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Die Meinung
09. Januar 2023

Strompreisbremse – sozial unfair und ohne Klimaakzente

Unterm Strich ist die bundesdeutsche Strompreisbremse weder sozial fair noch von dem Willen getragen, klimapolitische Akzente zu setzen und insbesondere bei CO2-intensiven Anlagen stärker abzuschöpfen. Höchste Zeit für ein Re-Design eines stärker dezentralisierten Strom-Wärme-Sektors.

Prof. Dr. Uwe Leprich, Ökonomische und wirtschaftspolitische Nachhaltigkeit, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes

Prof. Dr. Uwe Leprich, Ökonomische und wirtschaftspolitische Nachhaltigkeit, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes
Foto: HTW Saarbrücken

Als am 15. Dezember Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Einführung einer Strompreisbremse (StromPBG) verabschiedeten, wurde in den Medien die in ihm angelegte Abschöpfung der Überschusserlöse zur Finanzierung der Entlastung nur am Rande thematisiert. Dabei handelt es sich sachlogisch um zwei Seiten ein und derselben Medaille, und sie gibt Hinweise darauf, wer die „Jahrhundertaufgabe“ (Robert Habeck) der ökologischen Transformation nach dem Willen der Ampelkoalition finanzieren soll.

Zur Entlastungswirkung der Strompreisbremse

Die Explosion der Gaspreise durch den Ukraine-Krieg und in deren Gefolge auch der dramatische Anstieg der Steinkohlenpreise hat an der grenzkostenbestimmten Strombörse zu einem nicht für möglich gehaltenen hohen Strompreisniveau geführt. Gegenüber dem Durchschnittspreis zwischen 2011 und 2020 hat sich in 2022 der Jahresfuture Baseload mehr als versiebenfacht, der durchschnittliche Spotpreis Base mehr als versechsfacht.

Da politisch entschieden wurde, diese Art der Preisbildung an den Strombörsen nicht anzutasten, blieb zur Abfederung der sozialen Härten und der Vermeidung zahlloser Insolvenzen im Gewerbe- und Industriebereich nur ein finanzieller Ausgleichsmechanismus. Dieser wurde von der Ampelregierung mit der Strompreisbremse implementiert und hat den Anspruch, sozial fair zu sein und zudem einen effizienten Stromsparanreiz mindestens aufrecht zu erhalten. Beiden Ansprüchen wird das Gesetz jedoch nur sehr eingeschränkt gerecht, wie das folgende einfache Zahlenbeispiel demonstriert:

Ein Bild, das Tisch enthält. Automatisch generierte Beschreibung

In der linken Spalte ist die Entlastung für einen Haushalt mit einem Stromverbrauch von 4.000 Kilowattstunden dargestellt, in der rechten Spalte wird die Entlastung für einen Haushalt mit 20.000 Kwh Jahresverbrauch errechnet. (Tabelle: Uwe Leprich)

Trotz Strompreisbremse steigt die Stromkostenbelastung bei einem aktuell üblichen Endkundenpreis von 45 ct/kWh um fast 37 Prozent gegenüber dem durchschnittlichen Preis zwischen 2015 und 2021, also deutlich mehr als die allgemeine Inflationsrate. Der absoluten Entlastungswirkung für einen „Normal“-Haushalt in Höhe von 160 Euro steht die Entlastung eines „Wohlhabenden“-Haushalts in Höhe von 1.000 Euro gegenüber. Wenn man davon ausgeht, dass der „Normal“-Haushalt üblicherweise nur noch geringe Einsparmöglichkeiten besitzt, der „Wohlhabenden“-Haushalt jedoch erhebliche, vergrößert sich die absolute Entlastungswirkung noch einmal deutlich.

Insgesamt reicht die Entlastung in „Normal“-Haushalten offensichtlich nicht aus, um die Strompreisexplosion sozialverträglich abzufedern. Hinzu kommt, dass wohlhabendere Haushalte von der Entlastung absolut gesehen erheblich mehr profitieren und in der Summe der deutlich größere Teil des „Wumms“-Topfes bei ihnen landen wird.

Eine sozial gerechtere, aber gleichfalls pragmatische Strompreisbremse hätte in Anlehnung an die österreichische Regelung einen „Basisverbrauch“ von beispielsweise 3.500 kWh mit 30 ct/kWh fixiert und den Mehrverbrauch vor allem der Wohlhabenden dem Marktpreis ausgesetzt.

Finanziert die Überschusserlös-Bremse die Entlastung?

