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Die Meinung
19. April 2021

Von der Straße in die Parlamente

Wie ist es eigentlich um unsere politischen Klimaziele bestellt? Eine Menge Vorhaben sind da, die aber nicht ausreichen, um das 1,5-Grad Ziel zu erreichen. Deshalb begibt sich jetzt die Klimaliste als Vereinigung von Wissenschaft und Aktivismus in das politische Feld, um den Diskurs zu fokussieren und den Druck zu erhöhen.

Verena Hofmann, Klimaliste Rheinland-Pfalz

Verena Hofmann, Klimaliste Rheinland-Pfalz
Freigestelltes Bild von Verena Hofmann im Profil
Bild: Privat

19.04.2021 – Ende 2015 beschlossen 195 Vertragsparteien auf der UN-Klimakonferenz in Paris, die globale Erderwärmung bis 2100 auf deutlich unter zwei Grad Celsius - wenn möglich auf 1,5 Grad Celsius - im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Vielen ist diese Vereinbarung heute als 1,5-Grad-Ziel bekannt. Wie nah sind wir diesem Ziel mittlerweile gekommen?

In der Zwischenzeit sind aus dem großen 1,5-Grad-Ziel viele kleinere Splitterziele entstanden. So hat sich beispielsweise das Land Rheinland-Pfalz vorgenommen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Würden alle Länder weltweit ebenso handeln, würde sich die Erde bis 2100 auf circa zwei Grad Celsius erwärmen.

Anders gesagt: Klimaneutralität bis 2050 reicht nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Schlimmer noch, in den letzten zehn Jahren konnte Rheinland-Pfalz seine Kohlenstoffemissionen um lediglich fünf Prozent reduzieren. Das ist zwar unbestritten ein Fortschritt, fahren wir allerdings in diesem Tempo fort, ist nicht einmal Klimaneutralität bis 2050 erreichbar und die Erderwärmung bis 2100 beliefe sich auf ca. vier Grad Celsius.

Die Folgen und Risiken in diesem Szenario wären fatal und reichen von wirtschaftlichen Einbußen über tödliche Hitzewellen über Dürren und Hungernöte bis hin zu einer dramatisch wachsenden Zahl an Klimaflüchtenden und gewaltsamen Auseinandersetzungen um knappe Ressourcen.

Was also brauchen wir, um das 1,5-Grad-Ziel doch noch zu erreichen? Wo sind die Parteien und Politiker*innen, die dieses Ziel ambitioniert verfolgen?

In Deutschland müssen viele Änderungen der Ziel- und Umsetzung von mehr Klimaschutz auf Landesebene erfolgen. So können Kommunen derzeit nur Geld für Klimaschutz in die Hand nehmen, wenn sie zu viel Geld übrighaben. Das liegt daran, dass Klimaschutz im Gegensatz zu Themen wie Gesundheit oder Straßenbau keine sogenannte „Pflichtaufgabe“ von Kommunen ist. Klimaschutz zur Pflichtaufgabe für Kommunen zu machen, ist wiederum Aufgabe der jeweiligen Länder.

Außerdem ist es wichtig, Klimafolgeschäden in aktuelle Investitionen einzupreisen. Auf lange Sicht sind heutige Ausgaben für klimafreundliche Alternativen deutlich günstiger als die noch konventionellen Mittel. Das muss sich schon heute in den Preisen widerspiegeln, damit wir nicht weiter auf Kosten der kommenden Generationen wirtschaften. Insgesamt müssen verpflichtende Treibhausgas-Budgets festgelegt und eingehalten werden. Hierfür benötigt es sektorenübergreifende Maßnahmen, strukturelle Veränderungen und ein Abwenden von der Klein-Klein-Diskussion über einzelne Maßnahmen.

Zusammengefasst: Wir brauchen ein umfassendes politisches Programm, das mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar ist und dieses direkt wählbar macht.

Der Weg zu einem solchen Programm ist jedoch lang. Bestehende, etablierte Parteien haben es bisher versäumt, auf Erkenntnisse aus der Wissenschaft und auch auf Forderungen der wachsenden Protestbewegungen wie Fridays For Future in ausreichendem Umfang einzugehen. Während Streik und Protest also die Aufmerksamkeit für die Klimakrise in der Gesellschaft erhöhen, ein größeres Bewusstsein schaffen und so im besten Fall auch eine demokratische Mehrheit herbeiführen können, gibt es derzeit keine Partei, die mithilfe einer solchen Mehrheit das 1,5-Grad-Ziel umsetzen würde.

