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Die Meinung
28. August 2017

Darwin, die Dinosaurier und die Zukunft der Demokratie

Die ökologischen Grenzen des Wachstums sind erreicht. Für die Gestaltung einer nachhaltigen und lebenswerten Zukunft ist Partizipation ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Ein solcher Paradigmenwechsel erfordert jedoch in der Politik, in der Wirtschaft und bei jedem Bürger ein konsequentes Umdenken.

Jörg SommerVorstandsvorsitzender Deutsche Umweltstiftung

Jörg SommerVorstandsvorsitzender Deutsche Umweltstiftung
Jörg Sommer ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Gründungsdirektor des Berlin Institut für Partizipation (bipar). (Foto: © Jörg Sommer)
Jörg Sommer ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Gründungsdirektor des Berlin Institut für Partizipation (bipar). (Foto: © Jörg Sommer)

28.08.2017 –Mehr als 200 Millionen Jahre lang beherrschten die Dinosaurier die Welt – bis sie vor rund 65 Millionen Jahren in kurzer Zeit ausstarben und von der Bildfläche verschwanden. Woher kam das plötzliche Ende der Echsen? Wieso konnten so riesige und mächtige Tiere, die das Bild der Erde über Jahrmillionen prägten, so schnell verschwinden, wenn doch andere Tierarten wie Haie, Säugetiere und sogar winzige Insekten die Erde noch heute bevölkern?

Hat Charles Darwin nicht postuliert, dass „die Stärksten überleben?“ Eine beliebte, doch grundfalsche Übersetzung: Darwin hat mit seinem Schlagwort vom Survival of the fittest etwas ganz anderes gemeint, nämlich dass diejenigen Arten überleben, die sich am besten den gegebenen Bedingungen anpassen.

Genau das war das Problem der Dinosaurier: Die Umwelt veränderte sich radikal am Ende der Kreidezeit. Während sich kleine, flinke und flexible Säugtiere, Insekten, Vögel oder Fische an die veränderten Lebensbedingungen anpassten, gingen die riesenhaften und schwerfälligen Echsen zugrunde.

Das Ende der Dinosaurier und der Kohlewirtschaft

Vor einer ähnlichen Situation steht heute die Menschheit: Der anthropogene Klimawandel spitzt sich zu. Er ist das Virus, das die Menschheit in die ökologische Selbstzerstörung treiben kann. Die Dinosaurier unserer Zeit sind die großen Kohle- und Atommeiler, auch wenn sie erst seit 100 bzw. 50 Jahren existieren, in denen sie lange Zeit mit Fortschritt gleichgesetzt wurden. Doch sie sind von der Zeit überholt worden. Sie passen nicht in eine lebens- und entwicklungsfähige Gesellschaft, die heute nicht mehr viel, sondern möglichst wenig Energie nachfragen muss. Und die den Umstieg in die solare Wirtschaft schnell verwirklicht. Das ist das Gegenteil der großen Kraftwerke der niedergehenden Verschwendungswirtschaft.

Was in einer Welt endlicher Rohstoffe und überlasteter Senken keine Zukunft hat, sind große Strommeiler, die behäbig hochfahren und nur schwer regelbar sind. Notwendig sind kleine flinke, solare Energieerzeuger, die dort Strom produzieren, wo er gebraucht wird, die minutiös geregelt werden können und sich in die Umwelt einfügen, ohne sie zu zerstören. Was nicht gebraucht wird, sind schlecht gedämmte Häuser, die Energie nur so verschleudern. Erforderlich sind Null- oder gar Plusenergiehäuser sowie intelligente Verbünde solarer Nah- und Fernwärme.

Zeit der Weichenstellung

Im letzten Jahrhundert hat ein gewaltiges Wirtschaftswachstum einem Teil der Welt großen Wohlstand, Lebensqualität und Demokratie gebracht. Dafür wurden jedoch massenhaft Ressourcen ausgebeutet und die natürlichen Kohlenstoffsenken überlastet. Jetzt nähern wir uns, wie der anthropogene Klimawandel zeigt, einer Naturschranke, die nur um den Preis einer Katastrophe überschritten werden kann. Es war ein Fortschritt, der auch auf Kosten der Natur und der Dritten Welt ging. Jetzt steht die Menschheit an einem Wendepunkt, weil die alten Auswege verstellt sind.

