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Die Meinung
11. Oktober 2021

Wie die Effizienz-Politik der 20. Legislatur gelingen kann

Für eine wirksamere Energieverbrauchsminderung gibt es in der 20. Legislaturperiode mindestens fünf übergeordnete Baustellen. Die neue Bundesregierung wie auch gesellschaftliche Akteure müssen sich diesen zeitnah stellen, denn die Minderung des Energieverbrauchs ist Grundlage fürs Gelingen der Energiewende und für den Kampf gegen die Klimakrise.

Matthias Weyland,  Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Umweltbundesamt (UBA) im Fachgebiet Energieeffizienz

Matthias Weyland,  Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Umweltbundesamt (UBA) im Fachgebiet Energieeffizienz
Mann mit kurzen Haaren im blauen Hemd
Photo: Jens Schuberth

Der Status quo der Energieeffizienz-Politik scheint wenig ermutigend. Seit Jahrzehnten wird empirisch festgestellt, dass die Energieverbräuche in Deutschland je nach Sektor steigen, stagnieren, oder zumindest nicht relevant sinken. Auch die von der Bundesregierung berufene „Expertenkommission zum Monitoring-Prozess Energie der Zukunft“ konstatiert die Zielverfehlung beim Energieverbrauch regelmäßig, so auch in diesem Jahr. Gleichzeitig zeigen sowohl Regierungsbeschlüsse als auch eine Vielzahl ambitionierter Energie- und Klimaschutzszenarien den Bedarf für eine drastische Energieverbrauchsminderung auf.

Doch anstatt vor diesem Hintergrund die bisherige Politik auf den Prüfstand zu stellen, laufen die beteiligten Akteure dem nächsten Zwischenziel hinterher, um es kurz vor knapp aufzugeben oder sich neue, gegebenenfalls gar ambitioniertere Ziele zu setzen. Selbst Einmaleffekte wie die derzeitige Pandemiesituation haben nicht verhindern können, dass das Primärenergieziel 2020 verfehlt wurde.

Umso wichtiger scheint es daher, einen Schritt vom Tagesgeschäft mit seinen kleinteiligen Instrumenten-Debatten zurückzutreten und die Diskussion auf die Frage zu lenken, welche grundsätzlichen Herausforderungen für eine Kurswende vorhanden sind. Es soll hier also explizit nicht darum gehen neue Maßnahmen oder Politikinstrumente vorzuschlagen. Stattdessen werden nachfolgend fünf übergeordnete Baustellen aufgezeigt, der sich eine neue Bundesregierung im Hinblick auf eine wirksamere Energieverbrauchsminderung stellen muss.

1. Die Energieeinspar-Politik in den Mittelpunkt bringen

Das Erstaunliche am Politikfeld Energiesparen ist ja, dass das Thema gesellschaftlich wie politisch wenig Feinde und - zumindest rhetorisch - viele Fans hat. Nach der eingängigen „3E“-Forderung der Umweltverbände der 1980er Jahre (Energiesparen; maximale Nutzung Erneuerbarer Energien; möglichst effiziente Deckung der restlichen Nachfrage) herrschte in der öffentlichen Diskussion allerdings erst einmal lange Funkstille, während die Erneuerbaren Energien diskursiv auf der Welle des Erfolgs surften.

Eine stärkere und primär fachöffentliche Diskussion ist erst wieder mit Auftauchen des „Energy Efficiency First“-Konzepts seit etwa 2015 zu beobachten. Die mit dem Begriff gerade auch mit Erneuerbare Energien-Akteuren losgetretene Debatte ist wertvoll, da sie die offensichtlich in Vergessenheit geratene Botschaft erneuert, dass Energieeffizienz und Erneuerbare Energien komplementär und nicht konkurrierend sind und dass Erneuerbaren Energien ihre Stärken erst optimal ausspielen, wenn der Energieverbrauch deutlich gesenkt wird. Die erste übergeordnete Hausaufgabe lautet also, wie die Energieeinsparung als Gewinner-Option zum zentralen Player und Gewinner am Verhandlungstisch wird.

