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Die Meinung
02. Dezember 2019

Die Energiewende nah am Bürger gestalten

Während am Freitag wieder über 600.000 Menschen für Klimaschutz auf die Straße gegangen sind, will die Bundesregierung noch fast zwei Jahrzehnte an der Kohle festhalten und gar ein neues Kohlekraftwerk ans Netz bringen. Dem Ausbau der Windenergie will sie hingegen einen Riegel vorschieben. Absurder geht es kaum. Unter der neuen Führung muss die SPD jetzt ein echtes Klimapaket aushandeln und der Bürgerenergie neue Spielräume geben.

Malte Zieher, Vorstand im Bündnis Bürgerenergie

Malte Zieher, Vorstand im Bündnis Bürgerenergie
ndnisMalte Zieher, Vorstandsmitglied im Bündnis Bürgerenergie
Foto: © BBEn

02.12.2019 – Der breite Protest von Fridays for Future, Ende Gelände und Co. hat die Bundesregierung durchaus beeindruckt. Im September wurde mehrfach ein „großer Wurf“ im Klimaschutz angekündigt. Das am 22. September – als zeitgleich 1,4 Millionen Menschen in Deutschland auf der Straße waren – vereinbarte Klimaschutzprogramm 2030 umfasst in seiner Langfassung immerhin ganze 173 Seiten. Der „große Wurf“ war jedoch reine Augenwischerei. Das Programm und die darin enthaltenen Maßnahmen entpuppten sich als ein völlig unzureichendes Klima-Päckchen: Ein viel zu später Kohleausstieg, unverbindliche Sektorenziele, ein völlig unwirksamer CO2-Preis – und sogar das Abwürgen der Energiewende durch die Einführung pauschaler Mindestabstände für Windenergieanlagen.

Kohleausstieg statt Windausstieg

Der erste Referentenentwurf zum Kohleausstiegsgesetz folgte Anfang November. Während die Braunkohlekraftwerke darin mit keinem Wort erwähnt werden, setzt die Bundesregierung zur Abschaltung der Steinkohlekraftwerke ohne jede Not und Rechtfertigung auf Milliarden an Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber. Weiterhin fehlt eine Regelung, dass für jedes abgeschaltete Kohlekraftwerk CO2-Zertifikate des Europäischen Emissionshandels im entsprechenden Umfang gelöscht werden. Damit würde sich kaum ein Klimaschutzeffekt ergeben. In Bezug auf Datteln IV hält die Bundesregierung mit dem Gesetzesentwurf sogar daran fest, ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen zu lassen. Dies ist ein klimapolitischer Offenbarungseid.

Der Referentenentwurf enthält darüber hinaus auch vielfache Änderungen für die Erneuerbaren Energien. Statt jedoch den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu erleichtern, zielt der Gesetzesentwurf mit der Einführung pauschaler Abstandsregeln für Windenergieanlagen auf das vollständige Abwürgen der Windenergie an Land ab. Mehrere Gutachten zeigen, dass durch das Einführen von Abstandsregeln die Flächenkulisse so stark sinkt, dass ein weiterer Ausbau der Windenergie faktisch unmöglich wird und sogar ein Rückgang an installierter Leistung droht. Durch die Regelung würden zudem aktuelle Regionalpläne größtenteils ungültig – die langwierige Neuaufstellung dieser Pläne würde den Ausbau der Windenergie an Land so auch außerhalb der angedachten 1.000-Meter-Abstände für längere Zeit zum Erliegen bringen. Auch das sinnvolle Repowering an bestehenden Windenergie-Standorten würde so vielfach unmöglich.

