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Die Meinung
09. Dezember 2019

Die Energiewende braucht die Windenergie

Um die CO2-Emissionen zu reduzieren hat Deutschland den langsamen Ausstieg aus der Kohle beschlossen. Statt jedoch den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu fördern, droht nun der Windenergie das gleiche Schicksal wie einst der deutschen Solarindustrie. Das gefährdet die CO2-Bilanz und den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Anika Schwalbe, Agentur für Erneuerbare Energien

Anika Schwalbe, Agentur für Erneuerbare Energien
Foto: © AEE

09.12.2019 – Die Energiewende ist eine große Erfolgsgeschichte, vor allem im Strombereich. Allein in dem Zeitraum zwischen Januar und November haben die Erneuerbaren Energien in diesem Jahr 24 Terrawattstunden mehr Strom erzeugt als die fossilen Energien. Die Windenergie als einer der bisherigen Garanten für die dynamisch wachsende Stromerzeugung steht aber zunehmend unter Druck, denn der Ausbau geht nicht schnell genug. Dabei weist diese Technologie die größten Potenziale für eine klimafreundliche Energieerzeugung in Deutschland auf: Alle Studien zur Zukunft unserer Energieversorgung sehen Windenergie-Anteile von 60 bis 70 Prozent voraus.

Aktuell liegt der Anteil an der Stromerzeugung bei rund 17 Prozent, weshalb für das Erreichen der Energie- und Klimaziele ein weiterer deutlicher Ausbau der Windenergie nötig wäre. Sie könnte also der Problemlöser sein – doch stattdessen scheint sich die ganze Debatte um das Für und Wider hinsichtlich Erneuerbarer Energien genau um diese zu drehen. Deshalb bleibt für einen wirklich ambitionierten Ausbau der Windenergie zur Erreichung der Klimaziele sowohl für die Politik als auch für die Branche noch viel zu tun und zwar zusammen mit den Bürger*innen.

Schon 2018 war der Ausbau gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgegangen. So wurden lediglich 2,4 Gigawatt (GW) neue Leistung installiert und damit weniger als die Hälfte dessen, was 2017 noch erreicht worden ist. Das heißt, schon jetzt wurde der von der Bundesregierung laut Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) angestrebte Wert von 2,5 Gigawatt jährlich unterschritten. Den größten Rückgang in den Bundesländern gab es in Bayern und Sachsen-Anhalt: Nach Leistungszubauten im mittleren dreistelligen Megawatt-Bereich im Jahr 2017 konnten 2018 nurmehr niedrige zweistellige Werte erreicht werden. Der Zubau schrumpfte auf weniger als ein Zehntel des Vorjahreswertes

Noch drastischer zeigt sich das in diesem Jahr. Den Auswertungen der Arbeitsgruppe Erneuerbare-Energien-Statistik zufolge sind im gesamten ersten Quartal Windenergieanlagen mit einer Leistung von gerade einmal 148 Megawatt neu in Betrieb gegangen. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, würde das für 2019 einen Zubau von 600 Megawatt neuen Windenergieanlagen bedeuten – also nicht einmal ein Viertel des im EEG festgeschriebenen Ziels.

Dies ist kein neues Problem. Auch in den Ausschreibungen, die die Förderung der Windenergieanlagen seit 2017 organisieren und in denen sich geplante Windenergieprojekte bewerben können, sind die Bewerbungsrunden mittlerweile deutlich unterzeichnet. Und so ist für die kommenden Monate nicht mit einer schnellen Erhöhung des Ausbautempos zu rechnen. Dabei sind die bislang festgeschriebenen Ziele des Zubaus sogar noch eher moderat, wie eine aktuelle Studie des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE) zeigt: Wenn 2030 wirklich der von der Bundesregierung angestrebte Anteil von 65 Prozent Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch erreicht werden soll, bräuchte es demnach sogar jährlich neue Windenergie-Anlagen im Umfang von 4,7 Gigawatt – netto versteht sich. Schließlich sind dabei noch nicht die in den kommenden Jahren aufgrund des Auslaufens der zwanzigjährigen EEG-Förderung aus dem Markt ausscheidenden Windenergieanlagen berücksichtigt.

Windkraft-Ausbau kaputtreguliert

Der stockende Ausbau ist einerseits auf die Ausgestaltung des Fördersystems und des Genehmigungsprozesses zurückzuführen. So wurden beim Start des Ausschreibungssystems zunächst auch Projekte zugelassen, die noch keine Genehmigung hatten. Diese eigentlich als Ausnahme für Bürgerenergiegesellschaften gedachte Regelung führte dazu, dass sich fast nur Projekte ohne Genehmigung in den Ausschreibungen durchsetzen. Diese sind aber bis heute meist nicht gebaut und es ist fraglich, ob sie überhaupt gebaut werden – was erheblich auf die Ausbauzahlen drückt.

Auch die Deckelung der Ausschreibungen auf eine Höhe von 2,5 Gigawatt sorgte für Verunsicherung, da in den Jahren 2013 bis 2017 immer Ausbauzahlen von drei bis fünf Gigawatt erreicht wurden, und so eigentlich eine Begrenzung des Windenergieausbaus politisch vorgegeben wurde. Zwar sind inzwischen Sonderausschreibungen auf den Weg gebracht worden, die die Mengen wieder erhöhen sollen. Dieses Hin und Her und die damit verbundene Verunsicherung lastet jedoch schwer auf der Branche.

