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Die Meinung
25. Februar 2019

Vom Mantra des Wachstums: Das Versagen der Kohlekommission

Viel wird zurzeit in der Öffentlichkeit über framing diskutiert. In der Tat sagt die Wortwahl manchmal mehr über das Weltbild oder die strategischen Ziele der Akteure aus, als der erste Blick vermuten lässt. Ein mustergültiges Beispiel dafür ist der kürzlich veröffentlichte Abschlussbericht der sogenannten Kohlekommission.

Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung

Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung
Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung
Foto: © Jörg Sommer

25.02.2019 – Ganze 149 Mal kommt im Abschlussbericht der Kohlekommission das Wort „Wachstum“ vor, davon 128 Mal in direktem Zusammenhang mit „Wohlstand“ und/oder „Innovation“, immer in positivem Kontext, nie kritisch reflektiert. Kein einziges Mal im Bericht finden sich dagegen die Wörter „Suffizienz“, „Anthropozän“ oder „Verzicht“.

Das ist kein Zufall. Das ist ein klarer Sieg der Lobbyisten in der Kommission. Und es ist ein klares Versagen der Kommission als Ganzes.

Warum?

Die Kohlekommission hat versagt, weil sie sich auf einen viel zu späten Ausstiegstermin geeinigt hat, um die Klimaziele zu erreichen, zu denen sich die Bundesregierung verpflichtet hat.

Die Kohlekommission hat versagt, weil sie Unmengen von Steuergeldern völlig konzeptionslos anhand einer „Wünsch-Dir-Was-Liste“ von Ländervertretern verteilen will, die keinerlei strategische Zukunftsgestaltung der betroffenen Regionen erkennen lässt, sondern lediglich versucht, mögliche Kritik mit Geld zuzuschütten. Der Abschlussbericht der Kommission umfasst 276 Seiten. Ab Seite 123 werden ausschließlich „Kompensationsprojekte“ aufgezählt. Diese Liste ist länger als der eigentliche Bericht.

Die Kohlekommission hat insbesondere versagt, weil sie sich auf Ausstiegstermine und Subventionskonzepte konzentriert hat, mit denen „Wachstum trotz Ausstieg“ sichergestellt werden soll, statt sich mit den drängenden Themen der Zeit zu beschäftigen.

Was in den vergangenen Jahren immer wieder die Debatte um Wirtschaft und Klimawandel prägte, hat auch zum Versagen der Kommission geführt: Das ständige Gegeneinander Ausspielen von Klimaschutz und Wohlstand, festgemacht am Mantra des Wirtschaftswachstums.

Das Wachstumsmantra

Wer Wachstum als Voraussetzung für Wohlstand sieht, der sieht Umwelt- und Klimaschutz als Wohlstandsgefährdung. Nur: Dieses Denken ist längst überholt.

Viel Wachstum bedeutete in der Vergangenheit einen großen Kuchen, bedeutete, es gab mehr zu verteilen. Mehr Wachstum, mehr Wohlstand, mehr Lebensqualität. Manche glauben immer noch an dieses Mantra.

Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Der Umwelt geht es schlecht, dem Klima geht es schlecht. Und den Menschen und der Gesellschaft?  Da wir in den letzten Jahrzehnten stets Wachstum hatten, müsste es uns doch gut gehen. Vor allem unseren Kindern und Enkelkindern.

Ich sehe das Gegenteil: Trotz hohen Wachstums in der Vergangenheit fehlt den öffentlichen Haushalten Geld. Wir mussten einen Mindestlohn einführen und die Rente reicht in Zukunft nicht mehr zum Leben, die Mieten sind nicht mehr bezahlbar. Die verbreitete Kinderarmut in unserem Land ist beschämend. Wohlstand und Lebensqualität durch Wachstum? – Blödsinn.

Weltweit hat die bisherige Wachstumspolitik zu steigender Dauerarbeitslosigkeit, prekären Arbeitsverhältnissen, immer mehr Hungernden und einer gewaltigen Spaltung zwischen Arm und Reich geführt. Das Klima haben wir so ganz nebenbei noch mit ruiniert. Die planetaren Wachstumsgrenzen sind erreicht. Wer so denkt, kann die globalen Problem nicht lösen, denn er hat sie nicht verstanden.

Wachstum wird unsere sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme nicht lösen, sondern verschärfen. Wer die Zukunft der Menschheit im Anthropozän ernsthaft lösen will, der muss zuallererst darüber nachdenken, wie er weiteres Wachstum wirkungsvoll verhindern kann.