An den ökologischen Grenzen des Wachstums, an der Frage des Ausstiegs aus der fossilen Verbrennung und der alten Wachstumswirtschaft entscheidet sich, ob wir ein Jahrhundert neuer Gewalt und erbitterter Verteilungskämpfe erleben oder ob es zu einem Jahrhundert der nachhaltigen Entwicklung kommt. Entscheidend wird sein, ob wir in unserem eigenen Land zu einer sozial-ökologischen Transformation fähig sind, ob wir die EU zu einer Nachhaltigkeitsunion machen und weltweit den Boden für mehr Klimaschutz bereiten und dabei zu mehr finanziellen und technischen Kooperationen zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer kommen.

Heute befindet sich die Menschheit in einer „Suchbewegung“, wie Oskar Negt unsere Zeit beschreibt. Die Menschen brauchen Orientierung, damit sie wissen, was zu verändern und was zu bewahren ist. Und wie sie Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten haben, damit ihnen eine gute Zukunft eröffnet wird. Auch wenn die Wachstumszwänge übermächtig erscheinen, hilflos ausgeliefert sind wir ihnen nicht. Der Markt ist keine Naturgewalt, die Globalisierung kein Schicksal. Eine sozial-ökologische Transformation ist möglich. Unsere Zeit kann zur Stunde der Demokratie werden.

Schlüsselfaktor Ökologie

Der Schlüssel dazu liegt in der Ökologie. Sie ist der Hebel für mehr Demokratie, Gerechtigkeit und für ein neues Verständnis von Innovationen. Nicht nur die Industrieländer, die sich von hohem Ressourcen- und Naturverbrauch so abhängig gemacht haben wie der Junkie von der Nadel, alle Länder sind gefordert, dass es nicht zur Klimakatastrophe kommt, die unkalkulierbare, auf jeden Fall einschneidende Folgen hätte. Schon heute werfen die Schädigungen der Natur in vielen Erdregionen existenzielle Fragen auf: Armut, Hunger, Unbewohnbarkeit und Migration.

An dieser Weichenstellung muss der Widerspruch zwischen Wissen und Handeln überwunden werden. Eine sozial-ökologische Transformation muss bewahren und verändern. Vor allem muss sie die Grenzen, die sich aus den Naturgesetzen ergeben, beachten. Den Weg dazu weist die große Leitidee der nachhaltigen Entwicklung, die fragt, was wir verantworten können und was nicht. Sie gehört auf allen Ebenen – regional, national und international – ins Zentrum des politischen Handelns.

Kohlendioxid (CO2) ist das wichtigste Treibhausgas, andere Treibhausgase werden auf die Wertigkeit von CO2 bezogen. Trotz des Kyoto-Vertrags von 1995 ist die Anreicherung von Kohlendioxid in der Troposphäre in den letzten Jahren weiter gestiegen, stärker noch als in den skeptischen Berechnungen des Weltklimarates (IPCC). Kommt es nicht schnell zu einer absoluten Reduktion der Treibhausgase, wird spätestens in 20 Jahren eine globale Erwärmung um mehr als 2 Grad Celsius nicht mehr zu verhindern sein.

Vor diesem Hintergrund ist selbst das im Pariser Weltklimavertrag postulierte 2-Grad-Celsius-Ziel kritisch. Für viele arme Regionen, die nicht über die finanziellen oder technischen Mittel verfügen, sich schützen zu können, führt es bereits in die Katastrophe:

● In weiten Teilen Afrikas droht eine deutliche Senkung (mehr als 20 Prozent) der Ernteerträge. Derzeit erhöhen sich dort die Temperaturen um 0,3 Grad Celsius pro Dekade. 18 Prozent der betroffenen Menschen, fast eine Milliarde, leiden bereits an Hunger und Unterernährung. Dabei ist Afrika nur für vier Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.

