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Die Meinung
06. Januar 2020

Die 2020er brauchen die Urbanisierung der Energiewende

Die Energiewende funktioniert auch als Gemeinschaftswerk immer dann besonders gut, wenn Menschen oder Unternehmen möglichst einfach Projekte verfolgen und umsetzen können, die sie selbst begeistern. Millionen private und gewerbliche PV-Anlagen und tausende Bürgerenergieprojekte sind so in einer Mischung aus ideellem Antrieb, wirtschaftlichem Interesse und Spaß am gemeinsamen Engagement entstanden.

Dr. Tim Meyer, Vorstandsmitglied von NATURSTROM

Dr. Tim Meyer, Vorstandsmitglied von NATURSTROM
Foto: © NATURSTROM AG

06.01.2020 – Die bislang realisierten PV-Eigenverbrauchsanlagen im privaten und gewerblichen Bereich wie auch die für die Netzeinspeisung konzipierten größeren PV-Projekte und Windparks haben jedoch eines gemeinsam: Sie finden weitgehend in weniger dicht besiedelten und ländlichen Räumen statt. Zugespitzt haben wir bisher vor allem eine kleinstädtische und ländliche Stromwende betrieben – in den Städten oder gar urbanen Räumen stehen wir bei der Umstellung auf saubere Energie noch immer ganz am Anfang. Dabei schlummert dort ein riesiges Potenzial an Dachflächen und Kellerräumen. Und die Wärme- und Verkehrssektoren schreien in den Städten förmlich nach einer dezentralen Sektorenkopplung, um auch in diesen Bereichen endlich eine Wende voranzubringen.

An dieser Stelle brauchen auch wir Befürworter einer wirklich dezentralen und bürgernahen Energiewende allerdings selbst noch Antworten. Denn der klassische Eigenverbrauch oder neue „peer-2-peer“-Ideen ziehen hier nicht. Weder erlauben die technischen und (energie)wirtschaftlichen Randbedingungen aktuell solche Modelle. Noch werden sie in einer hoch digitalisierten und sektorengekoppelten Welt von einzelnen Menschen, kleineren Unternehmen oder Bürgerenergiegruppen umsetzbar sein.

Bereits heute zeigen einfache Vorboten wie Mieterstrom, dass das Know-how und benötigte Geschäftsprozesse die Möglichkeiten auch findiger Gebäudeeigentümer oder Bürgerenergiegesellschaften schnell überschreiten. Für kleinere Projekte braucht es daher dringend die im EU-Winterpaket geschaffenen Freiräume und Erleichterungen für Nachbarschaftsstrom und vergleichbare Modelle. Aber auch dies werden vermutlich eher Nischen sein. Wir brauchen Lösungen für die Breite. Angebote, in denen wir die Menschen teilhaben lassen können, mit welchen sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger aber auch zukünftig nicht als aktive Prosumer verstehen und sich selbst intensiv für die eigene Energieversorgung engagieren müssen. In Mieterstromprojekten erreichen wir heute unsere sehr hohen Teilnahmequoten bis über 90 Prozent nur dann, wenn sich die Kunden tatsächlich wie Kunden fühlen können – mit hohem Komfort und ohne sich in besonderer Weise kümmern oder engagieren zu müssen.

Wie sieht also unser Bild der Energiewende in den Städten als Gemeinschaftswerk aus? Welche Plattformen, Partner und Kooperationsmodelle brauchen wir, um die Menschen vor Ort tatsächlich mitzunehmen und einbinden zu können?

Dafür werden „digitale Zwillinge“, also digitale Abbilder unserer Energieinfrastruktur für Planung, Steuerung und Dienstleistungen zwingend notwendig werden. Denn in Zukunft werden auch dezentrale Energieangebote und ihre Abwicklung weitgehend digital stattfinden. Dass am Ende Google, Facebook oder irgendwelche Energiedatentöchter der alten Energiewirtschaft alles über die Cloud lösen und die Menschen in einer Wolke aus Komfort und schleichender Manipulation einlullen, darf aber nicht die Lösung sein. Gleichzeitig dürfen wir die Macht und Leistungsfähigkeit der entstehenden digitalen Zwillinge und damit der dahinterstehenden Konzerne nicht unterschätzen und müssen eigene, auf Datensparsamkeit und Datenschutz ausgerichtete Angebote entwickeln.

Daher werden wir das Jahr 2020 nicht nur der Wiederbelebung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien in Deutschland widmen, sondern auch der Frage: Wie bringen wir endlich eine bürgernahe Energiewende in die Städte? Und wie nutzen wir die Digitalisierung und hegen sie gleichzeitig ein? Wie können wir dezentrale Plattformen für die Energiewende schaffen, die einerseits Menschen weiter ein ökologisches und wirtschaftliches Eigenengagement bei der Energieerzeugung ermöglicht, die aber andererseits auch für viele andere attraktive und nachhaltige „konsumierbare“ Lösungen anbietet?

Der Neubauboom urbaner Quartiere bietet hier riesige Chancen. Nicht nur können wir die Energieinfrastruktur gleich von Beginn an auf Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Sektorenkopplung ausrichten. Wir können auch die Bewohner von Anfang an mitnehmen und neue Ansätze für Kommunikation und Partizipation unter Nachbarn entwickeln. Wir hoffen, dass sich möglichst viele gleichgesinnte Akteure der Erneuerbaren Energien und neuen Energiewirtschaft dem anschließen.




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