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Die Meinung
20. Juli 2020

Nichts gelernt aus Corona: CO2-Anstieg ungebremst

Klimaschutz braucht einen langen Atem – und eine hohe Frustrationstoleranz. Während Entscheidungen in demokratischen Regierungsformen regelmäßig auf dem Wahl-Prüfstand stehen, kann erst nach Jahrzehnten gemessen werden, wie Maßnahmen zum Klimaschutz greifen.

Dr. Gerhard Hofmann, Leiter der Agentur Zukunft – Büro für Nachhaltigkeitsfragen

Dr. Gerhard Hofmann, Leiter der Agentur Zukunft – Büro für Nachhaltigkeitsfragen
Foto: Manfred Knopp

20.07.2020 – Eine gewisse masochistische Lust am Negativrekord scheint die Sensationsmeldungen vom Mauna-Loa-Observatorium auf Hawaii zu begleiten. Das dort gemessene atmosphärische Kohlendioxid erreichte im Mai (alle Jahre wieder…) einen jahreszeitlichen Höchstwert von 417,1 ppm, für 2020 den höchsten jemals gemessenen Monatswert. Und das trotz COVID-19, Lockdowns und Wirtschaftskrise.

Dazu passen Miteilungen der Weltwetterorganisation WMO, dass auf CO2-Einsparungen zu erwartende Temperaturabflachungen oder gar Senkungen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Und: Dass wir die 1,5-Grad-Grenze (ja: „Grenze“ nicht „Ziel“!) in den kommenden fünf Jahren (!) überschreiten werden. Adé COP21!

„Wenn die globalen Kohlendioxidemissionen ab morgen jedes Jahr um mindestens fünf Prozent sinken würden, würde sich die Erderwärmung erst nach dem Jahr 2040 verlangsamen – zumindest in einer erkennbaren Weise”, veranschaulicht die US-Wissenschaftjournalistin Chelsea Harvey in E&E News („Wegen der ‘Trägheit des Klimas’ wird es Jahrzehnte dauern, bis sich das heutige Klimageschehen in globalen Temperaturen manifestiert”) die Arbeit der norwegischen Wissenschaftlergruppe um Björn Samset vom Cicero-Institut. Die haben das Phänomen untersucht und kurz nach der WMO-Warnung publiziert. „Es geht um unser Erwartungsmanagement“, schreiben sie – und: „Klimaschutz braucht einen langen Atem“, und eine hohe Frustrationstoleranz. Während Entscheidungen in demokratischen Regierungsformen regelmäßig in vier oder fünf Jahren auf dem Wahl-Prüfstand stehen, kann erst nach Jahrzehnten gemessen werden, ob Maßnahmen zum Klimaschutz denn die Erderwärmung bremsen und wenn ja, wie stark.

Die monatlichen CO2-Werte am Mauna Loa überschritten erstmals 2014 die 400 ppm-Schwelle und liegen nun bei Werten, wie sie die Atmosphäre seit mehreren Millionen Jahren nicht mehr erlebt hat. „Fortschritte bei der Emissionsreduzierung sind in der CO2-Bilanz nicht sichtbar“, sagt Pieter Tans, leitender Wissenschaftler des Global Monitoring Laboratory der Nationalen Meeres- und Atmosphären-Verwaltung (NOAA). „Wir setzen unseren Planeten weiterhin – für Jahrhunderte oder länger – jedes Jahr einer stärkeren globalen Erwärmung, einem Anstieg des Meeresspiegels und extremen Wetterereignissen aus".

Wenn der Mensch plötzlich aufhören würde, CO2 auszustoßen, würde es dennoch Tausende von Jahren dauern, bis unsere bisherigen CO2-Emissionen in die Tiefsee absorbiert werden und das atmosphärische CO2 wieder das vorindustrielle Niveau erreicht.

Die Steigerungsrate 2020 scheint den Rückgang der Schadstoffemissionen aufgrund des starken, weltweiten Wirtschaftsabschwungs als Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie nicht widerzuspiegeln. Das liegt daran, dass der Emissionsrückgang nicht groß genug ist, um sich von der natürlichen CO2-Variabilität abzuheben, die dadurch verursacht wird, wie Pflanzen und Böden auf jahreszeitliche und jährliche Schwankungen von Temperatur, Feuchtigkeit, Bodenfeuchtigkeit usw. reagieren. Diese natürlichen Schwankungen sind zwar groß, dennoch fallen die mit COVID-19 verbundenen Emissionsreduktionen bisher nicht auf. Diese müssten schon 20 bis 30 Prozent betragen und sechs bis 12 Monate lang aufrechterhalten werden, dann würde sich die am Mauna Loa gemessene CO2-Zunahme messbar verlangsamen. Die Zunahme – viel später der Temperaturanstieg.