● Lima, die Hauptstadt Perus, ist in der Trinkwasserversorgung zu 100 Prozent von den Andengletschern abhängig. In den letzten 17 Jahren sind die Eisschichten in den Kordilleren bereits um 23 Prozent zurückgegangen.

● In Asien leben rund 635 Millionen Menschen in niedrig gelegenen Küstenzonen oder im Mündungsbereich großer Flüsse, die vom Himalaja gespeist werden. 40 Prozent davon sind gefährdet durch den ansteigenden Meeresspiegel und durch die schnell abfließenden Gletscherschmelzwässer, die zu verstärktem Hochwasser führen.

● Auch in Europa wird in den Alpen die Erwärmung etwa doppelt so hoch sein. Bei einem globalen Anstieg um zwei Grad werden vier Grad Celsius prognostiziert. Dann werden zwei Drittel der heute schneesicheren Gebiete verschwinden.

Das Wissen liegt vor. Doch zu einem Handeln kam es lange Zeit nicht. Trotz dieser Erkenntnisse wurde viel Zeit vertan, so dass es heute eine kaum noch vorstellbare Kraftanstrengung wäre, das 1,5-Grad-Celsius-Ziel zu erreichen. Fest steht jedoch, dass eine höhere Konzentration der Treibhausgase das Leben auf der Erde vor allem durch die Zunahme von Wetterextremen radikal verschlechtern würde.

Heute liegt die Erwärmung – bereinigt um die natürlichen Abweichungen – bereits 1 Grad über dem vorindustriellen Wert. In den nächsten vier bis fünf Jahrzehnten kann die schon im Klimasystem „gespeicherte“ Erwärmung durch eine massenhafte Aufforstung, die Sicherung von Mooren und einen ökologischen Umgang mit den Böden verlangsamt, aber nicht mehr verhindert werden. Durch die Versäumnisse der letzten zwei Jahrzehnte, den Temperaturanstieg zu begrenzen, wird der Klimaschutz heute zu einer enormen Kraftanstrengung. Er verlangt vor allem einen schnellen Ausstieg aus der fossilen Verbrennung und eine sozial-ökologische Transformation.

Die Dimension der Herausforderung

Das Zeitfenster zur Vermeidung einer Katastrophe ist eng geworden. Der Klimawandel erhöht in der Dritten Welt, insbesondere in Afrika und Ostasien, den Druck zur Migration. Das wird, wenn es nicht schnell zu durchgreifenden Gegenmaßnahmen kommt, dazu führen, dass die Konflikte weltweit zunehmen, auch in den wohlhabenden Ländern, die ihre Grenzen schärfer kontrollieren und sich abschotten werden.

Es wäre russisches Roulette, wenn einige Länder damit spekulieren, dass sie vom Klimawandel weniger betroffen sein werden. 2 Grad Celsius höhere Temperaturen bedeuten eben nicht angenehmes Mittelmeerklima, sondern sind mit Wetterextremen verbunden, mit Ernteausfällen, Artensterben, Überschwemmungen, Hurrikans und Dürreperioden. In unserem Land müssen wir im Sommer dauerhaft mit Temperaturen rechnen, die wir aus dem Hitzesommer 2003 kennen.

Nachhaltigkeit ist die wichtigste Antwort auf die Herausforderung. In ein Bild gefasst: Es geht um ein neues Haus der Zivilisation. Die Ökologie ist das Fundament, die soziale Gerechtigkeit gewährleistet die stabile Statik, und wie das Haus dann ausgestaltet wird, liegt an den schöpferischen Kräften bei der Entwicklung und Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.

Der Ausgangspunkt für eine nachhaltige Entwicklung ist die Erweiterung der zeitlichen Perspektive, indem sie die Bedürfnisse der heutigen Generationen in einer Weise befriedigt, die künftigen Generationen erlaubt, das auch angemessen zu tun. Der neue Weg heißt: Ein gezieltes Wachsen und Schrumpfen soll ein neues und dauerhaftes Gleichgewicht schaffen. Nachhaltigkeit orientiert sich dafür auf eine gemeinsame Verantwortungsethik und mehr Demokratie und Partizipation.

