Menü öffnen

Die Meinung
17. Februar 2020

Frischer Wind in die Segel der Bürgerenergie – Klimapolitik als Bürgerbewegung

Die zentralistisch-bürokratische Energiewende ist gescheitert. Wir brauchen dringend eine Wiederbelebung der europäischen Bürgerenergie. Dafür müssen die in den letzten Jahren aufgebauten Hindernisse abgebaut und unterstützende Strukturen aufgebaut werden. Eine umfassende sozial-ökologische Transformation und Ermutigung für die Menschen so zu handeln, ist nötig.

Klaus Mindrup, SPD, Mitglied des Deutschen Bundestages

Klaus Mindrup, SPD, Mitglied des Deutschen Bundestages
©Thomas Immo

17.02.2020 – „Green Deal“ und das „Clean Energy Package“ der EU gehen in die richtige Richtung. Für mehr Bürgerenergie, für eine Energie von unten, um Klimaschutz und Wertschöpfung in der Region zu verbinden.Sollen Potentiale und Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern in ein Energiekonzept vor Ort integriert werden, müssen durch Politik und Administration nicht nur Hindernisse abgebaut, sondern vor allem aktiv unterstützende Strukturen, Rahmen und Finanzierungen angeboten werden, die auf die Interessen und Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger eingehen. Unsere ambitionierten Klimaziele lassen sich nicht mit dem Stiefel der Bürokratie im Nacken der Menschen erreichen. Wir brauchen vor allem Akteure, die die dezentrale Energiewende vor Ort unterstützen und umsetzen, wie progressive Stadtwerke, Genossenschaften aber auch echte Grünstromversorger wie Naturstrom.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat an Schwung verloren, obwohl die Mehrheit der Gesellschaft für mehr Erneuerbare ist. Ohne den deutlichen Ausbau der regenerativen Energien wird Deutschland seine Klimaschutzziele nicht erfüllen können. Bis jetzt sind Bürgerinnen und Bürger die aktivsten Träger des Ausbaus der Erneuerbaren, über ein Drittel aller Eigentümer von Anlagen hierzu sind in der Bundesrepublik Privatpersonen. In ihnen liegt das stärkste Potential für den dynamischen und deutlichen Ausbau dieser Energien. Entscheidend ist, ob wir es schaffen, dass die Menschen vor Ort ihren Strom allein oder in Erzeugergemeinschaften erzeugen und verbrauchen dürfen und dabei unterstützt werden – Prosumer, also sowohl Produzenten als auch Konsumenten zu werden und damit aktive Teilnehmer der Energie- und Klimawende. Dabei geht es aber immer um einen ganzheitlichen Ansatz. Durch Kraft-Wärme-Kopplung wird neben dem Strom auch noch erforderliche Wärme erzeugt, quasi als Nebenprodukt aus der Stromerzeugung. Damit werden die Gebäude klimafreundlicher und – nach einem Brennstoffwechsel auf Biogas oder grünem Wasserstoff oder Methan aus grünem Wasserstoff – auch in den nächsten 10 bis 20 Jahren klimaneutral. Darin liegt eine große Chance, das Engagement von Bürgern und Unternehmen für dezentrale Energieversorgungssysteme in den klimapolitischen Transformationsprozess einzubinden.

Ohne Mobilisierung dieses zivilgesellschaftlichen Engagements sind die klimapolitischen Ziele nicht erreichbar. Es gilt neue Begeisterung für eine dezentrale Energiewende von unten zu entfachen und im politischen Diskurs die Vorteile eines überwiegend dezentralen Energiesystems mit 100 % erneuerbaren Energien klar darzustellen.

Die Umsetzung der europäischen und deutschen Ziele zeigen: jedes rein zentralistisch regulierende, administrative Energiewendemodell wird scheitern, weil es den Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger ignoriert und in vielen Fällen sogar demotiviert selbst mitzumachen und selbständige Erneuerbare Energien zu nutzen. Wir brauchen deswegen eine Wiederbelebung der Bürgerenergie. Diese Bewegung stellt für unsere Gesellschaft eine große Chance dar und muss mit allen Kräften unterstützt werden. Bürgerenergie hat große Bedeutung für Partizipation, Innovation und Inklusion. Sie birgt darüber hinaus ökologische, soziale und wirtschaftliche Potentiale für unser Gemeinwesen und stärkt die Resilienz auf lokaler und nationaler Ebene.

