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Die Meinung
27. Januar 2022

Zu wenig ist das neue Normal

Der massive Ausbau der Erneuerbaren – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – schafft einen Nachfrageboom, der mit langen Lieferzeiten und Mangel an einzelnen Produkten einhergeht. In Europa fehlen momentan vor allem LKW-Fahrer, was die Transportpreise in die Höhe schnellen lässt.

Martin Schachinger, Gründer und Geschäftsführer von pvXchange

Martin Schachinger, Gründer und Geschäftsführer von pvXchange
Foto: pvXchange

27.01.2022 – Mangelware, Mangelwirtschaft, Wartezeiten, Organisieren, Improvisieren - unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem ehemaligen Ostblock kennen diese Begriffe nur allzu gut. In der sozialistischen Planwirtschaft herrschte Mangel an fast allem, was in der heutigen Konsumgesellschaft jederzeit verfügbar ist. Erst seit der Wende und der damit verbundenen Maueröffnung in Deutschland Ende der 1980er Jahre wendete sich auch für Bürger der ehemaligen DDR das Blatt. Plötzlich war alles vermeintlich im Überfluss vorhanden, konnte überall und zu jeder Zeit erworben werden. In vielen Branchen wurde sogar mehr produziert, als innerhalb des Verfallsdatums verbraucht werden konnte, die Marktpreise purzelten. So gerieten auch die Themen Sparsamkeit, Vorratshaltung und Reparatur statt Neukauf zunehmend in Vergessenheit – Tugenden und Verhaltensweisen, die zumindest in der Mitte des letzten Jahrhunderts auch in Westeuropa durchaus noch anerkannt waren.

Der Produktionsüberschuss und der durch geschicktes Marketing und künstliche Bedarfserzeugung immer weiter angeheizte ungezügelte Konsum ist getrieben durch ein Wachstumsversprechen, nein sogar einen Wachstumszwang, ohne den das globalisierte Wirtschafts- und Finanzsystem gar nicht am Laufen gehalten werden kann. Dass dies mit massiven sozialen Verwerfungen verbunden ist und zur radikalen Ausbeutung des Planeten und Zerstörung der Lebensgrundlage vieler Lebewesen führt, bekommen wir ja leider zunehmend zu spüren. Worauf will ich aber hinaus?

Bei all dem hemmungslosen Wachstum, das in vielen Bereichen durchaus von der Politik gewollt und mit öffentlichen Geldern gefördert wird, ist ein Bereich auf der Strecke geblieben und zumindest in den letzten zehn Jahren sträflich vernachlässigt worden, obwohl dessen Akteure bereits früh gezeigt hatten, was möglich und auch notwendig ist: die regenerativen Energien. Nach einem fulminanten Start Anfang der 2000er Jahre mit tollen Erfolgen trat man ab 2010 auf die Bremse – vorwiegend aus Angst, darüber die Kontrolle zu verlieren - und schaffte es leider erfolgreich, ihn möglichst klein zu halten: Das brauchen wir (noch) nicht, das funktioniert nicht und ist sowieso zu teuer!

Nun werden die Ressourcen knapp

Nun plötzlich merken alle – Politiker, Wirtschaftsvertreter, Medienleute und der sprichwörtliche „Mensch auf der Straße“ gleichermaßen - wir brauchen die Erneuerbaren doch irgendwie und zwar so schnell wie möglich! Doch nun ist der Zug beinahe abgefahren. Zu lange wurde der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik verschlafen, der Zusammenbruch der europäischen Solarindustrie und das Abwandern von Fachkräften billigend in Kauf genommen. Nun haben wir alle das Nachsehen und müssen schauen, wie wir aus sehr knappen Ressourcen das Beste rauszuholen, müssen wieder lernen, mit dem Mangel umzugehen und zu haushalten – altes Wissen und schlaue Konzepte sind gefragt.

In den letzten Tagen ist in der Fachwelt schon einiges darüber gesprochen und geschrieben worden: Uns in der Branche steht ein unvorstellbarer Kraftakt bevor. Durch die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte - nicht nur unserer Vorgängerregierungen in Deutschland, sondern weltweit – ist der Nachholbedarf bei der Umstellung des Wirtschaftssystems und der Einführung erneuerbarer Energien mittlerweile so groß und die uns verbleibende Zeit so knapp geworden, dass wir eigentlich keine ruhige Minute mehr haben sollten. Die Dringlichkeit scheint zumindest von unserer jetzigen Ampel-Regierung erkannt worden zu sein, denn es wurden von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck kürzlich Ausbauziele in realistischer Dimension aufgezeigt, wie sie von Umwelt- und Branchenverbänden leider schon seit längerer Zeit prognostiziert beziehungsweise verlangt wurden. Allein ein schlüssiges Konzept für die Umsetzung fehlt noch. Blinder Aktivismus hilft hier allerdings auch nicht, denn die Ausgangsbedingungen sind, wie bereits erwähnt, denkbar schlecht.