Eine Entlastungsregelung allein über den Steuerhaushalt wäre sozial ungerecht, weil die gewaltigen Strompreissteigerungen bei vielen Akteuren zu exorbitanten Gewinnsteigerungen führen und in diesem Sinne einen gravierenden Umverteilungseffekt aufweisen. Die Einnahmensteigerungen in den Erdgas- und Kohlelieferländern wie Norwegen, USA oder Katar können selbstredend nicht von einer deutschen Bundesregierung abgeschöpft werden, doch auch in Deutschland profitieren zahlreiche Akteure, allen voran die Stromerzeuger.

Die Europäische Notfallverordnung vom Oktober 2022 hat – wenn auch spät – eine Obergrenze für Strommarkterlöse von 180 EUR je MWh festgelegt; zudem ist geregelt, welche Erzeugungstechnologien verbindlich abzuschöpfen sind und welche nationalen Gestaltungsspielräume bestehen.

Ohne die komplexen Regelungen im deutschen Umsetzungsgesetz im Einzelnen zu referieren, lässt sich insgesamt konstatieren, dass sich die Ampelregierung für eine äußerst moderate Abschöpfung entschieden hat. Dazu gehören folgende Elemente:

  • Abschöpfung erst ab dem 1. Dezember 2022, obwohl die Börsenpreise im Schnitt das ganze Jahr 2022 hindurch über 200 €/MWh lagen
  • Nur 90% der ermittelten Überschusserlöse werden abgeschöpft
  • Sogenannte „Sicherheitszuschläge“ in voller Höhe des Börsenpreisniveaus des Jahres 2020 (30 €/MWh) werden zusätzlich zu den technologiespezifischen Grenzkosten gewährt
  • Keine Erlösabschöpfung bei den Steinkohlekraftwerken
  • Keine Erlösabschöpfung bei den Einnahmen aus den Regelenergiemärkten
  • Abschöpfung z.T. weit über den jeweiligen technologiespezifischen Grenzkosten, wie die folgende Tabelle mit den Daten aus dem StromPBG (ohne Sicherheitszuschlag) dokumentiert:

Ein Bild, das Tisch enthält. Automatisch generierte Beschreibung

DV – Direktvermarktung; MP – Marktprämienmodell, Grenzkostenintervalle nach Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) (Tabelle: Uwe Leprich)

Insbesondere bei den Atomkraftwerken ist nicht nachvollziehbar, warum diese die letzten Monate ihrer Betriebszeit (Januar bis März 2023) noch einmal vergoldet bekommen. Aber auch die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke, die im Rahmen des Kohleausstiegsgesetzes bereits eine üppige Entschädigung ausgehandelt hatten, bekommen inkl. „Sicherheitszuschlag“ mehr als das Doppelte ihrer tatsächlichen Grenzkosten erstattet.

Die Kosten der Entlastung werden im Gesetz mit 30 Milliarden Euro für das Jahr 2023 abgeschätzt (43 Mrd. € minus 13 Mrd. € Entlastung der Übertragungsnetzbetreiber); diese sollen durch eine Zwischenfinanzierung (bis die Überschusserlös-Abschöpfung greift) plus einen Bundeszuschuss („Wumms“-Topf) aufgebracht werden. Auch wenn die Abschöpfung bei den Stromerzeugern laut Bundesfinanzministerium einen zweistelligen Milliardenbetrag erbringen soll, ist davon auszugehen, dass die Entlastung insgesamt einen erheblichen Bundeszuschuss benötigt.

Auf den Punkt gebracht ist die bundesdeutsche Regelung der Abschöpfung von Überschuss-Erlösen bei der Stromerzeugung zwar ambitionierter als die europäischen Mindestvorgabe, aber gleichwohl ziemlich weichgespült: sie belässt sowohl den fossil-nuklearen Kraftwerksbetreibern als auch den erneuerbaren Direktvermarktern Zufallsgewinne im Milliardenbereich, die in erster Linie von den privaten Haushalten und dem Mittelstand aufzubringen sind.

Unter dem Strich bedeutet die bundesdeutsche Strompreisbremse nur eine gewisse Abschwächung einer gigantischen Umverteilung von den Stromverbrauchern und den Steuerzahlern hin zu den Lieferländern von Kohle und Gas und zu den Stromerzeugern. Sie ist weder sozial fair noch von dem Willen getragen, klimapolitische Akzente zu setzen und insbesondere bei CO2-intensiven Anlagen stärker abzuschöpfen. Es erscheint höchste Zeit, vor dem Hintergrund vermutlich langanhaltender hoher Preisniveaus bei Erdgas und Steinkohle über ein grundsätzlich neues Design für einen stärker dezentralisierten Strom-Wärme-Sektor nachzudenken.




Kommentare

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Chris 14.01.2023, 10:26:44

Sehr interessant, Danke.

Nur in der 2.Tabelle muss es rechts "2023" statt "2022" heißen.


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