Photovoltaikanlagen, Kraft-Wärme-Kopplung, große und kleine Windkraftanlagen sowie Speicher sind die Schlüsseltechnologien und Instrumente, die es Bürgerinnen und Bürgern als Personen und Gemeinschaften ermöglichen, sich aktiv an der Lösung dieser Problematik und der Gestaltung der energie- und klimapolitischen Zukunft unserer Gesellschaft zu beteiligen. Ihr Einsatz und ihre Entwicklung müssen gefördert werden!

Diese Potentiale sind für unsere Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten unverzichtbar und wir dürfen sie der heranwachsenden Generation nicht vorenthalten. Klimaziele und die Auseinandersetzung um ihre Einhaltung können Motor zur Erschließung dieser Potentiale sein.

Das deutsche Klimaschutzgesetz ist hierzu, als rechtlicher Rahmen, ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Dadurch wird in Deutschland der Klimaschutz gesetzlich verankert und Ziele verbindlich festgeschrieben, aber wie es aussieht, werden wir bereits in diesem Jahr eine Klimadebatte führen müssen. Trotz aller Verpflichtungserklärungen drohen der Bundesrepublik Strafzahlungen sowie Vertragsverletzungsverfahren der EU aufgrund von Zielverfehlungen.

Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie das Ziel Klimaneutralität für die EU bis 2050 mitträgt. Bisher hat innerhalb der Regierungsfraktionen nur die SPD erklärt, dass sie auch die Zielverschärfung auf 55 Prozent C02 Einsparung unterstützt, die sowohl die neue Kommissions-Präsidentin von der Leyen als auch der neue sozialdemokratische Klimakommissar Frans Timmermanns vorgeschlagen haben. Diese Zielverschärfung muss allerdings unbedingt mit einem konkreten Maßnahmenprogramm untersetzt werden, damit die Ziele auch eingehalten werden.

Die politischen Vorgaben der EU setzen eine starke Rolle der Bürgerenergie von unten voraus, aber stehen hierin in einem krassen Gegensatz zur Politik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Und das hat Tradition.

Wir trennen in Deutschland im Gebäudebereich regulatorisch Strom von der Energiebereitstellung für Wärme und Trinkwarmwasser und haben keinen ganzheitlichen Ansatz. Das ist geschichtlich bedingt, aber in der heutigen Welt nicht mehr zeitgemäß. Anstatt die Chancen der dezentralen, ganzheitlichen Struktur grüner Energie zum Anlass zu nehmen Systeme neu zu denken, wird diese Struktur den überkommenen Grundsätzen der Bürokratie angepasst und in Fesseln gelegt. Das führt unter anderem dazu, dass das dezentrale Potential für Photovoltaik nicht richtig aufgebaut wird. Zum anderen ist, wer dezentral Strom erzeugt, mit massiven bürokratischen Auflagen konfrontiert, die den Ausbau massiv bremsen.

Es war das Duo Sigmar Gabriel und Rainer Baake, die aus dem ursozialdemokratischen und dezentral angelegten Projekt der Energiewende eine zentralistisch-bürokratische und unsinnig teure Veranstaltung gemacht haben. Aus bürokratischer Tradition und zentralistischem Denken ist eine fatale Richtungsentscheidung geworden, die dringend revidiert werden muss. Man kann beiden nicht vorwerfen, dass sie die Erneuerbaren Energien nicht ausbauen wollten. Sie haben aber nicht verstanden, dass der Prozess nur dann erfolgreich sein kann, wenn die notwendige Akzeptanz für die Erneuerbaren durch breite Teilhabe der Bevölkerung erhalten bleibt. Eine zentralistische Energiewende von oben im Interesse von Konzernen hat diese Akzeptanz offensichtlich nicht. Wenn Menschen, die aktiv und dezentral Strom aus erneuerbaren Energien, wie der Photovoltaik, erzeugen und verbrauchen wollen, als Entsolidarisierer und Deindustrialisierer denunziert werden, darf man sich über mangelnde Akzeptanz der Energiewende nicht wundern.

