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Die Meinung
07. Januar 2019

Die Energiewende braucht einen Generationenvertrag

Die Energiewende stößt in Deutschland sieben Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima zunehmend auf Widerstand in der Bevölkerung. Damit der Transformationsprozess über mehrere Generationen und viele Legislaturperioden gelingt, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens – einen Generationenvertrag.

Dr. Tim Meyer, Vorstand von NATURSTROM

Dr. Tim Meyer, Vorstand von NATURSTROM
Dr. Tim Meyer ist seit Juni 2017 NATURSTROM-Vorstand
Foto: © NATURSTROM AG

07.01.2019 – Der erste Windpark Deutschlands ging 1987 ans Netz, der letzte Kohlemeiler könnte um 2037 herum abgeschaltet werden. Dazwischen liegt ein halbes Jahrhundert – die Energiewende ist ein echtes Generationenprojekt. Sie ist gleichermaßen ein gigantisches Modernisierungsprogramm für Industrie und Infrastruktur mit riesigen Chancen für Menschen und Unternehmen in Deutschland – und brutale Notwendigkeit, wenn wir künftigen Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen wollen. Wir müssten also alles dafür tun, in Deutschland noch deutlich stärkere Kräfte für die nötige Transformation zu mobilisieren. Allein: Bedenken, Rückzugsgefechte und Ausfallangriffe überwiegen immer noch bei konservativen Kräften und in einigen Industrieverbänden. Im verbogenen energiepolitischen Zieldreieck wird Wirtschaftlichkeit ohne Folgekosten gerechnet und ist Umweltverträglichkeit oft nur Hygienefaktor. Zugleich zeigt sich der Klimawandel zwar auch in Europa schon, trifft uns aber noch nicht mit existenzieller Wucht.

Warum also anstrengen – für scheinbar weit entfernte Interessen?

Als Generationenprojekt braucht die Energiewende einen echten Generationenvertrag. Wir müssen die Interessen zukünftiger Generationen und der heute schon betroffenen Regionen stärker zur Kenntnis nehmen und gewichten. Und sie mit unseren eigenen Investitionen und Anstrengungen abgleichen. Wie lässt sich die aktuell noch hohe Zustimmung in der Bevölkerung für die Energiewende über Jahrzehnte erhalten? Und wie lassen sich die Anschubkosten für die Entwicklung und Markteinführung neuer Technologien fair verteilen?

Für die ersten Schritte der nötigen Systemrevolution haben wir besonders in den 2000er-Jahren viel Geld in die Hand genommen. Diese Anschubfinanzierung der EEG-Anfangsjahre ausschließlich der jetzigen Generation von Stromkunden aufzubürden, ist nicht notwendig. Mindestens derjenige Anteil an den EEG-Vergütungen älterer Anlagen, der eindeutig über die Stromgestehungskosten neuer konventioneller Kraftwerke hinausgeht, könnte ohne Weiteres aus Steuermitteln oder anderen Quellen refinanziert werden. Gleichzeitig muss die mit rund 5 Mrd. Euro pro Jahr aus dem Ruder gelaufene Privilegierung von Großabnehmern schnellstens auf ein notwendiges Maß reduziert werden. Und auch die finanziellen Erleichterungen für die relativ wenigen berechtigten Ausnahmen sollten nicht von privaten Haushaltskunden getragen werden. So würden das EEG-Konto und Millionen privater und gewerblicher Stromkunden deutlich entlastet.

Zusätzlich muss der klimaschädigende Ausstoß von CO2 dauerhaft einen angemessenen Preis erhalten – international in Form eines funktionierenden Emissionshandels, aber auch national. Eine sektorübergreifende CO2-Abgabe ist hierzu das Mittel der Wahl, denn sie kann auch die Bereiche der Wirtschaft einbeziehen, die der Emissionshandel nicht erfasst. Aufkommensneutral ausgestaltet birgt eine solche Abgabe zugleich die Chance, das Dickicht der Steuern und Abgaben auf Energieträger radikal zu lichten. Steuern ohne Lenkungswirkung, wie die Stromsteuer, müssen in diesem Zuge drastisch gesenkt oder wo machbar abgeschafft werden.

Der entscheidende Schlüssel für dauerhafte Akzeptanz heißt jedoch Teilhabe

Ob Neubau von Wind- und Solarkraftwerken auf der einen oder Desinvestition bei Kohlekraftwerken und Strukturwandel auf der anderen Seite: Maßnahmen müssen als Teil des Ganzen besser erklärt werden und die Menschen vor Ort müssen das Wie der Veränderung vor Ort mitgestalten können. Und sie müssen auch direkten und erlebbaren Nutzen aus der Energiewende und deren Investitionsprojekten ziehen können. Daher brauchen wir eine viel stärkere finanzielle Beteiligung der Menschen vor Ort und der Gemeinden. Dezentralisierung darf nicht nur technisch begriffen werden, sondern gerade auch im Sinne einer breiteren Partizipation und wirtschaftlichen Beteiligung der Menschen. Hierfür brauchen wir deutlich konkretere Instrumente und Vorgaben. Sonst bleibt es bis auf wenige Ausnahmen engagierter Akteure auch hier bei Lippenbekenntnissen.

Die Energiewende hat nicht erst mit Fukushima angefangen und sie endet auch nicht mit der Abschaltung des letzten Kohlekraftwerks in den 2030ern. Im Wärme- und Mobilitätssektor wird auch dann noch genug zu tun sein. Damit dieser Transformationsprozess über mehrere Generationen und viele Legislaturperioden gelingt, brauchen wir eine viel zielgerichtetere Diskussion und einen konkreten gesellschaftlichen Konsens – eben einen Generationenvertrag.

Dr. Tim Meyer ist promovierter Elektroingenieur und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in elektrischer Energietechnik, Netzintegration und Marketing. Er war Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und ist seit Juni 2017 Vorstand von NATURSTROM.




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