2. Von Wachstumseffekten entkoppeln

Die nächste und vermutlich zentrale Bedingung für den Erfolg zukünftiger Energieeffizienz-Politik dürfte die Entkopplung von Wachstumseffekten sein. Gemeint ist dabei nicht die (ebenfalls wichtige) Analyse von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum im Verlauf, also der Disput um eine relative oder absolute Entkoppelung vom Wirtschaftswachstum.

Notwendig scheint vielmehr die Berücksichtigung von Wachstumseffekten bei den Energieeffizienz-Instrumenten selbst, also eine Ausrichtung auf absolute Verbrauchsminderungen anstatt auf Energieeffizienz-Steigerungen im eigentlichen Sinne mit nur relativen Energieeinsparungen. Die in der letzten Dekade zu beobachtende Verkürzung auf relative Effizienzsteigerungen, zum Teil als bewusst gesetztes Framing, führt zu einem Mangel an Klarheit und zur potentiellen Falschausrichtung der Politikinstrumente. Gleichzeitig offenbart es ein unmündiges Politikverständnis, möglichst niemanden verschrecken zu wollen. Mit dieser Ausblendung von Wachstumseffekten sind die bisherigen Ziele verfehlt worden, und dürften auch zukünftige Einsparziele nicht erreicht werden.

Das Problem stellt sich auf allen Handlungsfeldern der Energieeffizienz-Politik, unter anderem der Gebäudeeffizienz mit der Zunahme der Pro-Kopf-Wohnfläche oder der Produkteffizienz im Spannungsfeld von Mehrfachgeräteausstattung, Zunahme von Gerätegrößen oder -Funktionen. Zusammenfassend sind wir also beim zwingend notwendigen Zusammenspiel einer reinen Effizienz-Strategie mit der von Politik und Verwaltung bislang gemiedenen Suffizienz-Strategie, wie sie Forschende bereits seit etlichen Jahren fordern.

3. Normative Tabus auflösen

Drittens und im Vorfeld der kommenden Legislatur besonders relevant dürfte das Auflösen von sachlich kaum begründeten „Tabus“ sein. Gemeint sind vor allem politische und nicht fachlich begründete Setzungen wie das de-facto-Verbot von neuem Ordnungsrecht der letzten Legislaturperioden, oder die Verweigerung einer Bepreisung externer Umweltkosten auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Die Gründe für derlei Tabus dürften vielfältig sein, angefangenen von der starken Rolle von anderen Interessensverbänden bis hin zu Politik und Verwaltung selbst, die diese Dogmen nach endlosen Repetitionsschleifen bereits verinnerlicht zu haben scheinen oder sie aus Angst vor entsprechenden Reaktionen vorauseilend implementieren, und so zementieren. Wie es anders gehen kann, zeigen in dem Politikfeld Nachbarländer wie Dänemark, bei denen eine ambitioniertere und konsensorientierte Energieeffizienz-Politik quer über die Parteienlandschaft zu beobachten ist.

4. Energieeinsparung und Energieeffizienz in die Fläche bringen

Viertens scheint es erforderlich, die Erfahrungen der Skaleneffekte der Erneuerbaren Energien nach dem ersten EEG von 2000 auf die Energieeffizienz-Politik zu übertragen und zu deklinieren, mit welchen Politikinstrumenten sich hohe Umsetzungsraten erreichen lassen. Letztere sind vor allem dann notwendig, wenn wie bisher in dem heterogenen Politikfeld auf kleinteilige Politikinstrumente gesetzt wird (und nicht etwa auf wirksame Preis- oder Mengensteuerung).

Dies betrifft unter anderem die notwendige Verdoppelung der leitungsgebundenen Wärmeversorgung bis 2050 gegenüber heute, die Umsetzung von Maßnahmen der Energieeffizienz-Förderprogramme, oder auch mögliche neue Suffizienz-Förderinstrumente. Im Gegensatz zum EEG 2000 könnte am Ende möglicherweise auch mehr als ein Politikinstrument herauskommen, um der Unterschiedlichkeit der Regelungsbereiche gerecht zu werden. Der Auftrag an die neue Bundesregierung jedenfalls lautet: Die Zeit für Pilotprogramme ist vorbei, Energiesparen muss zum neuen Normal werden!

