“ wird diese Gruppe genannt. Oder auch „umweltbewusst bei hohem Ressourcenverbrauch“. Ganz so eindeutig ist der Zusammenhang allerdings nicht: Die Menschen sind nicht deshalb besonders klimaschädlich, weil sie umweltbewusst leben wollen, sondern weil sie mehr Geld für den Konsum zur Verfügung haben. Die beiden Faktoren treffen nur häufig zusammen.

Das Verhalten hängt mit dem Einkommen, dem Bildungsgrad und dem Lebenshorizont zusammen. Unter den Umweltbewussten tummeln sind besonders viele Akademiker, die mehr als der Durchschnitt verdienen und weltoffen sind. Sie bewohnen eine größere Wohnung oder ein Haus, und wer im Ausland studiert oder viele Reisen unternommen hat, möchte das weiterhin tun. Menschen mit höherem Einkommen fahren größere Autos und konsumieren mehr. Wer zu dieser Gruppe gehört, fliegt statistisch gesehen deutlich öfter und muss mehr Energie zum Heizen aufbringen. Beides zwei Bereiche, die unsere Pro-Kopf-Klimabilanz gründlich verhageln und die globale Erwärmung weiter vorantreiben.

Wer beispielsweise von Berlin nach New York und zurück fliegt, stößt fast vier Tonnen CO2-Äquivalente aus. Auf die Malediven sind es sogar fünf Tonnen. Ein Leben auf 100 Quadratmetern Altbau kann nochmal die gleiche Menge Treibhausgase pro Jahr bedeuten. Bei schlecht gedämmten Häusern sieht es ähnlich aus. Werden dann der normale Konsum, Ernährung, Mobilität, etc. addiert, landet man bei weit über dem deutschen Durchschnitt von elf Tonnen jährlich. Und dieser liegt bereits weit über dem, was die Erde dauerhaft aushält. Auf unter eine Tonne müssen wir unseren Treibhausgasausstoß pro Kopf reduzieren, wenn wir die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad halten wollen.

Die Klimaspreu vom Weizen trennen

Was kann ich also selbst tun? Michael Bilharz ist einer, der weiß wie es geht. Er arbeitet als Nachhaltigkeitsexperte beim Umweltbundesamt und lebt nach eigenen Angaben seit Jahren klimaneutral. Viele Menschen und besonders die Gruppe der Umweltbewussten wüssten oftmals nicht um die Dimensionen ihres Handelns, sagt er. Zwar regt man sich über plastikverpackte Biogurken, Erdbeeren im Winter oder die Autofahrt zum Bäcker um die Ecke auf. Gleichzeitig  unterschätzen viele aber den CO2-Ausstoß ihrer Flugreise, ihrer „notwendigen“ Autofahrten und der (möglicherweise schlecht isolierten) Wohnung. „Und das sind leider klimatechnisch die Big Points“, analysiert Bilharz.

Wenn wir besser sein wollen als der in Klimahinsicht schlechte deutsche Durchschnitt, müssen wir an diesen „Big Points“ arbeiten. Sonst kann es am Ende leicht passieren, dass unser CO2-Fußabdruck mit einer einzigen Flugreise unter den Durchschnitt absackt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jedes klimafreundliche Verhalten lohnt sich, aber man sollte die Dimensionen der einzelnen Maßnahmen richtig einschätzen.

Individuelles Handeln muss Wirkung erzeugen

Ohnehin könne man die Last der Verantwortung nicht allein auf die Konsumenten übertragen, findet Bilharz. Entscheidend seien die Rahmenbedingungen, in denen wir Konsumentscheidungen treffen. „Gerade jene, die umweltbewusst leben wollen und mehr Geld zur Verfügung haben, leben klimaunfreundlicher. Das muss uns zu denken geben“, sagt er. Ohne eine politische Veränderung, ohne andere Gesetze können wir als gesamtes Land kein besserer Klimaschützer werden.

