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Die Meinung
22. November 2021

Wie gut sind die Regeln für den internationalen Emissionshandel?

Die in Glasgow festgezurrten Regeln für internationale Kohlenstoffmärkte machen wichtige Vorgaben, aber lassen auch Schlupflöcher. Ob dieses Regelwerk eine positive Klimawirkung entfaltet, hängt entscheidend davon ab, wie Länder und Unternehmen es nutzen werden.

Lambert Schneider ist Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik am Öko-Institut. Er war in Glasgow an den Verhandlungen zum Artikel 6 beteiligt.

Lambert Schneider ist Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik am Öko-Institut. Er war in Glasgow an den Verhandlungen zum Artikel 6 beteiligt.
Foto: Öko-Institut e.V.

Das Übereinkommen von Paris setzt ehrgeizige Ziele für die internationalen Kohlenstoffmärkte: Sie sollen dazu beitragen, die Ambitionen zu erhöhen, Doppelzählungen zu vermeiden, die Umweltintegrität zu gewährleisten und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Eine Übereinkunft zu finden war schwierig. Nach sechs Jahren wurde nun in Glasgow das letzte Kapitel des Regelwerks des Pariser Übereinkommens verabschiedet. Unter Artikel 6 sind die Regeln für den internationalen Emissionshandel verabschiedet. Werden die neuen Regeln den Anforderungen gerecht?

Umfassende Bilanzierungsregeln mit einem großen Schlupfloch

Die wichtigste Errungenschaft von Glasgow ist die Verabschiedung umfassender Bilanzierungsregeln für die internationale Übertragung von Emissionsgutschriften. Die Bilanzierung im Kohlenstoffmarkt ähnelt Banküberweisungen: Die Bilanzierungsregeln unter Artikel 6.2 sehen vor, dass zwei Länder, die Emissionsgutschriften handeln, ihre berichteten Emissionen entsprechend anpassen müssen.

Dies passiert durch sogenannte „Corresponding adjustments“. Das Land, das Emissionsgutschriften verkauft, fügt die übertragenen Emissionsgutschriften zu seinem Emissionsniveau hinzu. Das Land, das solche Einheiten erwirbt, zieht diese von seinem Emissionsniveau ab. Beide Länder vergleichen dann das so angepasste Emissionsniveau mit ihrem Klimaziel, um zu bewerten, ob sie ihr Ziel erreicht haben. Dieser Ansatz stellt sicher, dass nur das Käuferland übertragene Emissionsreduktionen nutzen kann, und vermeidet so Doppelzählungen.

Klingt einfach und intuitiv? Ja, ist es aber nicht in den internationalen Klimaverhandlungen.

Klimaziele in verschiedenen Formaten unter einen Hut bekommen

Eine zentrale Herausforderung ist die große Vielfalt der Klimaziele, die die Länder in ihren „Nationally determined contributions“ (NDCs) im Rahmen des Pariser Übereinkommens zugesagt haben.

Die meisten Länder haben nur Ziele für ein einziges Jahr (z. B. 2030) und nicht für einen mehrjährigen Zeitraum.

Viele Länder haben Ziele, die in Treibhausgasemissionen ausgedrückt werden, aber andere haben Ziele in anderen Maßeinheiten, wie zum Beispiele Ziele für erneuerbare Energien.

Darüber hinaus umfassen viele NDCs nicht alle Emissionen, sondern decken nur einen Teil der Wirtschaft ab.

In den Verhandlungen vertraten viele Länder die Ansicht, dass sie in der Lage sein sollten, sich mit ihren derzeitigen NDCs am internationalen Kohlenstoffmarkt zu beteiligen. Die praktische Herausforderung besteht darin, dass viele NDCs einfach nicht mit dem Emissionshandel vereinbar sind.

1. Bilanzierung nur in Treibhausgasemissionen in CO2-Äquivalenten

Wie wurde dieses Dilemma gelöst? Erstens wurde beschlossen, dass die Bilanzierung immer in Treibhausgasemissionen in CO2-Äquivalenten durchgeführt werden muss. Die Regeln bieten zwar Flexibilität, auch andere Maßeinheiten wie die Anzahl von Hektar aufgeforsteter Fläche zu verwenden. Die Länder müssen die Nutzung solch anderer Maßeinheiten trotzdem zusätzlich noch in einer Treibhausgasemissionsbilanz quantifizieren.

