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Die Meinung
27. Oktober 2014

Wie die Bundesregierung die Energiewende behindert

Mehr als fünf Millionen Haushalte in Deutschland beziehen einen Ökostrom-Tarif, über 1,3 Millionen Öko-Kraftwerke erzeugen hierzulande grünen Strom. Imposante Fakten. Leider haben sie fast nichts miteinander zu tun.

Oliver Hummel, Vorstand NATURSTROM AG

Oliver Hummel, Vorstand NATURSTROM AG
Oliver Hummel ist Vorstand der NATURSTROM AG. (Foto: NATURSTROM AG)
Oliver Hummel ist Vorstand der NATURSTROM AG. (Foto: NATURSTROM AG)

27.10.2014 – Ökostromtarife mit Mehrwert für die Energiewende sind extrem rar – auch, weil die Bundesregierung sinnvolle Reformideen bislang nicht in Gesetzesform gegossen hat.

Der überwiegende Teil der Ökostrom-Tarife basiert auf Wasserkraft-Strom aus Skandinavien und den Alpenländern. Häufig werden noch nicht einmal die Strommengen gehandelt, sondern nur sogenannte Herkunftsnachweise. Für den Bruchteil eines Cents kann sich ein Stromversorger belegen lassen, dass irgendwo in Europa eine Kilowattstunde grüner Strom erzeugt wurde.

Er kauft Graustrom unbekannter Herkunft von der Leipziger Strombörse, klebt den Herkunftsnachweis eines Wasserkraftwerks aus Norwegen drauf – und fertig ist das Ökostrom-Produkt. Nur sehr wenige Stromanbieter setzen sich tatsächlich für den zusätzlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien und für die Energiewende ein.

Warum diese absurde Praxis? Garant für den Ausbau der Erneuerbaren Energien ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG. Betreiber von Windparks, Photovoltaikanlagen, Wasser- und Biomassekraftwerken speisen ihren Strom ins örtliche Verteilnetz ein und erhalten im Gegenzug eine im Gesetz festgelegte Vergütung.

Der Strom wird über die vier Übertragungsnetzbetreiber oder über Händler an der Strombörse in Leipzig verkauft. Dort verliert der EEG-geförderte Ökostrom allerdings sein Herkunftsmerkmal, beim Endverbraucher kommt er vermischt mit Atom- und Kohlestrom als eigenschaftsloser Graustrom an.

Das heißt also: Landauf, landab investieren Privatleute, Genossenschaften, Landwirte, engagierte Stadtwerke und Ökostromanbieter in neue saubere Kraftwerke. Doch den dort erzeugten Ökostrom an Haushalte zu liefern, die sich bewusst für einen Ökostrom-Tarif entschieden haben - das ist so gut wie unmöglich.

Dieses Problem ist in Fachkreisen schon lange bekannt. Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die Anfang August in Kraft trat, hat es sogar noch verschärft: Eine bis dahin bestehende Regelung zur direkten Belieferung von Endkunden mit EEG-Ökostrom, die zumindest eine begrenzte Anwendung fand, wurde im Zuge der Reform gestrichen.

Dabei ist eine solche Regelung nötig, um die damit verbundenen folgenden positiven Effekte zu ermöglichen. Erstens: Statt primär Wasserkraftstrom aus dem Ausland kaufen zu müssen, könnten Ökostromanbieter oder auch ambitionierte lokale Versorger Tarife mit Strom aus Erneuerbaren Energien aus der Region anbieten.

Das Resultat: Grünstrom ohne Umwege. Eine direkte und nachvollziehbare Lieferbeziehung vom Windpark oder der Solaranlage bis zum Endkunden.

Zweitens: Eine regenerativ basierte Stromversorgung ist mehr als die Summe aus sauberen Kraftwerken und Stromleitungen. Sie fordert ein komplexes System, das noch in vielerlei Hinsicht weiter entwickelt werden muss. Dazu gehört an prominenter Stelle eine bessere Integration schwankender erneuerbarer Energien in den Stromhandel.

Stromversorger, die bei der Energiewende vorangehen wollen, müssen hierbei eine viel aktivere Rolle einnehmen können, als es ihnen derzeit möglich ist. Stromhändler, die einen Tarif mit hohem Anteil aus Solar- und Windenergie anbieten, haben mit den richtigen Vermarktungsmodellen einen hohen Anreiz, den schwankenden Verbrauch der Kunden und die schwankende Stromeinspeisung aufeinander abzustimmen.

Im Kleinen können ambitionierte Stromversorger so bereits leisten, was das Gesamtsystem zukünftig leisten muss. Die Lerneffekte, die hier möglich sind, sollten wir uns nicht entgehen lassen.

Und drittens kann nicht zuletzt auch die Akteursvielfalt bei der Energiewende von besseren Vermarktungsoptionen für EEG-förderungsfähigen Strom an Endkunden profitieren. Viele Energiegenossenschaften und einige Ökostromanbieter überlegen derzeit, wie sie den Strom aus Bürger-Windparks und -Solaranlagen ihren Genossenschaftsmitgliedern und der Bevölkerung vor Ort anbieten können. Solche regionalen Versorgungskonzepte sollte der Gesetzgeber ermöglichen, anstatt ihnen von vornherein einen Riegel vorzuschieben.

Transparente und sinnvolle Ökostromtarife, bei denen der Grünstrom ohne Umwege direkt von hiesigen Wind- oder Solarparks zum Kunden geliefert wird – ob es das demnächst gibt, liegt nun in der Hand des Bundeswirtschaftsministeriums.

Denn im Sommer wurde auf Druck engagierter Parlamentarier in letzter Sekunde eine Verordnungsermächtigung ins neue EEG aufgenommen, also eine Art Platzhalter. Die Verordnungsermächtigung erlaubt es dem Wirtschaftsministerium, noch vor der nächsten Reform das EEG auf dem kurzen Dienstweg um ein Grünstrom-Vermarktungsmodell zu ergänzen.

Die Bedingungen: Es muss mit EU-Recht vereinbar sein und darf das EEG-Umlagesystem nicht zusätzlich belasten.

Detaillierte Vorschläge für solch ein Vermarktungsmodell liegen auf dem Tisch, Erneuerbaren-Branche und Politik diskutieren bereits seit vielen Monaten intensiv. Bleibt zu hoffen, dass der Debatte bald Taten folgen. Die Energiewende und insbesondere die Ökostrom-Kunden in Deutschland haben es verdient.

Dieser Artikel ist erstmals erschienen als Blog-Beitrag bei HuffPost

Oliver Hummel kam 2001 zur NATURSTROM AG. Seit 2004 ist er als Geschäftsführer für den Energiehandel verantwortlich, seit 2011 Mitglied des Vorstands. Die NATURSTROM AG erhielt 2013 den Europäischen Solarpreis für ihr Engagement bei der Systemintegration der Erneuerbaren im Ökostromhandel.




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