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Die Meinung
15. Juli 2021

Das Klima-Sorgenkind Gebäudesektor muss erwachsen werden!

Der Gebäudesektor hat das Klimaziel 2020 verfehlt und Horst Seehofer wurde zum Nachsitzen verdonnert. Nun muss er ein Sofortprogramm vorlegen, das zeigt, wie das Klima-Sorgenkind auf Kurs zur Klimaneutralität 2045 gebracht werden kann. Die Deutsche Umwelthilfe fordert den Bauminister auf, dabei Ressourcen- und Klimaschutz zusammenzudenken.

David Fritsch arbeitet im Bereich Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

David Fritsch arbeitet im Bereich Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH).
Foto: DUH

15.07.2021 – Der Gebäudebereich ist und bleibt das Klima-Sorgenkind Deutschlands. Nachdem der Sektor Anfang des Jahres als einziger sein Zwischenziel aus dem Klimaschutzgesetz verfehlt und das Bundesverfassungsgericht ein richtungsweisendes Klimaschutzurteil gefällt hat, müssen die CO2-Einsparungen in diesem Bereich nun deutlich verschärft werden, um einen klimaneutralen Gebäudebestand bis 2045 zu schaffen. Damit rächt sich die politische Tatenlosigkeit der letzten Jahre.

Zwar hat das Bauministerium unter Leitung von Horst Seehofer verkündet, dass sein Vorschlag für ein Gebäude-Sofortprogramm die Verschärfung der Klimaziele ernst nimmt. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) rechnet dennoch damit, dass auch dieses Papier vor allem durch unverbindliche Versprechungen und fehlende Bekenntnisse zur Verteilung des CO2-Preises oder der Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden auffallen wird. Obwohl rund ein Drittel der deutschen CO2-Emissionen und rund 35 Prozent des deutschen Energieverbrauchs auf den Gebäudesektor entfallen, werden sozialverträgliche und ganzheitliche Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudebereich weiterhin vernachlässigt.

Seehofer muss mit dem Silodenken aufhören und endlich den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden in den Blick nehmen.

Nach wie vor verkennt Horst Seehofer, dass das bestehende Gebäudeenergiegesetz (GEG) sich fast ausschließlich auf die Umweltauswirkungen während der Nutzungsphase von Gebäuden fokussiert und selbst dort weit hinter zielkonformen Anforderungen zurückbleibt. Dabei können durch eine ganzheitliche Betrachtung, die die Herstellung von Baumaterialien, die Errichtung von Gebäuden und insbesondere den Gebäuderückbau und das Recycling berücksichtigt, nicht nur erhebliche Klimaschutzpotentiale gehoben, sondern auch der Umgang mit wertvollen Ressourcen optimiert werden. Immerhin machen diese unter den Namen „Graue Energie“ bzw. „Graue Emissionen“ bekannten vor- und nachgelagerten Prozesse rund acht Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen aus.

Auch stammen über 218 Millionen Tonnen und damit über 50 Prozent des deutschen Abfallaufkommens aus dem Bausektor. Deshalb sollte anstelle von Abriss und flächenversiegelnden Neubau die Um- und Weiternutzung von Bestandsgebäuden im Mittelpunkt einer umweltfreundlichen Baupolitik stehen. Neben einer deutlich ambitionierteren Sanierungsrate braucht es hierfür Anreize für die Lebenszyklusbetrachtung, wie es die DUH und zahlreiche weitere Akteure bereits Ende letzten Jahres in einem Aufruf forderten.

Kreislauffähiges Bauen ist möglich

An ausgeklügelte Innovationen für mehr Kreislauffähigkeit im Bausektor fehlt es nicht. Bei der Wärmedämmung gibt es beispielsweise eine Vielzahl von Ansätzen, die die „Graue Energie“ reduzieren und ein späteres Recycling der Baustoffe ermöglichen. So wurde etwa für mit dem Flammschutzmittel HBCD behandelte Styropor-Dämmstoffe ein neues Recyclingverfahren entwickelt, das seit Kurzem in einer Pilotanlage betrieben wird.

Solche Innovationen von Seiten der Hersteller:innen, aber auch das Interesse von Archtekt:innen, Wissenschaftler:innen und Entsorger:innen an der Thematik verdeutlichen, dass Ressourcen- und Klimaschutz in der Baupraxis verstärkt zusammengedacht wird. Was fehlt, damit sich solche Neuerungen in der Breite durchsetzen, sind jedoch die politischen Rahmenbedingungen. Das Sofortprogramm von Bauminister Seehofer muss daher auch darauf abzielen, Nachhaltigkeitspotenziale im Bereich der Baustoffe zu erschließen und bestehenden Innovationen zu einer besseren Marktdurchdringung zu verhelfen. Wichtige Maßnahmen, die bereits jetzt umsetzbar sind, wären ein verpflichtender Einsatz von Baustoffen aus Recyclingmaterial, die Vermeidung von Abriss zugunsten einer Weiternutzung bestehender Bausubstanz und eine Dokumentationspflicht dessen, was in einem Gebäude verbaut ist.

Weitere Vorschläge hat die DUH im Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Projekts „Innovationen Wärmedämmung“ erarbeitet und politische Handlungsempfehlungen zur Stärkung klimafreundlicher und ressourcenschonender Dämmstoffe veröffentlicht. Eine Informationsbroschüre stellt zudem ausgewählte Praxisbeispiele aus verschiedensten Bereichen der Wärmedämmung vor.

Mit dem Gebäude-Sofortprogramm vom Klima-Sorgenkind zum Musterschüler

Leider mangelt es noch immer am politischen Willen, die Lebenszyklusbetrachtung im Gebäudesektor ernst zu nehmen. Aufgrund bestehender Marktbarrieren und politischen Hürden für umweltfreundliche Innovationen ist die Wegwerf-Bauweise für Bauherr:innen oft wirtschaftlicher als das kreislauffähige Bauen. Horst Seehofer hat die Möglichkeit, hier gegenzusteuern und den Lebenszyklusgedanken in seinem Klimaschutz-Sofortprogramm fest zu verankern. Die Deutsche Umwelthilfe hat deshalb eine Blaupause für das klimaneutrale Wohnen veröffentlicht, die umfassende Maßnahmen darlegt, wie der Gebäudesektor vom Klima-Sorgenkind noch zum Musterschüler werden kann.  




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