2. Brasilien in Glasgow konstruktiv: Alle verkauften Emissionsgutschriften werden bilanziert – ohne Ausnahmen

Zweitens müssen Länder alle verkauften Emissionsgutschriften bilanzieren – ohne Ausnahmen. Brasilien hatte lange Zeit Ausnahmen beantragt, die zu einer Doppelzählung geführt hätten. Das bedeutet, dass sowohl das Verkäuferland als auch das Käuferland sich die gleiche Emissionsminderung auf ihr NDC anrechnen würden. Auf der letzten Klimakonferenz vor zwei Jahren in Madrid ist die Verabschiedung von Regeln an dieser Forderung gescheitert. In Glasgow hat Brasilien diese Position fallen gelassen und sich in vielen Fragen konstruktiv engagiert.

3. Keine Übertragung von Emissionsgutschriften auf folgende Zeiträume

Drittens verbieten die Regeln jegliche Übertragung von Emissionsgutschriften von einem NDC-Zeitraum auf den nächsten Zeitraum. Dies verhindert, dass Länder große Mengen an Emissionsgutschriften erzeugen können, die nicht durch tatsächliche Emissionsreduktionen gedeckt sind, und diese dann nutzen könnten, um zukünftige Klimaziele zu erreichen, wie dies unter dem Kyoto-Protokoll passiert ist.

4. Leider ein großes Schlupfloch: Mittelwert im Zieljahr

Leider enthalten die Bilanzierungsregeln ein großes Schlupfloch: die Regeln für die Bilanzierung von Klimazielen für ein einzelnes Jahr. Die Regeln schreiben zwar vor, dass die Emissionen zwischen den Handelspartnern nicht steigen dürfen, lassen jedoch ausdrücklich einen Ansatz zu, dessen Anwendung tatsächlich zu höheren Emissionen führen kann: die einfache Nutzung eines Mittelwerts der übertragenen Emissionsgutschriften im Zieljahr.

Die Verwendung eines Mittelwerts ist besonders problematisch, wenn Emissionsgutschriften von Fluggesellschaften unter einem neuen Abkommen der internationalen Zivilluftfahrtorganisation verwendet werden. In diesem Fall würde etwa die Hälfte der Emissionsminderungen doppelt gezählt. Dies untergräbt dieses ohnehin schwache Instrument vollständig.

Ein neuer UN-Mechanismus

Unter Artikel 6.4 wurden umfassende Regeln für einen neuen Mechanismus zur Ausgabe von Emissionsgutschriften unter der Aufsicht eines UN-Gremiums verabschiedet. Ein Fortschritt gegenüber dem Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls besteht darin, dass der Mechanismus nicht nur darauf abzielt, Emissionen an einem Ort durch Emissionen an einem anderen Ort auszugleichen.

Vielmehr sollen die erzielten Emissionsreduktionen zwischen dem Verkäuferland, dem Käuferland und einem kleinen Anteil von 2 Prozent, der der Atmosphäre zugutekommt, aufgeteilt werden. Auch wenn dieser Prozentsatz sehr niedrig ist, wurde die grundlegende Architektur zu so einer Nettominderung für die Atmosphäre eingerichtet und kann verwendet werden, um die Rate im Rahmen einer zukünftigen Überprüfung der Regeln zu erhöhen. Darüber hinaus müssen 5 Prozent der Emissionsgutschriften an den Anpassungsfonds übertragen werden.

Beiträge zum Anpassungsfonds für Entwicklungsländer sind nur unter Artikel 6.4 verbindlich

Eine zentrale Forderung vieler Entwicklungsländer bestand darin, die gleichen Prozentsätze auch unter Artikel 6.2 für die internationale Übertragung jeglicher Art von Emissionsgutschriften zu verwenden. Dies würde gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktmechanismen gewährleisten. Unter den verabschiedeten Regeln werden die Länder aber nur „nachdrücklich ermutigt“, Beiträge zum Anpassungfonds zu leisten und eine globale Emissionsminderung durch Kohlenstoffmärkte sicherzustellen.