Bilharz‘ Idee: Das individuelle Handeln muss eine Wirkung in der Gesellschaft erzeugen und das Signal an die Politik liefern: Wir sind bereit für einen Umschwung hin zu mehr klimafreundlichem Verhalten. Wenn eine kritische Masse erreicht sei, werde die Politik nicht anders können, als Gesetze zu ändern. Als Beispiel nennt Bilharz die Energiewende: Es waren ganz normale Bürger, Privatleute, Genossenschaften, Bauern und kleine Ökostromunternehmen, die als erste in Solaranlagen investierten. Bundesregierung und Bundestag beschlossen daraufhin Anfang der 2000er Jahre als neue Rahmenbedingung das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die Technologie förderte und schließlich für eine massive Kostenreduzierung sorgte. Erst im Anschluss folgten die breiten Bevölkerungsschichten und großen Energiekonzerne.

Ein Dreiklang für mehr persönlichen Klimaschutz

Was kann also jeder für mehr Klimaschutz in seinem Leben tun? Bilharz und das Umweltbundesamt schlagen einen Dreiklang beim Emissionssparen vor.

  1. Politisch sein und Mitglied in einem großen Umweltverband werden. Denn Umweltschutz ist ein politisches Projekt und kann nur durch starke Lobbyarbeit vorangebracht werden. Als freiwilliges Angebot hat Klimaschutz auf Dauer keine Chance, sagt Bilharz. Es braucht entsprechende Gesetze.
     
  2. Den eigenen CO2-Ausstoß bei einem seriösen Anbieter wie atmosfair oder myclimate kompensieren. 11,6 Tonnen Treibhausgase, also der durchschnittliche deutsche CO2-Fußabdruck pro Jahr, kosten etwa 250 Euro. Wenn man klimafreundlicher lebt natürlich weniger. „Das hat nichts mit Ablasshandel zu tun“, sagt Bilharz. „Sie verschieben das Projekt ‚Klimaneutral leben‘ nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern setzen es heute um.“ Auto fahren und fliegen ist manchmal notwendig, aber gibt es einen Grund, heute noch nicht zu kompensieren?

    Zudem: Wer viel Geld hat, hat im Allgemeinen einen höheren CO2-Ausstoß, insofern ist die Kompensationszahlung nur sozial. Das Geld fließt in den Aufbau klimafreundlicher Technologien in Entwicklungsländern, die von den Folgen des Klimawandels – maßgeblich durch die Industrienationen verursacht – am stärksten betroffen sind. Aufs Emissionssparen verzichten sollte man deshalb allerdings nicht.
     
  3. Die sogenannten „Big Points“ umsetzen, also die besonders klimaschädlichen Lebensweisen angehen. Das sind insbesondere: Die Größe der Wohnfläche und der Dämmstandard in Bezug auf den Heizenergieverbrauch, die Zahl der Fernreisen, die gefahrenen Autokilometer und den Treibstoffverbrauch des Autos. Für das Klima in eine kleinere Wohnung umziehen würde wohl kaum jemand in Betracht ziehen, auf den Urlaub verzichten klingt wenig attraktiv.

Es gibt aber noch eine Möglichkeit, dauerhaft viele Emissionen einzusparen: Was auf politischer Ebene gilt, ist auch privat wichtig: klimafreundliche Strukturen schaffen. Energieeffiziente Geräte, z.B. Kühlschrank und Waschmaschine, sorgen automatisch dafür, dass der persönliche CO2-Fußabdruck sinkt. Ökostrom ist ein wichtiger Baustein und mit einem Wechsel des Giro- und Sparkontos zu einer nachhaltigen Bank kann jeder viel bewirken. „Das Geld ist das gleiche, es arbeitet nur für den Klimaschutz“, sagt Experte Bilharz. Kompensieren Sie nicht nur einmalig eine Flugreise, sondern automatisch Ihren jährlichen CO2-Fußabdruck. Auf diese Weise schaffen Sie Ihre klimafreundlichen Rahmenbedingungen ein Stück weit selbst, statt auf die Politik zu warten. Clemens Weiß


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