„Die Menschen mögen überrascht sein zu hören, dass die Reaktion auf den Ausbruch des Coronavirus nicht stärker zur Beeinflussung des CO2-Pegels beigetragen hat“, sagt der Geochemiker Ralph Keeling, der das Scripps Oceanography-Programm am Mauna Loa leitet, und nach dessen Vater Charles David Keeling die berühmte zackige Keeling-Kurve benannt ist. Aber die Ansammlung von CO2 ist ein bisschen wie Müll auf einer Mülldeponie. Während wir weiter emittieren, häuft es sich weiter an. Die Krise hat die Emissionen verlangsamt, aber nicht genug, um sich am Mauna Loa bemerkbar zu machen. Was viel wichtiger ist, ist der Weg, den wir einschlagen, um aus dieser Situation herauszukommen.

Charles David Keeling von Scripps Oceanography an der University of California San Diego begann 1958 mit Vor-Ort-CO2-Messungen in einem Wettergebäude der NOAA auf dem Mauna Loa und leitete damit die bis heute am längsten ununterbrochenen Aufzeichnungen von CO2-Messungen weltweit ein. Die NOAA-Messungen begannen 1974, seither führten beide Forschungsinstitute komplementäre, unabhängige Messungen durch.

Das Observatorium auf dem Mauna Loa ist eine Referenzstation für CO2-Messungen. Auf einem kargen Vulkan in der Mitte des Pazifischen Ozeans gelegen, ist das Observatorium ideal positioniert, um gut gemischte Luft zu untersuchen, die den Hintergrund für die nördliche Halbkugel darstellt – ungestört vom Einfluss lokaler Verschmutzungsquellen oder der Vegetation. Die Daten des Mauna Loa werden zusammen mit Messungen von Probenahmestationen auf der ganzen Welt in das globale Treibhausgas-Referenznetz der NOAA aufgenommen, ein grundlegender Forschungsdatensatz für internationale Klimawissenschaftler.

Keeling sr. war der erste, der beobachtete, dass selbst bei einem stetigen Anstieg des CO2-Gehalts von Jahr zu Jahr die Messungen auch eine jahreszeitliche Schwankung aufwiesen, die ihren Höhepunkt im Mai erreichte, kurz bevor die Pflanzen auf der Nordhalbkugel beginnen, während ihrer Wachstumsperiode große Mengen CO2 aus der Atmosphäre herauszuziehen. Im nördlichen Herbst, Winter und zu Beginn des Frühlings geben Pflanzen und Böden CO2 ab, was zu einem Anstieg der Werte bis Mai führte. Der kontinuierliche Anstieg des CO2 und der jahreszeitliche Zyklus (die Zacken) sind die Hauptmerkmale der so genannten Keelingkurve.

Obwohl Pflanzen und Ozeane etwa die Hälfte (mit abnehmender Tendenz) der 40 Milliarden Tonnen jährlichen anthropogenen CO2-Verschmutzung absorbieren, hat sich der CO2-Anstieg in der Atmosphäre stetig beschleunigt. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts betrug das jährliche Wachstum im Durchschnitt etwa 0,8 ppm pro Jahr. In den 80ern verdoppelte es sich auf 1,6 und blieb in den 90ern konstant bei 1,5 ppm pro Jahr. In den 2000er Jahren stieg die durchschnittliche Wachstumsrate erneut auf 2,0 ppm und erhöhte sich in den vergangenen zehn Jahren auf 2,4 ppm pro Jahr. „Es gibt reichlich und schlüssige Beweise dafür, dass die Beschleunigung durch erhöhte Emissionen verursacht wird", so Tans.

Die CO2-Messungen der beiden Forschungsinstitutionen unterscheiden sich oft nur geringfügig. „Wir verwenden unabhängige Instrumente, Kalibriergase und Algorithmen, um den Mittelwert zu berechnen, so dass kleine Unterschiede zu erwarten sind“, sagte Keeling. Die beiden Datensätze erzählen jedoch die gleiche Geschichte.

Angesichts dessen ist es völlig absurd, dass wir darüber streiten, ob wir 2038 oder früher aus der Kohle aussteigen und viele – zu viele – unserer Politiker noch so tun, als hätten wir eine Wahl, als können wir das frei entscheiden. Haben wir nicht mehr, können wir nicht mehr.

„Die gut verstandene Physik sagt uns, dass die zunehmende Menge an Treibhausgasen die Erdoberfläche erwärmt, das Eis schmilzt und den Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt“, sagte Tans. „Wenn wir den weiteren Anstieg der Treibhausgase, insbesondere von CO2, nicht stoppen, werden große Regionen des Planeten unbewohnbar werden“. Man kann noch weiter gehen: Das Ende der Menschheit ist keine Science-Fiction-Utopie mehr, sondern eine reale Möglichkeit. Deshalb an Alle: Weitermachen, weiterkämpfen, weiter zu überzeugen versuchen! Das Brett wird nicht dünner, wenn man das Bohren aufhört…




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