Auswirkungen für den freiwilligen Kohlenstoffmarkt

Die in Glasgow getroffenen Entscheidungen haben auch wichtige Auswirkungen auf den freiwilligen Kohlenstoffmarkt. Am wichtigsten ist, dass die Regeln unter Artikel 6.2 verlangen, dass Emissionsgutschriften für die internationale Luftfahrt (als „international mitigation purposes“ bezeichnet) genehmigt werden müssen.  Gleichzeitig dürfen Länder Emissionsgutschriften für den freiwilligen Kohlenstoffmarkt (als „other purposes“ bezeichnet) genehmigen. Für alle genehmigten Emissionsgutschriften muss das Gastland die entsprechende Gegenbuchung – Corresponding adjustments – vornehmen. Dies bedeutet, dass das genehmigende Land die Emissionsreduktionen sich nicht mehr auf sein eigenes Klimaziel anrechnet. Somit können im freiwilligen Kohlenstoffmarkt Emissionsgutschriften erzeugt und genutzt werden, die mit entsprechenden „Corresponding Adjustments“ hinterlegt sind.

Während diese Möglichkeit bereits im Verhandlungstext in Madrid enthalten war, löste eine damit zusammenhängende Entscheidung eine hitzige Debatte sowohl in den Verhandlungen zu Artikel 6 als auch unter Nichtregierungsorganisationen aus. Die Länder einigten sich darauf, dass der neue Mechanismus nach Artikel 6.4 zwei Arten von Emissionsgutschriften ausgeben wird: eine Gutschrift, die von Ländern genehmigt und somit durch entsprechende „Corresponding Adjustments“ hinterlegt ist, und eine, die dies nicht ist. Dies warf die Frage auf, für welche Zwecke die nicht autorisierten Gutschriften verwendet werden dürfen.

Es besteht Konsens darüber, dass solche Gutschriften im Inland eingesetzt werden könnten, zum Beispiel in Emissionshandelssystemen oder als Instrument zur Auszahlung ergebnisorientierter Klimafinanzierung, um Ländern zu helfen, ihre NDCs zu erreichen. Die Entscheidung brachte jedoch die laufende Debatte um den freiwilligen Kohlenstoffmarkt in die Verhandlungen, ob nicht autorisierte Gutschriften zur Klimakompensation oder zur Erreichung von Klimaneutralität von Unternehmen genutzt werden dürfen oder nicht.

Mehrere Regierungen, vor allem die Schweiz, versuchten, in den Entscheidungstext eine Klausel einzufügen, dass eine Kompensation der eigenen Emissionen mit nicht autorisierten Gutschriften verboten wird. Hierüber konnte kein Konsens erzielt werden und das Thema wird in anderen Foren weiter diskutiert werden. Letztendlich werden vermutlich Regierungen oder Gerichte regeln, welche wahrheitsgemäßen Ansprüche Unternehmen in Verbindung mit Emissionsgutschriften geltend machen können, die nicht durch entsprechende „Corresponding Adjustments“ hinterlegt sind.

Die Übernahme des CDM aus dem Kyoto-Protokoll in das Pariser Abkommen könnte den Klimaschutz um Milliarden von Tonnen untergraben – aber wird dies passieren?

Seit vielen Jahren fordern einige Länder mit vielen CDM-Projekten (im Rahmen des Kyoto-Protokolls definierte Regeln), insbesondere Brasilien und Indien, dass diese Projekte auf den neuen Mechanismus unter Artikel 6.4 übertragen werden dürfen. Diese Länder haben sich auch dafür eingesetzt, dass Emissionsgutschriften aus dem CDM für Minderungen bis 2020 zur Erreichung von NDCs verwendet werden dürfen. Beides wurde nun als Teil des Pakets genehmigt – als Preis für ein umfassenden Regelwerk zur Bilanzierung.

Die Verwendung von Emissionsgutschriften aus dem CDM zur Erreichung von NDCs untergräbt die Klimaziele unmittelbar, da diese Emissionsreduktionen in der Vergangenheit erreicht wurden. Die jetzt verabschiedeten Regeln beschränken die Verwendung auf Projekte, die ab 2013 registriert wurden. Gemäß einem detaillierten Modell, das vom NewClimate Institute und dem Öko-Institut entwickelt wurde, könnten diese Projekte bis zu etwa 300 Millionen Emissionsgutschriften ausgeben. Allerdings wurden einige dieser Gutschriften bereits verwendet und können daher nicht mehr übertragen werden.