Die gute Nachricht: Schon heute forschen viele Wissenschaftler zu einem Wohlstand ohne Wachstum, engagieren sich viele Menschen politisch und ganz praktisch. Im neuen Bericht des Club of Rome werden einige zukunftsweisende Initiativen vorgestellt. Aber offensichtlich dominiert in der breiten Öffentlichkeit noch immer die unheilige Verkettung von Wohlstand und Wachstum.

Die Wahrheit ist: Wachstum oder Wohlstand

Die Kohlekommission jedoch hat die Chance verstreichen lassen, anhand des Themas Kohle klar zu sagen, dass „Wachstum“ im Anthropozän kein Zukunftskonzept mehr ist. Die bereits überlastete globale Ökologie – das Klima ist hier nur eines von mehreren Handlungsfeldern – verkraftet weiteres Wachstum nicht bzw. nicht mehr lange, weder was Produktion, noch Konsum, noch Energieverbrauch, noch Mobilität, noch Bevölkerung betrifft. Das ist auch den meisten Beteiligten klar.

Zukunftsfähige Politik muss diese Grundlagen berücksichtigten und darauf basierende Konzepte entwickeln. Zugegeben: Das ist im Rahmen der Alltagspolitik in Regierung und Parlament schwer, aber nicht unmöglich.

Umso wichtiger sind hier Impulse aus Kommissionen wie der Enquetekommission zur Wohlstandspolitik der 17. Legislaturperiode, die bereits vor sechs Jahren beachtliche – aber kaum beachtete – Impulse formuliert hat. So schreibt sie unmissverständlich: „Suffizienz ist unverzichtbar, um der ökologischen Tragfähigkeit der Erde und einem fairen globalen Interessenausgleich gerecht zu werden.“

Die Endlagerkommission in der letzten Legislaturperiode hat sich, obgleich wie die Kohlekommission mit einem konfliktreichen Thema befasst, darauf aufbauend intensiv mit Wachstumskritik und alternativen Konzepten wie „Wohlstand durch Vermeiden“ beschäftigt. Die Kohlekommission dagegen hat nur geschachert. Im Abschlussbericht der Kohlekommission, die bezeichnenderweise den Namen „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ trug, heißt es an zentraler Stelle: „Industrie und Wirtschaft sind das Fundament für Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze.“

Da war die politische Debatte schon einmal deutlich realistischer. Im Ergebnis ist die historische Chance, aus der Abwicklung einer ökologisch überlebten Industrie entscheidenden Impulse für den gesellschaftlichen Diskurs über Wohlstandssicherung in Postwachstumszeiten zur entwickeln, vergeben worden.

Die Uhr tickt unterdessen weiter …

Jörg Sommer ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung, Dozent an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde und geschäftsführender Herausgeber des JAHRBUCH ÖKOLOGIE.

 




Kommentare

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Denkender Bürger 01.05.2019, 19:29:47

+117 Gut Antworten

Ich habe mir den gesamten Bericht der Kohlekommission durchgelesen.

Nichts als unbestimmtes Gewäsch.

Und bei den vorgeschlagenen Projekten handel es sich zum Großteil um Projekte, die sowieso schon seit Jahren ioder Jahrzehnten in der Schublande lagern. Besonders den Kopf geschüttelt habe ich den Kopf über den Vorschlag des Baus der Ortsumgehung Düren. Ich habe eine Landkarte von 1978 (!!!), da ist die schon als geplante Straße eingezeichnet.

Auch über den Vorschlag, die Hambachbahn künftig für den öffentlichen Verkehr zu nutzen konnte ich nur den Kopf schütteln.

So sinnvoll es ist, den Verkehr verstärkt auf die Schiene zu verlagern - der Vorschlag läßt jedwede betrachtung zu den verkehrsströmen in der Region außen vor. Zwischen Köln und Neuss, Köln und Aachen sowie Aachen und Neuss gibt es bereits Bahnstrecken mit ausreichender Kapazität. Und sollten die doch an ihre Grenzen galanegn, kann man deren Kapazität leicht und mit überschaubarem Aufwand erhöhen.Alle übrigen verkehrsströme in der gegend sind nur regional und können vom vorhandenen Bahnnetz problemlos aufgenommen werden. Wo soll da der Sinn einer zusätzlichen Bahnstrecke liegen?

Das sind nur 2 Beispiele unter vielen.

Der Abschlußbericht der Kohlekommission ist somit nichts als ein Ausdruck des kolektiven Versagens mit dem niemand geholfen ist. Der Lobby nicht, der Wirtschaft nicht und der Umwelt schon gar nicht.


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