Um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten und damit die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden, muss sofort eine deutliche Trendwende bei den globalen Treibhausgasemissionen erreicht werden. Notwendig wäre ein Kohlenstoffbudget, um das Klimasystem zu stabilisieren, das bei einer gerechten Verteilung weltweit 2 Tonnen pro Jahr beträgt. Davon ist auch Deutschland, das sich derzeit als Klimaretter feiern lässt, weit entfernt. Es würde nämlich bedeuten, dass etwa im Jahr 2020 bei einer Fortsetzung der heutigen Emissionen die Grenze erreicht ist. Danach müsste es zu Null-Emissionen bei CO2 kommen.

Dreifachstrategie für eine demokratische Zukunft

Verpassen wir die letzte noch mögliche Ausfahrt vor dem totalen Absturz, wird die Aufheizung der Atmosphäre für große Teile der Erde zu einer unwiderruflichen und sich selbst beschleunigenden Katastrophe werden. Ich plädiere für eine Dreifachstrategie, die nationale, europäische und globale Dimensionen aufweist:

1. Deutschland wird – wie beim Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) – zu einem Vorreiter für mehr Klimaschutz, wo immer es geht. Neben der Energiepolitik bieten sich insbesondere eine Agrarwende an sowie eine ökologische Stadtentwicklung mit flächenschonenden, ressourcensparenden und energieeffizienten Bauweisen.

2. Die Europäische Union wird in der Globalisierung zum Vorreiter der sozial-ökologischen Transformation. Damit bekommt die Union ein dringend benötigtes einigendes Projekt.

3. Die Vereinten Nationen werden substantiell gestärkt, nicht nur um bessere Klimaschutzverträge zu ermöglichen, sondern auch um die Globalisierung sozial und ökologisch zu gestalten.

4. Dazu muss die Politik neue wirtschafts-, sozial- und finanzpolitische Instrumente nutzen, um wirksame Impulse zu setzen und innovative Rahmenbedingungen zu schaffen. In der Zivilgesellschaft müssen neue Allianzen gebildet werden, die den Transformationsprozess vorantreiben.

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel, der nicht nur die Inhalte, sondern auch die Prozesse demokratischer Willensbildung erneuert. Ein gelingender Transformationsprozess beteiligt die Bürgerinnen und Bürger als Subjekte der Zukunftsgestaltung. Als Projekt politischer, wissenschaftlicher oder wirtschaftlicher Eliten könnte er nicht gelingen. Er wird die Legitimation demokratischer Strukturen, er wird Regierungen und Parlamente stärken und sie zugleich in eine fördernde und fordernde partizipative Kultur einbetten müssen.

Partizipation ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft. Ein solcher Paradigmenwechsel erfordert in der Politik, in der Wirtschaft und bei jedem Bürger ein konsequentes Umdenken. Eine fünffache Dividende Dieser Prozess kann, muss und wird gelingen. Denn wenn wir zukünftig nachhaltig leben und wirtschaften, ernten wir eine fünffache Dividende. Wir gewinnen mehr Freiheit durch den schonenden, effizienten und innovativen Umgang mit Energie und Rohstoffen. Das bewahrt auch künftigen Generationen Frieden und Demokratie.

● entschärfen die globalen und nationalen Verteilungskonflikte, wenn Energie- und Rohstoffintelligenz zum Vorbild für die Entwicklungs- und Schwellenländer wird.

● verringern die Gefahr einer globalen Klimakatastrophe, die nicht nur mit hohen Kosten verbunden ist, sondern auch die Welt spaltet, verletzt und unfriedlich macht.

● erschließen die Märkte der Zukunft und leisten durch geringere Energiekosten einen Beitrag zur Verbesserung der Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit. Das schafft mehr qualifizierte Beschäftigung.

● und leisten einen aktiven Beitrag zur Sicherung des Friedens in der Welt und für eine faire und kooperative Zusammenarbeit mit den Förderregionen.

Jörg Sommer ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Gründungsdirektor des Berlin Institut für Partizipation (bipar).




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