Darüber hinaus hat beispielsweise Bayern mit seiner 10H-Regelung die Flächen für neue Windenergieanlagen enorm eingeschränkt. Was eine Abstandsregelung konkret bedeutet, zeigte zuletzt eine Untersuchung des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) Potsdam: „Die Ergebnisse unserer Untersuchung demonstrieren, dass sich das Windkraftpotenzial bei einem pauschalen Mindestabstand zwischen Windkraftanlagen und Wohngebäuden von 1000 m gegenüber 600 m deutschlandweit um 65 Prozent reduziert, auf 35-52 GW. Bei 800 m ist es vorstellbar, dass das deutsche Windkraftziel von bis zu 86 GW Windkraft bis 2030 zu erreichen ist. Bei 600 m Mindestabstand kann die Windkraft an Land zum tragenden Pfeiler der zukünftigen klimaneutralen Stromversorgung ausgebaut werden und somit auch die Ausbauziele für Windenergie bis 2050 erreicht werden.“

Das und die etwa vom Umweltbundesamt verdeutlichte Flächenverringerung rufen in der Branche weitere Verunsicherung hervor. Zudem hat eine frühere Untersuchung des Institute For Advanced Sustainability Studies e. V. (IASS) gezeigt, dass der Abstand der Windenergieanlagen zur Wohnbebauung nur von untergeordneter Bedeutung hinsichtlich der Akzeptanz ist. Zu diesem Ergebnis kommt auch die diesjährige Akzeptanzumfrage der Agentur für Erneuerbare Energien: Besonders bemerkenswert ist, dass die Zustimmung sogar noch steigt, wenn die Befragten bereits Erfahrungen mit diesen Anlagen in ihrer Nachbarschaft haben. Bei Windenergieanlagen beispielsweise steigt sie von 51 auf 63 Prozent.

Genehmigungsverfahren straffen

Und selbst wenn es Flächen für neue Projekte gibt, ziehen sich Genehmigungen aktuell sehr lang hin – hier braucht es laut Bundesverband WindEnergie e. V. (BWE) einerseits deutliche Signale Richtung Klimaschutz auf allen politischen Ebenen, um der Windenergie eine klare Perspektive zu geben. Andererseits müssten Genehmigungsverfahren gestrafft und auch Klageverfahren, die oft nach der Genehmigung von Projekten für zusätzliche Verzögerungen sorgen, zügig entschieden werden. Dabei gehen zahlreiche Studien davon aus, dass die installierte Leistung etwa um das Zwei- bis Dreifache steigen muss, um bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Die Zahl der Windräder würde sich dabei nicht um den gleichen Faktor erhöhen, denn die neuen Anlagen sind leistungsstärker und ersetzen zum Teil kleinere alte Mühlen.

Akzeptanz durch bessere Kommunikation stärken

Der Dreh- und Angelpunkt der zuvor angeführten Fehlentwicklung – sei es in Form von Verzögerungen, Ausbaustopp, Flächennot – ist letztlich die Kommunikation mit den Bürger*innen. Zwar sprechen sich neun von zehn Bürger*innen für den Ausbau Erneuerbarer Energien aus. Und an der Notwendigkeit des Ausbaus Erneuerbarer Energien für den Klimaschutz, der energetischen Unabhängigkeit Deutschlands und der wirtschaftlichen Entwicklung zweifeln nur wenige. Aber viele Menschen in Deutschland fühlen sich oft nicht ausreichend einbezogen. Das politische Interesse der Bürger*innen ist groß, das ehrenamtliche Engagement für die Gemeinschaft ist atemberaubend – doch in viele Prozessen werden sie meist nicht rechtzeitig und ausreichend eingebunden.

Ehrlicher Dialog

Der Ausbau beispielsweise der Windenergieanlagen ist wichtig und richtig für die Zukunft des Landes, doch das muss auch auf Augenhöhe kommuniziert werden. Ein ehrlicher Dialog über die Chancen einer regionalen Wertschöpfung und die Möglichkeit der Projektbeteiligung vor Ort sollten von Anfang an eine tragende Rolle beim Ausbau spielen. Das ist auch der Ansatz vieler Projekte innerhalb der Agentur für Erneuerbare Energien. Wir sagen und zeigen: Die Energiewende ist Energieupgrade, Umweltschutz und mehr Wert für alle. Der Zugang zu Informationen, die Lust am Austausch mit den Bürger*innen und die gemeinsame Suche nach den besten Lösungen für die Gemeinschaft vor Ort und den beteiligten Unternehmen – das ist für uns das Rückenmark einer funktionierenden Energiewende. Und darin sehen wir unsere Aufgabe.

Abstandsregeln, Förderungen, Klagen und Flächennot hängen direkt und indirekt miteinander zusammen und sie haben ihren Ursprung im Umgang mit der Bevölkerung. Und genau hier findet sich wiederum der entscheidende Teil der Lösungsansätze für die Schwierigkeiten in der Windbranche. Bürger*innen, die in Prozesse noch stärker einbezogen werden und die um die Bedeutung der Branche für ihre Welt wissen, klagen nicht dagegen, brauchen keine größeren Abstände zu Anlagen und wären auch bereit, für die Energiewende etwas mehr zu bezahlen.

Anika Schwalbe ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der unabhängigen Agentur für Erneuerbare Energien in Berlin.




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