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Die Meinung
14. Januar 2021

Die ersten Risse im European Green Deal Fundament

Ob Erdgas aus Russland über die Nord Stream 2-Pipeline oder Fracking-Gas aus den USA: die Gas-Industrie feuert, trotz stürzenden Aktienwerten inmitten der Klimakrise, aus allen Rohren – Absurdität, abgesegnet durch Gelder der Europäischen Union. Zeit, dass Ruder herumzureißen.

Niklas Nienaß und Michael Bloss, Abgeordnete der Grünen/EFA im Europäischen Parlament

Niklas Nienaß und Michael Bloss, Abgeordnete der Grünen/EFA im Europäischen Parlament
Profilbilder der EU-Abgeordneten Niklas Nienaß und Michael Bloss
Bilder: @ European Union, Michael Bloss

14.01.2021 – Vor fast einem Jahr legte die EU-Kommission einen Investitionsplan vor, der Europa ein regelrechtes Feuerwerk an neuen Gas-Pipelines, Flüssiggas-Terminals und Speicherprojekten bescherte. Abgesegnet von einer konservativ-liberalen Mehrheit im EU-Parlament, stellt die sogenannte PCI-Liste eine Summe von 29 Milliarden Euro zur Verfügung — die nun zu erheblichen Teilen in eine veraltete und klimaschädliche Technologie fließt.

Schon 2018 zeigte das Wissenschaftsmagazin Science auf, wie fatal die Fracking-Gas-Förderung in den USA ist. Denn bei dem Prozess entweichen gigantische Mengen klimaschädliches Methan durch Lecks in die Atmosphäre.  Neuere Daten belegen diese klimaschädlichen Entwicklung. Forscher:innen machen die Gasförderung weltweit für rund ein Drittel der Emissionen aus fossilen Energien verantwortlich.

Gleichzeitig sind die Investitionen wirtschaftspolitisch fahrlässig. Es ist schließlich bereits heute abzusehen, dass die Infrastruktur dieser sogenannten „Brückentechnologie“ in wenigen Jahren wieder teuer abgewickelt werden muss. Man beschafft hier der Gasindustrie kurzsichtige Milliardengewinne auf Kosten der Allgemeinheit.

Durch Gas wird Europa weder klimafreundlicher noch zukunftsfähiger. Jeder Cent, der ins Gas fließt, rückt das Ziel Klimaneutralität bis 2050 weiter in die Ferne und konterkariert die Europäische Green Deal Strategie. Wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, muss diese fahrlässige Investitionspolitik ein sofortiges Ende finden.

Gas-Projekte, die niemand braucht

Mitte vergangenen Jahres hat das  Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin klar aufgezeichnet, welche Investitionen in welche Technologien fließen müssen, damit wir so schnell wie möglich 100 Prozent Erneuerbare in der EU erreichen. Darunter befindet sich kein einziges Gas-Projekt.

In Deutschland wird indes munter weiter investiert. Derzeit laufen die Planungen für zwei Flüssiggas-Terminals: Brunsbüttel und Stade.  Alleine für den Pipeline-Bau wird dabei fast eine Milliarde Euro veranschlagt — bezahlt werden soll dies unter anderem auch von EU-Geldern. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier treibt das Projekt seit Jahren voran — obwohl sein Ministerium selbst zugibt, dass der Gasbedarf in Deutschland in den nächsten Jahren sinken wird.

Den ersten Platz im Rennen der Absurditäten macht derzeit allerdings die SPD geführte Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern: mit einer „Klima- und Umweltstiftung“, die den Bau der Nordstream 2-Gaspipeline zu Ende führen soll. Ja, Sie haben richtig gelesen: Eine aus Steuergeldern finanzierte Stiftung zum Zwecke des Klima- und Umweltschutzes soll eine Pipeline bauen, die energiepolitisch nicht notwendig, dafür aber hochgradig klimaschädlich ist und noch dazu Deutschland in politische Abhängigkeiten zu Russland setzt.

