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Die Meinung
23. Dezember 2020

Lieferkettengesetz: Verheerende Blockadehaltung

Ein Gesetz, das die Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten vorschreibt, wird weiterhin von vielen Unternehmen und ihren Verbänden strikt abgelehnt. Erfolgreich: die Bundesregierung hat die Entscheidung verschoben, insbesondere das Wirtschaftsministerium blockiert das Gesetz.

Friedel Hütz-Adams von SÜDWIND e.V. - Institut für Ökonomie und Ökumene

Friedel Hütz-Adams von SÜDWIND e.V. - Institut für Ökonomie und Ökumene
Friedel Hütz-Adams
Foto: SÜDWIND e.V.

23.12.2020 – In Deutschland, wie auch in vielen anderen Ländern der Welt, wird derzeit intensiv darüber diskutiert, welche Verantwortung Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten tragen sollen. Während viele Nichtregierungsorganisationen und zunehmend auch namhafte Unternehmen eine gesetzliche Regulierung fordern, lehnen andere Unternehmen und die großen deutschen Wirtschaftsverbände wie BDI, BDA, DIHK etc. eine solche Regulierung strikt ab.

Doch worum geht es konkret? In einem solchen Gesetz könnte vorgeschrieben werden, dass Unternehmen in ihrer gesamten Wertschöpfungskette grundlegende Menschenrechte einhalten müssen. Damit würde die Bundesregierung endlich dazu beitragen, dass Vorgaben der Vereinten Nationen umgesetzt werden: Im Jahr 2011 verabschiedeten die Vereinten Nationen die „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.“

Den UN-Leitprinzipien zufolge tragen Regierungen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung grundlegender Menschenrechte. Es wird allerdings unmissverständlich festgestellt, dass Regierungen dieser Verantwortung teilweise nicht nachkommen - und hier die Verantwortung der Unternehmen beginnt. Die Leitprinzipien enthalten die konkrete Forderung, dass Unternehmen im Rahmen einer menschenrechtlichen Sorgfaltsplicht Risiken in ihren Lieferketten identifizieren.

Stellen Firmen fest, dass die zuständigen Regierungen nichts gegen diese Risiken unternehmen, dann müssen sie zumindest verhindern, dass sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren. Die Unternehmen müssen daher bei potentiellen Risiken konkrete Gegenmaßnahmen zur Vermeidung von menschenrechtlichen Schäden ergreifen. Über Risiken und ihren Umgang damit sollen sie transparent und offen berichten, Beschwerdemechanismen für eventuell von Menschenrechtsverletzungen Betroffene aufbauen und bei erkannten Menschenrechtsverletzungen die Opfer entschädigen.

Im Grunde sind solche Forderungen nichts Neues, sondern sie beziehen sich ausdrücklich auf Beschlüsse der 1919 gegründeten internationalen Arbeitsorganisation, auf die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ aus dem Jahr 1948, sowie weitere Deklarationen der Vereinten Nationen.

Bekannte Skandale in verschiedensten Lieferketten

Doch Papier ist geduldig. In den Lieferketten für in Deutschland tätige Unternehmen werden weiterhin die Menschenrechte von vielen Millionen Menschen verletzt. Dies belegt eine Vielzahl von Studien. Zuletzt sorgten etwa neue Erhebungen für Schlagzeilen, laut denen allein in den Hauptanbauländern von Kakao, Côte d‘Ivoire und Ghana, mindestens 1,5 Millionen Kinder unter Bedingungen arbeiten, die ihrer Gesundheit schaden und ihre Bildung beeinträchtigen. Die Probleme sind seit mindestens 20 Jahren bekannt und in vielen Lieferketten von Agrarprodukten ähnlich.

Einer der wichtigsten Treiber für Menschenrechtsverletzungen ist die weit verbreitete Armut der Bäuerinnen und Bauern, die Produkte wie Kakao, Kaffee, Bananen, Mangos, Palmöl, Kautschuk, Baumwolle – die Liste ließe sich fortsetzen – anbauen. Die Bäuerinnen und Bauern, ebenso wie die Betreiber*innen von Plantagen stehen multinationalen Konzernen gegenüber, deren Marktmacht durch Preisdruck den Rest der Wertschöpfungskette massiv unter Druck setzt. Die Folgen sind häufig nicht existenzsichernde Löhne und Einkommen, Kinderarbeit, Unterernährung, äußerst schlechte Arbeitsbedingungen etc.