In diesem bürokratischen Kontext sind überraschenderweise auch die Vorstellungen von manchen Akteuren zu sehen, die vorgeschlagen hatten die Einnahmen aus der C02-Bepreisung zu nutzen, um die Stromsteuer abzusenken. Aufgrund der vorhandenen Steuerbefreiungen und Steuerermäßigungen für dezentral erzeugten Strom und Strom aus erneuerbaren Anlagen hätten diese, bei einer generellen Abschaffung der Stromsteuer, ihren Kostenvorteil gegenüber Kohle- und Atomstrom verloren und es wäre zu einem Ausbaustopp gekommen. Eine undurchdachte Absenkung der Stromsteuer für alle Anwendungen wäre daher sinnlos und gefährlich und ein weiterer Angriff auf die dezentrale Bürgerenergie. Diese Idee ist, dank einiger wacher Akteure, vom Tisch.

Nähme man hierzulande die europäischen Vorgaben und Beschlüsse ernster und gäbe die Blockade auf, wäre ein Sprung nach vorn in diesem Bereich absehbar.

Bei der Photovoltaik würden wir bei der zeitnahen Umsetzung der „Clean Energy Directive“ innerhalb von kurzer Zeit Zubau Zahlen von den notwendigen 10 Gigawatt (GW) in Deutschland sehen, die wir für den Klimaschutz dringend brauchen. Dies heißt, jedes nutzbare Dach in Deutschland muss eine Photovoltaik-Anlage erhalten. Die Menschen müssen die Photovoltaik dezentral vor Ort als Produzenten und Konsumenten nutzen können. Der nächste Schritt wäre, dass man in den Quartieren und Dörfern den Ausbau von gemeinsamen Strom- und Wärmespeichern fördern würde. Dies wird eine wichtige Aufgabe für die Energiedienstleister von morgen werden.

Neben der Blockade der dezentralen Eigennutzung der Photovoltaik hat das Bundeswirtschaftsministerium nun auch den Kampf gegen die Windenergie an Land eröffnet. Dabei hat auch diese Technik enorme Fortschritte gemacht.

Der Bundesverband Windenergie (BWE) prognostiziert aufgrund eines Gutachtens, dass wir die Zahl der Anlagen in Deutschland bis 2050 nur um 20 Prozent von ca. 30.000 auf 35.000 steigern müssen, um den Gesamtertrag erneuerbare Energien aus Wind um den Faktor 7,2 zu erhöhen.

Jetzt den Ausbau der Windenergie abzuwürgen, ist deswegen völlig irrational. Es gefährdet nicht nur die deutsche Windindustrie, sondern auch den gesamten Industriestandort Deutschland und die Erreichung der Klimaziele.

Inzwischen hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Bezug auf Behinderung des Ausbaus grüner Energie sogar einen Kurs eingeschlagen, den man nur noch als energiepolitische Geisterfahrt bezeichnen kann. Man hält dort an einem völlig unrealistischen Szenario sinkender Stromverbräuche fest, das in der Konsequenz dazu führen wird, dass der Ausbaubedarf für die erneuerbaren Energien und für Speicher viel zu niedrig angesetzt wird. Damit wird sowohl der Klimaschutz als auch der Industriestandort Deutschland gefährdet.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hat dagegen eine komplett konträre Szenario-Rechnung veröffentlicht. Trotz sehr ambitionierter Annahmen, was die Effizienzpotenziale bis 2030 angeht, kommt der BEE zu dem eindeutigen Schluss, dass sich der Gesamtstrombedarf von heute ca. 600 Milliarden Kilowattstunden auf dann 740 Milliarden Kilowattstunden erhöhen wird.

Speichertechnologien sind ein weiterer Schlüssel zum Energiekonzept der Zukunft. Überschüsse Erneuerbarer Energien dürfen nicht ungenutzt bleiben. Wasserstoff spielt hierbei, in Bezug auf Speicherkapazität und energetische Übersetzungsmöglichkeiten in andere Sektoren des Energieversorgungssystems, eine entscheidende Rolle. Deshalb muss dieser Technologie hinsichtlich der Entwicklung und Forschung besondere Aufmerksamkeit zukommen.

Wir brauchen dringend eine Reform der Abgaben und Umlagen auf Strom sowie einen neuen Ansatz, wie wir die erneuerbaren Energien unterstützen. Windenergie und Photovoltaik sind Schlüsseltechnologien, um Bürgerinnen und Bürgern Partizipation zu ermöglichen.

Die klimafreundliche Alternative ist in vielen Fällen, wie schon erwähnt, strombasiert (Elektromobilität, Wärmepumpen, Wasserstoff). Wie dramatisch falsch das System justiert ist, zeigt sich aber dann, wenn man sich ansieht, wie Photovoltaik und Windenergie belastet werden. Auch auf Strom aus Erneuerbaren Energien muss laut Erneuerbarem-Energien-Gesetz (EEG) die EEG-Umlage gezahlt werden. Das ist absurd. Laut CO2-Abgabe-Verein beläuft sich diese bei Photovoltaik und Windenergie auf etwa 1.900 Euro pro Tonne CO2.

Wir brauchen daher nach der Einführung der CO2 Bepreisung eine Reform der Umlagen, Steuern und Abgaben. Der Einsatz von Photovoltaik-Strom im Gebäude darf gesetzlich nicht länger diskriminiert werden, sondern muss als vollwertige Maßnahme im Gebäudeenergiegesetz berücksichtigt werden

Notwendig sind eine Reform der Energiesteuerrichtlinie auf europäischer Ebene und eine schnelle Umsetzung in Deutschland. Ziel muss es immer sein, dass die klimafreundlichen Alternativen deutlich niedriger steuerlich belastet werden als die klimaschädlichen. Der Europäische Rat hat bereits eine entsprechende Schlussfolgerung verabschiedet.

Austausch und Handel mit Überschüssen innerhalb und zwischen kleinen Netzwerken, wie energy sharing, Nachbarschaftsstrom etc., müssen gesetzlich ermöglicht werden und von Umlagen und Abgaben befreit sein. Selbstverbrauchte Energie aus Eigenversorgung darf keinerlei Abgaben, Umlagen und Gebühren mehr unterliegen. Eigenversorgung und Speicher auf der Nieder- und Mittelspannungsebene müssen ebenfalls von Abgaben und Steuern befreit werden. Dies würde erstens das aus Klimaschutzgründen unverantwortliche Abregeln von Windkraftanlagen beenden, zweitens würden auch die negativen Strompreise nicht mehr auftreten. In Summe würde diese Reform damit sogar die Systemkosten senken. Dies wäre damit auch ein Stück sozialer Gerechtigkeit.

Es bestehen große Chancen, die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen mit Klimaschutz und der Sicherung bezahlbaren Wohnraumes zu verbinden. Das Potential erneuerbarer Energien ist ausreichend groß und kostengünstig zu gewinnen, dass auf unwirtschaftliche und daher unakzeptable Vorgaben zur Energieeinsparung für alte Gebäude weitgehend verzichtet werden kann.

Klimaschutz wäre zugleich ein lokales Projekt der Teilhabe und ein Projekt der Solidarität in Europa. Es würde unsere Demokratie und Europa stärken, denn die Bürgerenergiewende ist ein europäisches Graswurzelprojekt. Es ist ein Projekt, das Wertschöpfung nach Europa zurückholen würde, weil die Energieimporte deutlich sinken würden. Wertschöpfung würde verlagert in die Städte und in die ländlichen Regionen. Kommunen und Bürgerinnen und Bürger müssen stärker am Ertrag, insbesondere von Windenergieanlagen beteiligt werden.

Dies muss verbunden werden mit einem europäischen Aufbauprojekt, einem Jahrzehnt der Investitionen.

Wir müssen unsere Windindustrie aktiv verteidigen und in der EU eine neue PV-Industrie aufbauen!  Eine Absenkung der hohen klimaschädlichen Subventionen durch z.B. eine aufrichtigere Kohlepolitik oder das Schließen von Steuerschlupflöchern für Großkonzerne wären ebenfalls sinnvolle Maßnahmen der Gegenfinanzierung dieser Maßnahmen.

Der größten Herausforderung unserer Zeit, dem Klimaschutz, wollen wir unsere „Power of Community“ entgegensetzen. Wir haben gute Voraussetzungen, damit erfolgreich zu sein. Es geht um soziale und ökologische Gerechtigkeit und einen neuen Fortschrittsbegriff, der die Bürgerinnen und Bürger mitnimmt.

Aber eins ist jedem nüchternen Betrachter klar: Ohne Investitionen in die Zukunft wird es nicht gehen! Mehr Budget, mehr Energie, mehr Engagement muss auch von Regierungsseite selbstverständlich sein. Keine zentralistische Blockadepolitik gegenüber den Erneuerbaren Energien mehr! Klimapolitik als Bürgerbewegung gestalten!

Klaus Mindrup ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen.




energiezukunft