Es ist seit Jahren absehbar, dass Europa all diese Projekte nicht braucht. Der Europäische Rechnungshof zeigte dazu 2015 auf: "Der (Gas-)Bedarf wird seit Jahren überschätzt, weil die EU keine eigene Rechnung anstellt, sondern sich auf externe Prognosen verlässt." Prognosen, die oftmals genau aus der Industrie kommen. Bestätigt wird diese Bemängelung wie folgt: Seit 2013 haben Gas-Unternehmen im Zuge der TEN-E Förderung fast eine halbe Milliarde Euro – immerhin 10 Prozent aller Subventionen aus dem Topf – für Projekte ausgegeben, die nie gebaut wurden, noch nicht begonnen haben oder möglicherweise nicht das versprochene Gas transportieren.

Ein wirtschaftliches Milliardengrab – für die Gas-Industrie und die EU

Wie unverfroren die Gas-Industrie vorgeht, konnten wir im Juli 2020 bei der  Wasserstoffstrategie der EU Kommission sehen. Ein Leak der Strategie kurz vor der Veröffentlichung zeigte klar: etliche Prognosen für den Wasserstoffbedarf der EU kamen federführend aus einer Studie der Gasindustrie. Diese setzt vor allem auf blauen Wasserstoff, der wiederum aus Erdgas hergestellt wird. Folglich hätte sich eine Win-Win-Situation für die Industrie angebahnt: Die EU hätte für neue Gas-Projekte und neue Wasserstoffprojekte bezahlt. Die zuständige EU-Kommissarin Simson ruderte eilig zurück. Die Prognosen wurden angepasst.

Nach Angaben des Öl- und Gasunternehmens Rystad waren Frankreichs Pipelines im Jahr 2019 nur zur Hälfte ausgelastet, während die Gasimport-Terminals nur 60 Prozent dessen importierten, was sie importieren konnten. Belgien, die Niederlande und Spanien schnitten alle ähnlich schlecht ab. Und in Deutschland transportierten die Gaspipelines nur ein Drittel dessen, was sie aufnehmen konnten.

Auch in Mittel- und Osteuropa ist die Lage stabil. Denn bereits jetzt verfügt die Region über genügend Gasleitungen und Import-Terminals, um Versorgungsschocks zu überstehen. Laut einem Bericht des  Think-Tanks Artelys vom Januar 2020 kann die EU selbst dann an genug Gas kommen, wenn eine unserer Quellen – beispielsweise Russland – die Gashähne zudrehen würde. Die Energiesicherheit ist gewährleistet.

Zeit, dass wir das Ruder herumreißen

Als Abgeordnete des Europäischen Parlaments sind wir nicht der Gas-Industrie, sondern den europäischen Bürger:innen verpflichtet — und die verlangen vor allem Klimaschutz. Laut dem  Eurobarometer von 2020 sehen die Bürger:innen in der Klimakrise die größte Gefahr. 80 Prozent sind der Auffassung, dass die Großunternehmen und die Industrie nicht genug für den Umweltschutz tun. Unser Auftrag ist also mehr als deutlich: Wir müssen der Industrie den Weg in die Klimaneutralität weisen.

Mit dem Europäischen Green Deal hat die Europäische Kommission dabei einen Rahmen vorgelegt, der zahlreiche Möglichkeiten bietet. Mit dem Just Transition Fund haben wir beispielsweise einen mit 17,5 Milliarden ausgestatteten Fördertopf, um die Energiewende sozial gerecht zu gestalten. Geld, mit dem wir in ehemaligen Kohle-Regionen eine klimaneutrale Wirtschaft aufbauen können.

Mit massiven Druck ist es uns Grünen gelungen, die Förderung von Gasprojekten mit diesen Mitteln zu verbieten. Nun müssen wir auch in anderen Bereichen dafür sorgen, dass wir klimapolitisch nicht vom Regen in die Traufe geraten.

Gas hilft niemandem — außer ein paar veralteten Konzernen ihre Bilanzen zu vergolden. Das Klima schützen und die Europäische Union dabei gleichzeitig von geopolitischen Machtspielen unabhängig machen, das wird nur mit einem raschen Ausbau der Erneuerbaren gelingen. Ohne fossile Tricksereien mit Erdgas!




Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Stephan Geue 26.01.2021, 17:53:14

> Ja, Sie haben richtig gelesen: Eine aus Steuergeldern finanzierte Stiftung …

 

Zunächst mal: Das haben wir nicht gelesen, denn es steht im Text zuvor nicht. Alsdann: Richtig ist, dass Steuermittel in die Stiftung fließen. Von 600.000 Euro ist die Rede. Die soll niemand kleinreden. Die Quelle, aus der ich das habe, erwähnt jedoch noch 60 Mio. Euro von Gasprom. „Eine aus Steuergeldern finanzierte Stiftung“ macht also, wenn diese Relationen stimmen, aus diesem Kommentar einen „Lückenkommentar“.

 

Die Kritik am mit dieser Stiftung betriebenen Greenwashing der Energiequelle Erdgas ist gleichwohl berechtigt. Damit ist auch die Kritik am Widerspruch zwischen Name und Tätigkeit der Stiftung berechtigt. Leider kann es aufgrund der genannten, gravierenden Weglassung passieren, dass manche dort aufhören zu lesen und sagen: „Ah, die Grünen Transatlantiker sind wieder in Aktion. Wenn’s passt, hauen sie den Putin. Wenn’s nicht passt, hauen sie die Umweltaktivisten im Dannenröder Forst.“ Nein, das waren natürlich nicht die Autoren dieses Kommentars.

 

> Der Europäische Rechnungshof zeigte dazu 2015 auf: „Der (Gas-)Bedarf wird seit Jahren überschätzt, …“

 

Nun, was der Europäische Rechnungshof vor sechs Jahren dazu aufzeigte, ist, gelinde gesagt, obsolet. Und zwar unabhängig davon, wie man zur Nutzung von Erdgas als Energiequelle stehen mag. Seither sind einige Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet worden, auch eines oder zwei in Frankreich, und ohne Frage war es höchste Zeit, dass dies geschah, aber der Energieverbrauch dieser Länder hat nicht im gleichen Maße abgenommen. Und es stehen weitere Abschaltungen an. Wir wissen inzwischen auch, dass zusätzlich Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden. Soweit ich im Bilde bin, gehen diese nicht ausnahmslos in die Reserve. Für die Investruine Moorburg wird eine Umstellung auf Wasserstoff in Erwägung gezogen; das klingt nicht nach Reserve.

Stephan Geue 26.01.2021, 18:08:56

> Mitte vergangenen Jahres hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin klar aufgezeichnet, welche Investitionen in welche Technologien fließen müssen, damit wir so schnell wie möglich 100 Prozent Erneuerbare in der EU erreichen. Darunter befindet sich kein einziges Gas-Projekt.

 

Nun, das stimmt so nicht ganz. Erdgas, also im Wesentlichen Methan, ist ebenso wie Wasserstoff ein Gas, und von Wasserstoff war durchaus die Rede. Die Wasserstoffprojekte sind nicht nur deshalb fragwürdig, weil wesentliche Teile der Industrie so genannten „blauen“ Wasserstoff generieren will, also auf nichtregenerativer Basis, sondern weil auch der grüne Wasserstoffzyklus fragwürdig ist. Er ist es deshalb, weil er einen Gesamtwirkungsgrad von unter 50 Prozent hat. Die Energie geht verloren – genauer: wird in Wärme umgewandelt – bei der Hydrolyse, also der Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff, beim Transport und der Speicherung von Wasserstoff, vor allem aber bei der angedachten sauberen Verwendung des Wasserstoffs in der Brennstoffzelle. Physikalisch bedingt, also durch technische Optimierungen nicht überbietbar, sind dort maximal 60 Prozent machbar, in mobilen Anwendungen, wie sie im Verkehrssektor zum Einsatz kommen sollen, sogar noch weniger. Wir können es uns nicht leisten, schon mal die Hälfte des auf diese Weise verwendeten erneuerbaren Stroms in dieser Weise zu verplempern. Ganz abgesehen davon, dass der Wasserstoffpreis von mit Überschussstrom betriebenen Elektrolyseuren, die bislang nur in 10…20 Prozent des Jahres laufen könnten (denn in der übrigen Zeit findet erzeugter Strom direkten Einsatz, oder es weht kein Wind, der welchen generieren würde), erheblich über dem liegen würde, was die Wirtschaft derzeit so gewohnt ist. Um Faktoren höher, um genauer zu sein.