Der neueste Referentenentwurf von letzter Woche enthält die Abstandsregeln nicht mehr – allerdings genauso wenig die dringend notwendige Aufhebung des Förderdeckels für Solaranlagen bis zu einer Leistung von 750 kW. An den unzureichenden Paragrafen zum Kohleausstieg hat sich nicht viel geändert. Die Streichung der Regeln zu den Erneuerbaren Energien erfolgte wohl mit der Absicht, zumindest den Kohleausstieg morgen durch das Kabinett zu bringen. Die Neuregulierung der Erneuerbaren Energien soll nun zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

Neustart beim Klimaschutz

Die Bundesregierung muss endlich erkennen, dass sie mit ihrem Vorhaben, die Klimagerechtigkeitsbewegung mit vielen Worten aber wenigen Taten abzuspeisen, gescheitert ist. Am Freitag waren erneut über 600.000 Menschen für wirksamen Klimaschutz und gegen das Klima-Päckchen der Bundesregierung auf der Straße. Der Klimaschutz ist weiterhin das Thema unserer Zeit – und wird es auch bleiben.

Die SPD-Basis hat am Wochenende Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in der parteiinternen Stichwahl zur designierten Parteispitze gewählt. Beide müssen nun Wort halten und wirksamere Mittel zum Klimaschutz mit der Union aushandeln – oder die GroKo verlassen. Bereits morgen sollte die SPD das vorgelegte Kohleausstiegsgesetz im Kabinett nicht durchwinken. Dass die Union mauert und sich auf den Koalitionsvertrag beruft, überzeugt nicht. Schon die – viel zu geringe – CO2-Bepreisung stand nicht im Koalitionsvertrag. Und ganz generell gilt doch: Wenn eine Regierung keinen Deut darauf gibt, dass 600.000 Menschen gegen ihre Politik demonstrieren, läuft etwas grundsätzlich falsch.

Es braucht dringend einen Neustart der Bundesregierung beim Klimaschutz. Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten, braucht es einen Kohle- und Erdgasausstieg bis spätestens 2030. Dazu braucht es eine schnelle Energiewende – und keine pauschalen Mindestabstände für Windenergieanlagen.

Bürgerenergie stärken

Eine schnelle Energiewende kann nur gelingen, wenn die Bürgerinnen und Bürger zur Teilhabe eingeladen werden und die Möglichkeit erhalten, eigene Anlagen zu errichten. Der Bundesregierung liegt eine Steilvorlage bereits vor: Sie muss das „Clean Energy for all Europeans Package“ der Europäischen Union in nationales Recht umsetzen. Selbiges läutet ein neues Zeitalter für ganz Europa ein – ein Zeitalter, in dem Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt des Energiesystems gerückt werden und die Möglichkeit erhalten, Verantwortung für die Energiewende zu übernehmen. Auch in Deutschland besteht ein erheblicher Umsetzungsbedarf.

Die Bundesregierung sollte die Chance nutzen und alle Barrieren für die Erneuerbaren Energien einreißen. Die individuelle und gemeinschaftliche Eigenversorgung aus Erneuerbaren Energien ist eine enorme Motivation, beim Klimaschutz mitzumachen, sofern sie nicht durch Abgaben ausgebremst wird. Bürgersolaranlagen und Bürgerwindparks bieten lokale Wertschöpfung, Teilhabe und Identifikation, sofern sie nicht durch eine Ausschreibungspflicht verunmöglicht werden. Darüber hinaus eröffnet das EU-Recht neue Möglichkeiten wie Peer-to-Peer-Handel und Energy Sharing, mit denen sich Nachbarschaften gemeinsam selbst versorgen können. Diese muss die Bundesregierung nun rasch umsetzen.

Eine dezentrale Energieversorgung durch die Bürgerinnen und Bürger ermöglicht eine kosteneffiziente Energieversorgung, eine gerechtere Verteilung der Wertschöpfung, gesellschaftliche Teilhabe und resiliente Gesellschaften. Wenn die Bundesregierung die nötigen Spielräume ermöglicht, können die Bürgerinnen und Bürger gemeinsam für die Einhaltung des Pariser Klimaschutz-Ziels von maximal 1,5 Grad globaler Erwärmung bis 2050 sorgen.

Zur Stellungnahme des Bündnis Bürgerenergie zum Kohleausstiegsgesetz
Die neue Broschüre Klimaschutz zum Mitmachen des Bündnis Bürgerenergie




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