5. Eine effektive Lobby fürs Energiesparen aufbauen

Die letzte Baustelle ist vor allem strategischer Natur. Vor dem Hintergrund der begrenzten Anzahl von Energieeffizienz-Lobbyakteuren, die sich zudem auf ein sehr breites Themenfeld aufteilen, stellt sich die Frage, wie ihre Wirkmächtigkeit effektiviert werden kann. Diese Forderung richtet sich explizit nicht gegen die wenigen aktiven Effizienzverbände wie die Deneff, die immer wieder hervorragende Arbeit leisten. Es geht vielmehr darum, Lobby in einem breiteren gesellschaftlichen Verständnis zu denken.

Denn das Thema ist bislang bei fast allen Akteuren von Parteien bis zu den Umweltverbänden personell dünn besetzt – selbst bei denen, die sich zuvorderst aufs Energiesparen berufen. Dazu kommt: Gerade auch weil sie so heterogen sind, schwächen sich die unterschiedlichen Akteure bisweilen gegenseitig. Ein Beispiel ist die problematische Blockade (sinnvoller) Sanierungs-Instrumente aus (ebenfalls sinnvollen) sozialpolitischen Intentionen.

Zwei Belange, die nicht zwingend im selben Instrument zu adressieren sind und nicht gegeneinander ausgespielt werden müssten. Auch könnte eine neue Energiespar-Lobby durch ein besseres Zusammenspiel mit anderen (zivil-)gesellschaftlichen Gruppen wie Wissenschaftler:innen oder sozialen Bewegungen gewinnen.

Nächsten Jahre sind entscheidend für Kursänderung

Vor dem Hintergrund der weitreichenden Defizite der bisherigen Energieeffizienz-Politik ist es an der neuen Bundesregierung, jetzt eine Kursänderung einzuleiten. Wurde der Blick auf scheinbar weit entfernte Ziele in der Vergangenheit noch durch den Fokus auf das unmittelbar anstehende Zieljahr getrübt, reicht ein Weiter-So mit dem Näherrücken dieser Ziele immer offenkundiger nicht mehr aus.

Für die Neuausrichtung hilft es, einen Schritt von konkreten Instrumentendebatten zurückzutreten und die Diskussion auf grundlegenden Änderungsbedarf zu lenken. Hierzu wurden fünf zentrale Baustellen angerissen, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Die nächste Legislatur ist für eine solche Wende hin zu einer wirksamen Energieverbrauchsminderung entscheidend – nicht nur weil die Minderung des Energieverbrauchs Grundlage fürs Gelingen der Energiewende und damit den Kampf gegen die Klimakrise ist, sondern auch aus der Erfahrung der Pandemie-Situation, wonach ein „Weniger“ möglich ist. In dem Fall (noch) „by design“, und nicht „by desaster“.

 

Hinweis

Bei diesem Text handelt es sich um einen gekürzten und überarbeiteten Beitrag auf Grundlage des Artikels „Warum eine Kurswende bei der Energieeffizienz notwendig ist. Fünf große Fragen für eine erfolgreiche Reduktion des Energieverbrauchs“ aus der aktuellen Ausgabe 3/2021 der Zeitschrift „Ökologisches Wirtschaften“ des IÖW: https://www.oekologisches-wirtschaften.de/index.php/oew/article/view/1843

Die hier wiedergegebene Meinung muss nicht zwingend mit der Meinung des Umweltbundesamtes übereinstimmen.

Autoreninformation

Matthias, Weyland Dipl.-Politikwissenschaftler, ist seit 2013 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Umweltbundesamt (UBA) im Fachgebiet Energieeffizienz. Inhaltliche Schwerpunkte sind: Übergreifende Aspekte der Energieeffizienzsteigerung, Politikinstrumente, Europäische Politik, Suffizienz.




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