Stephan Geue 26.01.2021, 18:18:14

> Mitte vergangenen Jahres … (Fortsetzung)

 

Außer vom Wasserstoff schreibt das DIW von Batteriespeichern. Was für ein Aberwitz! In einer Woche Dunkelflaute im Winter – und die sind keine Legende, sondern kommen vor, siehe z.B. das Agorameter – würde bei Wegfall aller fossilen Ausgleichsprimärenergieträger und der noch verbliebenen Atomkraft eine Leistungslücke von ca. 50 Gigawatt in Deutschland entstehen. Über die 168 Stunden einer Woche (der PV-Beitrag ist in Inversionswetterlagen ebenso vernachlässigbar wie der Windbeitrag) sind das gut 8 TWh. Für die im inzwischen ziemlich großen Stil produzierten Tesla-Batterien rechnet der Hersteller mit ca. 50 Dollar je kWh. Das sind also 400 Mrd. Dollar. Es wäre doch wenigstens eine kleine Notiz am Rande wert, woher der DIW die nehmen will, abgesehen davon, dass solche Kapazitäten wahrscheinlich in den nächsten fünf Jahren auf der ganzen Welt nicht hergestellt werden. Und wenn sich die geschätzten Kommentatoren auf den DIW beziehen – was für Grüne an sich schon mal bemerkenswert ist, aber ich begrüße jeden Pragmatismus –, dann sollten sie in diese Bresche springen und die benötigte Erleuchtung liefern.

 

Es gibt eine ganze Reihe von Technologien, die mit ein bisschen gutem Willen ebenfalls als Batterietechnologie bezeichnet werden kann, z.B. die Redox-Flow-Technologie. Es gibt weitere Technologien, die dann allerdings nicht mehr als Batterie, sondern neutraler als Speicher bezeichnet werden sollten. Vielen davon gemeinsam ist, dass sie über das Stadium von Prototypen bislang nicht hinausgelangt sind. Sie zu referenzieren wäre bestenfalls mutig zu nennen, im Kontext zuverlässiger Versorgung einer Volkswirtschaft mit Elektrizität korrekter als fahrlässig.

Stephan Geue 26.01.2021, 18:32:41

> Als Abgeordnete des Europäischen Parlaments sind wir nicht der Gas-Industrie, sondern den europäischen Bürger:innen verpflichtet — und die verlangen vor allem Klimaschutz.

 

So gern ich das glauben würde... Gewiss verlangen die Europäerinnen und Europäer Klimaschutz. Sie verlangen ihn, weil sie das, was ihnen noch wichtiger ist, noch haben, nämlich eine wirtschaftliche Existenz. Sie verlangen keinen sicheren Arbeitsplatz, weil sie ihren Arbeitsplatz einigermaßen sicher wähnen. Sie verlangen keine unterbrechungsfreie Stromversorgung, weil sie sich weit entfernt von Szenarien wähnen, wie sie Marc Elsberg in seinem Bestseller "Blackout" geschildert hat. Ganz sicher werden sie ihre zweifellos wichtige Forderung nach den ersten zwölf Stunden eines Deutschland-weiten Blackouts fallen lassen und sich auf gegenwärtig Existenzielleres besinnen (der Klimaschutz dagegen dient vor allem der Existenzsicherung unserer Kinder und Enkel, was keineswegs unwichtig ist, aber eher auf die in Zukunft Lebenden fokussiert ist), und die Wahrscheinlichkeit dafür steigt, so sehr ich den Ausstieg aus Atom und Kohle begrüße, mit jedem ohne sicheren Ersatz abgeschalteten Gigawatt Kraftwerkskapazität. Wenn Politiker - und vor allem Grüne - nicht den Schwerpunkt ihrer Agitation von den Erneuerbaren hin zur *Speicherung* der Erneuerbaren verlagern, werden sie baden gehen, sobald wir mal in die ungemütliche Lage geraten, im Dunkeln zu sitzen. Und ohne Heizung. Und ohne Wasser. Und ohne nahezu alles, was eine Zivilisation ausmacht. Und wehe ihnen, wenn sie dann bereits Regierungsverantwortung tragen, etwa in einer schwarz-grünen Koalition. Es wird dann keine Rolle spielen, dass den Status quo seit Jahren die Große Koalition verbockt. Die kann unter anderem deshalb ziemlich ungestört ihre Förderer bedienen, weil sich Grüne eher auf Wladimir Putin eingeschossen haben als auf Fehler im eigenen Land.


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