Stattdessen heben einige politische Akteure immer wieder die Bedeutung des Einzelnen hervor und versuchen, die Verantwortung für Klimaschutz den individuellen Konsumierenden zuzuschieben. Während das Engagement jedes und jeder Einzelnen selbstverständlich wertvoll und wichtig ist, müssen die Gegebenheiten dennoch politisch beschleunigt werden. Um Nachhaltigkeit sozial gerecht und für alle verfügbar vom Nischen-Produkt zum neuen Standard zu machen, sind umfassende politische Entscheidungen notwendig.

Sich vom Protest auf der Straße auf den Weg in die Parlamente zu machen, bringt hierfür zwei große Vorteile mit sich.

Einerseits erscheint es, als würde Protest nicht ausreichen, um Parteiprogramme umfassend zu verändern. Es gilt, mit Politiker*innen in deren Währung zu verhandeln: Wähler*innenstimmen. Indem aus Protest eine wählbare Partei wird, erhöht sich der Druck auf die Parteienlandschaft enorm, denn plötzlich wandern unzufriedene Wähler*innen ab. Außerdem ist es als politischer Akteur einfacher, konkrete Ideen einzubringen. Ein Parteiprogramm ist viel Arbeit und ein Programm ohne Partei, die es umsetzen will, ist relativ ziellos. Formiert sich also eine neue Partei mit neuem Programm, lohnt sich der Aufwand für die Programmentwicklung deutlich mehr und ist direkt wählbar.

All diese Gründe haben dazu geführt, dass sich 2019/2020 die Klimaliste Erlangen als Zusammenschluss von Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen formierte, um Wahlkampf zu betreiben. Mittlerweile gibt es Klimalisten in vielen Bundesländern, immer mit dem Vorsatz, wissenschaftliche Maßnahmen nicht nur zu benennen, sondern diese auch wählbar zu machen und umzusetzen. Die Klimaliste Rheinland-Pfalz hat hierfür bereits ein detailliertes und umfangreiches Wahlprogramm entwickelt, das bisher einzige, das alle politisch bedeutsamen Bereiche mit dem 1,5-Grad-Ziel vereint.

Das alles klingt jetzt erst einmal schön und gut, aber ist denn nicht die Politik selbst auch unfassbar langsam? Uns geht doch die Zeit aus!

Es stimmt, politische Prozesse sind langsam. Als Klimaliste sind wir jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass es wesentlich schneller geht, jetzt eine neue Partei beziehungsweise einen politisch aktiven Verein zu gründen, als sich in den etablierten Parteien hochzuarbeiten und dort eine Veränderung von unten zu provozieren. Vielmehr wünschen wir uns, Hand in Hand mit dem Protest der Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen aus unseren Reihen über Klimaschutz aufzuklären und Aufmerksamkeit zu erregen.

Schon durch das bloße Antreten zu Wahlen können wir den Druck auf die großen Parteien erhöhen, indem wir den Diskurs im Wahlkampf zu Klima- und Umweltthemen hin verschieben. Letztlich hob und hebt die Klimaliste bei jeder Wahl, zu der sie antritt, das Thema Klimakrise mehr in den Fokus des Wahlkampfs. Durch diese Kombination aus konkreten, mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbaren Vorschlägen und der erhöhten Aufmerksamkeit auf das Thema bewegen sich auch die anderen Parteien in die richtige Richtung, sodass insgesamt mehr Stimmen für Klimaschutz generiert werden.

Die Klimaliste möchte zukünftig gemeinsam mit den großen Parteien den Fokus verändern, diesen also weg von einzelnen Maßnahmen bewegen und stattdessen auf sektorenübergreifende und strukturelle Veränderungen legen.

Eine Klimaliste auf Bundesebene befindet sich zurzeit im Gründungsprozess. Wenn dieser abgeschlossen ist, wird die Klimaliste eine bundesweite Partei sein. Bis dahin setzt sich die Klimaliste bereits in einigen Stadträten wie Erlangen, Marburg oder Düsseldorf, bei Landtagswahlen und durch Öffentlichkeitsarbeit für notwendige Veränderungen ein. So soll aus Protest Politik werden und endlich Wissenschaft als Basis für politische Entscheidungen genutzt werden.

In diesem Sinne schafft die Klimaliste schon jetzt Strukturen und übernimmt eine wichtige Rolle im politischen Feld, die mit Sicherheit noch konkreter und sicherer werden wird. Gleichzeitig möchte die Klimaliste eine „Graswurzelbewegung“ bleiben, das heißt auch mit steigender Mitgliederzahl basisdemokratisch arbeiten und fortschreiten.  Denn es ist Zeit, dass der Protest nicht mehr nur vor den Parlamenten stattfindet, sondern direkt dort, wo über unsere Zukunft entschieden wird.




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