Menü öffnen

Die Meinung
22. Juni 2015

Graue Energie: Weniger Konsum und mehr Sein

Jeder Mensch in Deutschland verbraucht ca. 2 Kilowattstunden (kWh) Strom pro Tag im eigenen Haushalt. Pro Person sind das im Schnitt 15-20 Euro pro Monat an Stromkosten, die im besten Fall bei Ökostromanbietern landen und den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern.

Raphael Fellmer, Autor „Glücklich ohne Geld!“

Raphael Fellmer, Autor „Glücklich ohne Geld!“
Raphael Fellmer lebt seit 2010 im Geldstreik um gegen das allgemeine Konsumverhalten zu demonstrieren. (Foto: privat)
Raphael Fellmer lebt seit 2010 im Geldstreik um gegen das allgemeine Konsumverhalten zu demonstrieren. (Foto: Martina Kohnova)

22.06.2015 – Der Großteil der von uns in Anspruch genommenen Energie wird allerdings nicht mit der Stromrechnung bezahlt, sondern meist unwissend, indem wir Produkte, Dienstleistungen, Autos, Häuser und andere Güter kaufen. Denn diejenigen Firmen, denen wir mit unserem Kauf oder Erwerb unsere Stimme geben, konsumieren mehr als alle Privathaushalte der Welt zusammen. Vom globalen primären Energieverbrauch, bestehend zum größten Teil aus Erdöl, Kohle, Gas und Nuklearenergie, werden nur 18% in den Haushalten konsumiert. Die Industrie alleine hingegen konsumiert über 51% des weltweiten Energieverbrauchs hinzu kommt das Transportwesen, welches für 20% verantwortlich ist, sowie die restlichen 12%, die von Handel und Gewerbe verbraucht werden. Dabei wird gerade die energieintensive Industrie in Deutschland mit Strompreisen von nur 5 Cent je kWh im Vergleich zu fast 30 Cent bei Privathaushalten, stark subventioniert.

Der so genannte indirekte Energieverbrauch, auch Graue Energie genannt, versteckt sich in fast allem, was wir benutzen oder konsumieren, ganz egal ob Gebäude, Glasflasche, Zugfahrt oder jedwede andere Dienstleistungen bzw. Waren. Ein anschauliches Beispiel ist ein Auto. Hier wird zunächst Energie in Büros für Planung, Design, Organisation und später natürlich auch in die 500 Milliarden Dollar schwere Werbeindustrie gesteckt. Besonders viele Ressourcen werden allerdings bei dem Abbau, der Veredelung und Herstellung von den hunderten verschiedenen Materialien und seltenen Erden, die in einem Neuwagen verarbeitet werden, verbraucht. Auch der Transport der gefertigten Einzelteile über den ganzen Globus und natürlich das Zusammensetzen dieser zum verkaufsfertigen Endprodukt gehört dazu. Ebenso die Verschrottung bzw. das Recycling des Pkws nach seiner in Deutschland durchschnittlich achtjährigen Nutzung wird zur Grauen Energie hinzugezählt.

Für eine vollständige Berechnung der Primärenergie, die als Graue Energie für die Herstellung eines Auto benötigt wird, muss allerdings noch viel tiefer in die Entstehungsgeschichte des fahrbaren Untersatzes geschaut werden, denn alle bereits erwähnten Schritte benötigen Maschinen, Computer und Roboter, die entwickelt, hergestellt und gewartet werden müssen und wiederum viel Graue Energie verbraucht haben. Hinzu kommt die Energie, die diejenigen Menschen verbrauchen, die all diese Schritte betreuen sowie ein Teil der Rohstoffe, die für den Bau der Bürogebäude benötigt wurden, ebenso der tagtägliche Energiebedarf sowie die Wege, die die Angestellten zurückgelegt haben usw. – eine fast unvorstellbare Aneinanderreihung von Abbau- und Verarbeitungsprozessen sowie Entwicklungsschritten, verteilt über den ganzen Erdball, die benötigt werden, um ein Auto herzustellen.

Mit anderen Worten: Die Graue Energie bzw. der kumulierte Energieaufwand beinhaltet den gesamten Energiebedarf eines Produktes vor und nach seiner Nutzung. Dabei ist gerade dieser Teil des Energieverbrauches eines jeden Produktes bzw. jeder Dienstleistung überaus intensiv, denn gemeint sind wirklich alle Vorprodukte bis zur Rohstoffgewinnung und der Energieeinsatz aller angewandten Produktionsprozesse und schließlich auch die Entsorgung oder das Recycling.

Um die Dimensionen der Grauen Energie verständlicher zu machen, hier ein paar praktische Beispiele:
Die Herstellung eines Neuwagens beansprucht in etwa den Stromverbrauch einer vierköpfigen Familie in ihrem Haushalt im Laufe von 10 Jahren für elektronische Geräte, Bügeln, Staubsagen, Mikrowelle, Waschmaschine etc.

Bevor in einem Haus grüner Strom bezogen werden kann, muss erst mal sehr viel Energie in den Bau gesteckt werden. Das führt dazu, dass die Energie, die bei der Errichtung sowie der Herstellung der verarbeiteten Materialien verbraucht wird, heutzutage bis zu 40-mal größer ist als der jährliche Strombedarf des erbauten Hauses.