Die Überführung von CDM-Projekten könnte ein noch viel größeres Risiko darstellen. Bei den meisten dieser Projekte handelt es sich um Wind- und Wasserkraftprojekte, die zwischen 2010 und 2012 registriert wurden und die weiter Emissionen reduzieren werden, ganz egal, ob sie in das Pariser Übereinkommen überführt werden. Wenn Länder diesen Projekten erlauben, Emissionsgutschriften international zu verkaufen, geben sie Emissionsreduktionen ab, die ohnehin eintreten würden.

Wenn Länder NDCs haben, die nur „heiße Luft“ beinhalten, kann der Verkauf solcher Emissionsgutschriften sogar direkt zu mehr Emissionen für die Atmosphäre führen. Die Auswirkungen sind potenziell sehr groß: Wenn alle Kyoto-Projekte auf den neuen Mechanismus übertragen werden würden und Emissionsgutschriften unter den Kyoto-Regeln ausgeben könnten, könnten sie im Zeitraum 2021 bis 2030 bis etwa 2,8 Milliarden Emissionsgutschriften generieren.

In der Praxis könnten die Auswirkungen aus mehreren Gründen viel geringer und möglicherweise sogar klein sein: Erstens kann der Kauf solcher Gutschriften von Projekten, die ohnehin weiterlaufen, sowohl für Länder als auch für Unternehmen mit enormen Reputationsrisiken verbunden sein. Zweitens erfolgt die Übertragung nicht automatisch: Projekte müssen eine Übertragung bis 2023 beantragen und – was noch wichtiger ist – die Gastländer müssen eine Übertragung bis 2025 genehmigen. Im Laufe der Zeit können sich die Gastländer zunehmend der negativen Folgen der Genehmigung solcher Projekte bewusst werden. Und drittens ist unklar, wie viele Projekte tatsächlich in die robusteren Anforderungen des neuen Mechanismus erfüllen und wie viele Emissionsgutschriften sie unter diesen Regeln ausgeben könnten.

Ob und wie sehr Artikel 6 die Klimaschutzbemühungen untergraben wird, könnte stark davon abhängen, wie sich diese Faktoren entwickeln. Ein mögliches Szenario ist, dass Regierungen die Übertragung dieser Projekte zwar genehmigen, aber die Hinterlegung mit „Corresponding Adjustments“ nicht zulassen. Dies könnte zu einem großen Zufluss von Gutschriften ohne „Corresponding adjustments“ führen.

Die Regeln des Artikels 6 sind wichtig, werden aber nicht reichen

Die in zähen Verhandlungen festgezurrten Regeln sind sehr wichtig, aber werden alleine nicht ausreichen. Sie bieten den notwendigen Rahmen für die Vermeidung von Doppelzählungen, erfordern eine umfassende Berichterstattung und stellen eine internationale Überprüfung dieser Berichterstattung sicher. Wichtig ist auch, dass Länder ihre NDCs präzisieren und quantifizieren müssen. Die Regeln schaffen zudem Anreize, den Anwendungsbereichs von NDCs im Laufe der Zeit auszuweiten. Und sie enthalten wichtige Prinzipien und Schutzmaßnahmen. In Glasgow konnte auch der Versuch einiger Regenwaldländer verhindert werden, eine rückwirkende Anrechnung von REDD+-Aktivitäten ab 2015 zuzulassen, was Milliarden von „heißer Luft“ in das System gebracht hätte.

Die Herausforderung bei Kohlenstoffmärkten besteht darin, dass alle Regeln robust sein müssen. Wie bei einer Badewanne kann ein großes Loch ausreichen, um den angestrebten Zweck zu untergraben. Die in Glasgow verabschiedeten Regeln enthalten viele robuste Elemente, aber auch Schlupflöcher, von denen einige potenziell groß sein könnten. Die Regeln sind daher nicht ausreichend, um die Umweltintegrität zu gewährleisten, wenn sie alleine verwendet werden. Jedes Land oder jede Organisation, die sich an Artikel 6 beteiligt, muss mehr tun, um Integrität und eine robuste Buchhaltung zu gewährleisten. Wie Artikel 6 verwendet wird, wird daher eine große Rolle spielen.

Der vorliegende Artikel ist eine leicht gekürzte und überarbeitete Version eines Blogbeitrages, der zuerst im Blog des Öko-Institutes erschienen ist.




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