Was bedeuten die vorgestellten Ausbauziele für die Photovoltaik-Branche und was kommt 2022 dabei auf uns zu?

Zunächst ist zu erwähnen, dass wir uns noch immer in einer weltweiten Gesundheitskrise befinden, die wieder zunehmend die Lieferketten beeinflusst. Der Vormarsch der neuen Virusvariante Omikron führt zu personalbedingten Ausfällen in Produktion und Logistik. Momentan werden wieder ganze Städte in China abgeriegelt, um eine lokale Ausbreitung zu verhindern. Sollte die Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung jedoch nicht aufgehen, was bei diesem aggressiven Virus zu befürchten ist, steht der Bevölkerung und Wirtschaft noch einiges bevor. Was dies für die Versorgung der restlichen Welt mit Waren bedeutet, können wir nur erahnen. In Europa ist es momentan vor allem der Mangel an einsatzfähigen LKW-Fahrern, der den termingerechten Warenfluss behindert und die Transportpreise in die Höhe schnellen lässt. Echte Produktionsbetriebe gibt es im Photovoltaik-Sektor ja kaum noch, die von der Pandemie betroffen sein könnten.

Nun ist das Jahr noch jung und die Nachfrage nach Photovoltaik-Komponenten noch nicht richtig in Gang gekommen. Preislich tut sich im Moment sowieso wenig – viele Hersteller sortieren sich noch. Für den weiteren Jahresverlauf werden sogar wieder fallende Preise erwartet – sowohl im Sektor der Vor- und Zulieferprodukte als auch im internationalen Transportwesen. Allerdings könnte die Rechnung ohne den Wirt gemacht worden sein. Sollte die politische Weichenstellung tatsächlich so zügig erfolgen, wie so manche ambitionierte Aussage erwarten lässt, könnte uns ein beispielloser Nachfrageboom bevorstehen. Auf Deutschland bezogen sind ja Maßnahmen wie eine Anhebung der Einspeisevergütung, deutlich erhöhte Ausschreibungsvolumina, eine solare Baupflicht für Nicht-Wohngebäude, Steuererleichterungen und eine allgemeine Entbürokratisierung für Bauvorhaben im Gespräch, um nur einige davon zu nennen. Auch im internationalen Umfeld gibt es zahlreiche Initiativen, den jährlichen Zubau mit Photovoltaik-Anlagen, Speichersystemen und Ladeinfrastruktur auf das gewünschte, vielmehr notwendige Maß anzuheben.

Von allem zu wenig - nur bürokratische Hürden gibt es genug

Und jetzt kommen wir nämlich zum Wirt, beziehungsweise zu den Wirten in Form der Hersteller und Lieferanten, aber auch der Planer und Installateure, ohne die hier die Rechnung gemacht wird. Um den dringend notwendigen und von Habeck in einer denkwürdigen Pressekonferenz auch vorgezeichneten Ausbaupfad einhalten zu können – der sogenannte Photovoltaik-Booster beinhaltet einen Anstieg des Zubaus um jeweils etwa 50 Prozent pro Jahr, brauchen wir mehr Rohstoffe, mehr nationale und interna­tionale Produktions- und Transportkapazitäten sowie mehr Fachkräfte im Bereich Planung, Installation und Service. Doch woher soll das alles kommen? Ein Mangel lässt in einem freien Markt zudem die Preise für Komponenten, aber auch für Montagen schnell wieder steigen. Insofern ist die Markt- und Preisentwicklung in diesem Jahr einmal mehr das, was sie so häufig schon war: unberechenbar.

Für die Bewältigung des anstehenden Booms haben wir leider von allem zu wenig, außer vielleicht bürokratische Hürden sowie Zweifler und Bremser. Natürlich haben wir aber viel zu wenig Zeit. Daher muss es jetzt lauten: Ärmel hochkrempeln und loslegen! Machen wir das Beste daraus und gehen mit dem Mangel kreativ um. Werden wir effizienter und schneller, optimieren und digitalisieren wir unsere Prozesse, verabschieden wir uns von überflüssigen Strukturen und lähmenden regulatorischen Hürden, fordern wir von der Politik endlich kluge Weichenstellungen ein, bilden wir neue Fachkräfte aus oder holen sie uns aus anderen, sterbenden Wirtschaftszweigen, siedeln wir in Europa wieder Produktion an und erhöhen damit die lokale Wertschöpfung, verkürzen wir die Wege und sparen dabei auch noch CO2 ein, improvisieren wir, wo es nötig ist und verabschieden uns von den Selbstzweifeln. Geht nicht, gibt’s nicht, denn dafür mangelt es uns an Zeit!




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