Bei vielen industriell verarbeiteten Produkten sieht es ähnlich aus. Es ist beispielsweise seit Langem bekannt, dass entlang der Wertschöpfungskette von Kleidung auf den verschiedensten Stufen massive Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Dies beginnt bereits bei der Produktion von Saatgut für Baumwolle in Indien, geht weiter über den Baumwollanbau, deren Ernte, Verarbeitung und letztendlich das Nähen von Kleidung.

Zu den weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen gehören nicht existenzsichernde Löhne, eine Vielzahl von Überstunden als Grundvoraussetzung, überhaupt vom Lohn leben zu können, Kinderarbeit und Fälle von Zwangsarbeit. Auch der Abbau von Erzen führt weltweit zu schweren Menschenrechtsverletzungen, wenn Minen eingerichtet werden und teilweise größere Bevölkerungsgruppen umgesiedelt werden. Gleiches gilt beim Abbau von Kohle, Erdöl und Gas.

Bundesregierung zerstritten

Trotz der vielen Belege für die fortdauernde Verletzung grundlegender Menschenrechte in den Lieferketten ist von den deutschen und europäischen Gesetzgebern lange nichts unternommen worden. Stattdessen wurde auf freiwillige Initiativen in verschiedensten Branchen gesetzt, die jedoch in aller Regel nicht zu grundlegenden Verbesserungen führten.

Viele Unternehmen wissen, dass Risikoanalysen zur Entdeckung von menschenrechtlichen Problemen in ihren Lieferketten führen werden. Um diese zu beheben, müsste investiert werden. Dies könnte in vielen Bereichen die Zahlung höherer Löhne und höherer Preise für Rohprodukte, bei denen es häufig die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen gibt, bedeuten. Unternehmen, die vorangehen, werden potenziell etwas teurer sein als ihre Wettbewerber und dann am Markt abgestraft werden: Wer teurer ist als die Konkurrenz verliert Marktanteile, selbst wenn die Mehrkosten erforderlich sind, um den Bruch von Menschenrechten zu verhindern.

Vielen Unternehmen ist dies bewusst und auch die Tatsache, dass Veränderungen in einem allein vom Wettbewerb gesteuerten Markt derzeit schwer umsetzbar sind. Etliche Unternehmen haben daraus die Konsequenz gezogen, dass sie die Bundesregierung aufgefordert haben, die Lieferketten endlich gesetzlich zu regulieren. Andere setzen auf eine EU-weite Regelung. Viele deutsche und internationale Unternehmen haben in den letzten Monaten öffentlich eine Regulierung gefordert, von Daimler über Nestlé bis hin zu Ritter Sport und Tchibo, um nur einige zu nennen.

Zeit für ein Ende der Freiwilligkeit

Sind deutsche Unternehmen nur wettbewerbsfähig, wenn sie Menschenrechte brechen dürfen? Einige Verlautbarungen aus dem Wirtschaftsministerium, aus Abgeordnetengruppen sowie aus Verbänden klingen fast so. Es wird das Ende der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie beschworen, falls es zu einem Lieferkettengesetz kommt. Vielleicht sollten die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft darüber nachdenken, was ein solcher Zynismus für die Betroffenen bedeutet.

Darüber hinaus sollte darüber gesprochen werden, was es eigentlich für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie bedeutet, wenn Unternehmen in anderen Staaten sich längst auf einer menschenrechtlichen Verantwortung in ihren Lieferketten vorbereiten und bei eventuellen gesetzlichen Vorschriften in diesen Staaten dann einen Wettbewerbsvorteil haben.

Innerhalb der Bundesregierung sollten das Wirtschaftsministerium und das Kanzleramt endlich ihren Widerstand gegen Vorschläge aus dem Arbeits- und dem Entwicklungshilfeministerium aufgeben und Unternehmen per Gesetz vorschreiben, dass sie für die Einhaltung von Menschenrechten in ihren Lieferketten verantwortlich sind.

Sie sollten zudem Entwicklungen in Brüssel vorantreiben, wo sowohl die Kommission als auch das EU-Parlament eine gesetzlich verankerte Verantwortung von Unternehmen für ihre Lieferketten fordern. Im nächsten Schritt sollte die Bundesregierung Ansätze unterstützen, über eine innerhalb der Vereinten Nationen getroffene Vereinbarung weltweilt die Verantwortung der Unternehmen für die die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten festzuschreiben.




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