Nicht nur für diese Großanschaffungen werden Unmengen an Energie benötigt, allein eine 56-seitige Zeitung verbraucht 2 kWh, also fast die Menge an Strom, die eine Person in 24 Stunden bei sich zu Hause verbraucht – dabei wird die Zeitung meist weniger als 20 Minuten benutzt, bevor die 2 kWh quasi in die Tonne wandern. Interessant ist auch die Graue Energie eines Computers auf die Nutzungszeit von vier Jahren aufgeteilt, so verbraucht dieser täglich 1,25 kWh zusätzlich zu dem Strom für den Betrieb. Bei einem hochwertigem Smartphone, welche heutzutage einem Hochleistungscomputer in Taschenformat gleichen, ist der Anteil der Grauen Energie pro Nutzungstag sogar noch größer.

Unser Stromverbrauch zu Hause hat also einen geringen Anteil an unserem ökologischen Fußabdruck. Wer langfristig und nachhaltig etwas für die Umwelt tun möchte und seinen ökologischen Fußabdruck reduzieren will, muss sein Leben grundsätzlich verändern und einen Sinneswandel vollziehen, weit über das Stromsparen im Haushalt und das Kaufen von energiesparsamere Geräten hinaus.

Nur wenn wir global denken, können wir auch lokal ganzheitliche Entscheidungen treffen. Die Verantwortung für das Schicksal der Erde liegt in unseren Händen. So wie es mittlerweile im Bewusstsein der großen Mehrheit der Menschen dazugehört, beim Verlassen des Hauses das Licht aus zu machen, brauchen wir mehr denn je einen wirklich nachhaltigen Umgang mit der Welt und unseren Ressourcen. Der Norm des krankhaften Strebens nach Mehr und nach Neuem in unser Gesellschaft muss durch ein Ausknipsen des konditionierten Konsumverhaltens und der damit einhergehenden Wegwerfgesellschaft Einhalt geboten werden, um den Erhalt des Ökosystems und damit die Lebensgrundlage der Menschen zu bewahren. Diese Entscheidung kann nur aus freiem Willen getroffen werden und erfordert die Einsicht, dass die Zukunft unseres Planeten auch unsere Zukunft ist. Lasst uns nicht auf andere warten, nicht auf Gesetze, Firmen, Politik, Verordnungen oder Wunder, sondern der Schieflage der Welt ins Auge sehen, um wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Lasst uns – wie Gandhi sagt – den Wandel leben, den wir in der Welt sehen möchten!

Es ist zu spät, Pessimist zu sein, denn wir haben die Freiheit, uns heute zu ändern. Es macht Freude, Dinge in Repair Cafés zu reparieren; Kleider, Essen, Bücher, Möbel, Geräte usw. zu verschenken und zu teilen anstatt vergammeln zu lassen. Es fühlt sich gut an, sich regional, saisonal, pflanzlich und Bio zu ernähren und es ist auch noch gesund! Weniger ist das neue Mehr, Teilen das neue Haben, langsamer und achtsamer leben das neue Sein!     

Raphael Fellmer lebt seit 2010 im Geldstreik, um mehr Bewusstsein für die Verantwortung zu schaffen, die wir alle für Hunger, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung tragen. Er bringt sich unter anderem als Autor, durch Vorträge, Medienauftritte und sein Engagement bei foodsharing für eine bessere Welt ein. Mittlerweile ist er eine mediale Instanz für die Kultur des Teilens gegen Verschwendung und Überfluss geworden. Derzeit plant er die Gründung von einem möglichst geldfreien veganen Ökodorf Eotopia. Sein Buch „Glücklich ohne Geld!“ kann auch kostenlos unter www.raphaelfellmer.de heruntergeladen werden.




Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Steffen Barsch 24.06.2015, 17:35:05

Der Autor schreibt: "...und Bio zu ernähren und es ist auch noch gesund!" Das ist Unfug. Bei allen Bioprodukten ist nicht die Wirkung auf den menschlichen Körper irgendein Kriterium! Es wird nicht untersucht und ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Bio ist ein Image, dessen Nutzer in der subjektiven Betrachtung des Kunden liegt und nicht in der objektiv feststellbaren Wirkung.

Jens 24.06.2015, 18:02:41

Etwas weiter, globaler denken ist schon gefragt, Bio ist vor allem gesünder für Tiere und Umwelt!

Britta 24.06.2015, 18:34:15

Da lacht das Herz. Vielen Dank.

Redaktion energiezukunft 25.06.2015, 08:46:47

Lieber Herr Barsch,

Bioprodukte als gesund zu bezeichnen, ist nicht abwegig. Gemüse aus ökologischer Landwirtschaft hat zwar keine andere Zusammensetzung was etwa Vitamine etc. angeht, es ist aber deutlich weniger mit Schadstoffen wie Pestiziden belastet. Dazu gibt es zahlreiche Untersuchungen, vor Kurzem etwa vom Bundesland Baden-Württemberg durchgeführt: http://www.energiezukunft.eu/umwelt/leben/320-mal-mehr-pestizide-gn103307/

Franz Ballhüber 25.06.2015, 10:38:26

Hallo Herr Fellmer, danke für ihre faktenreiche Darstellung. Könnten Sie bitte auch die Quellen der Daten nennen? Danke! Franz Ballhüber

Redaktion energiezukunft 25.06.2015, 13:42:52

Lieber Herr Ballhüber,

die meisten Fakten finden Sie hier aufgelistet: http://www.raphaelfellmer.de/buch-gluecklich-ohne-geld/quellen-und-faktenverzeichnis/

Regina 27.06.2015, 08:53:07

Wunderbar. Vielen Dank.


Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft