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Die Meinung
30. März 2015

Energiewende braucht neues Energiemarktdesign

Erneuerbare Energien stellen einen immer größeren Anteil unserer Stromversorgung. Mit zunehmender Verantwortung brauchen sie einen verlässlichen Rahmen, der ihre natürlichen Gegebenheiten berücksichtigt. Das Grünbuch des Bundeswirtschaftsministeriums ist hierfür ein erster Schritt, denn Energiewende heißt nicht nur „hinzubauen“, findet Jan Dobertin, Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW e. V. (LEE NRW).

Jan DobertinGeschäftsführerLEE NRW

Jan DobertinGeschäftsführerLEE NRW
Jan Dobertin ist Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW e. V. (LEE NRW). (Bild: LEE NRW e. V.)
Jan Dobertin ist Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW e. V. (LEE NRW). (Bild: LEE NRW e. V.)

30.03.2015 – Unser Energiesystem ist im Wandel. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich unsere Energieversorgung an den Geschäftsmodellen einiger weniger fossiler Großkraftwerksbetreiber ausgerichtet hat. Dezentral genutzte Erneuerbare Energien – allen voran Wind- und Sonnenenergie – erobern den Markt und revolutionieren unsere Energieversorgung. Sie ermöglichen es uns, viele Bereiche unseres Lebens und Wirtschaftens moderner, effizienter und klimaschonender zu gestalten. Doch mit zunehmender Verantwortung brauchen die regenerativen Energien einen verlässlichen Rahmen, der ihre natürlichen Gegebenheiten berücksichtigt. Das Grünbuch des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) „Ein Strommarkt für die Energiewende“ ist hierfür ein erster Schritt. Das Diskussionspapier, dem bis zur Sommerpause ein Weißbuch mit konkreten Eckpunkten folgen soll, will auf 72 Seiten die Grundlagen schaffen für das Strommarktdesign von morgen. Viele Ansätze sind richtig. Manche gehen nicht weit genug.    

Flexibilisierung ist Kernelement der Strommarkt-Reform

Erneuerbare Energien übernehmen zunehmend Verantwortung im heutigen Stromsystem. Mit einem Anteil von fast 28 Prozent waren sie im Jahr 2014 erstmals Deutschlands wichtigste Stromquelle noch vor der Braunkohle. Um die Position der Erneuerbaren künftig weiter zu stärken, ist ein Energiemarktdesign notwendig, das sich flexibler auf Wind- und Solarenergie als zentrale Säulen des künftigen Energiesystems einstellt. Hierauf legt das Grünbuch des BMWi einen richtigen und notwendigen Schwerpunkt. Doch was genau bedeutet „Flexibilisierung“?

Ein flexibler Strommarkt sorgt dafür, dass – auch bei schwankender Stromerzeugung – Stromangebot und -nachfrage jederzeit effizient und sicher angeglichen werden können. Hierzu braucht es – neben schnell steuerbaren Erzeugungseinheiten wie regelbaren Erneuerbare-Energien-Anlagen, modernen Blockheiz-und Gaskraftwerken sowie perspektivisch auch Speichern –  eine deutlich stärkere Flexibilisierung der Nachfrageseite.

Letzteres bedeutet für Energiekunden aus Industrie und Gewerbe zum Beispiel, ihren Betrieb gezielter an der aktuell verfügbaren Strommenge im Netz anzupassen. Hierfür gibt es interessante Möglichkeiten: So könnte beispielsweise beim Essener Aluminium-Hersteller Trimet an einem einzigen Produktionsstandort über die Flexibilisierung der Aluminiumelektrolyse ein „virtueller Speicher“ bereitgestellt werden, der fast zehn Prozent der bundesweit verfügbaren Pumpspeicherkapazität entspricht.

Untersuchungen zeigen, dass nicht nur in industriellen Produktionsprozessen, sondern auch im Management von Gebäuden gewaltige technische Potenziale zu flexibleren Verbräuchen schlummern. Für viele Unternehmen sind die Preisunterschiede für Strom zwischen einzelnen Stunden aber noch zu gering, um einen ausreichenden Anreiz für eine Verschiebung von Lasten darzustellen. Das liegt unter anderem am hohen Anteil der Umlagen, Abgaben, Entgelte und Steuern am Strompreis (ca. 75 Prozent). Um die Preissignale im Strommarkt wieder zu stärken, sind die im Grünbuch beschriebenen notwendigen Stellschrauben hin zu einer Flexibilisierung des Strommarktes und stärkeren Teilhabe Erneuerbarer Energien sinnvoll – angefangen von der Optimierung und möglichen Dynamisierung der Netzentgelte und anderer staatlich veranlasster Preisbestandteile über die Verkürzung von Handels- und Lieferintervallen an der Börse bis hin zu neuen Teilnahmemöglichkeiten von Wind- und Solarenergie an Regelenergiemärkten.

Ein deutliches „Nein“ zu umfassenden Kapazitätsmärkten

All diese Stellschrauben zur Flexibilisierung dürfen jedoch nicht durch andere Maßnahmen konterkariert werden, wie dies bei der Einführung umfassender Kapazitätsmärkte für fossile Kraftwerke drohen würde. Obwohl von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel mehrfach abgelehnt, bezieht das Grünbuch zu Kapazitätsmärkten noch keine eindeutige Position. Ein Kapazitätsmarkt belohnt allein schon die Bereitstellung von Kapazitäten am Markt – unabhängig davon, ob die Kraftwerke laufen oder nicht. Allerdings sind die Strommärkte in Deutschland und Europa aktuell von massiven Überkapazitäten geprägt. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl stillgelegter, aber leicht zu reaktivierender Kraftwerke. Hinzu kommt, dass es in Deutschland noch zahlreiche Möglichkeiten gibt, um die im Winter auftretende Jahreshöchstlast zu senken. Neben dem bereits genannten Lastmanagement könnten zum Beispiel alte unflexible Nachtspeicherheizungen durch Wärmepumpen samt Wärmespeichern ersetzt werden. Auch der Einsatz effizienterer Produkte, wie LED-Lampen oder der Abgleich mit saisonal unterschiedlichen Jahreshöchstlasten in anderen europäischen Staaten, bieten die Möglichkeit, den Bedarf an vorzuhaltender gesicherter Kraftwerksleistung zu minimieren. 

Das zeigt: Würden wir in der heutigen Situation einen Kapazitätsmarkt errichten, behindert dieser nicht nur die Flexibilisierung des Strommarktes, indem neue Preisschwankungen tendenziell wieder nivelliert würden. Es besteht zudem die Gefahr hoher Kosten für nicht notwendige, unrentable und CO2-intensive Kraftwerke. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist stattdessen eine von den Übertragungsnetzbetreibern wettbewerblich beschaffte Kapazitätsreserve der geeignete Weg, zu dem sich auch das Grünbuch grundsätzlich bekennt.

Energiewende heißt nicht nur Erneuerbare hinzuzubauen

Neben einem flexibilisierten Gesamtsystem und einer gesicherten Versorgung stellt der Klimaschutz eine dritte zentrale Herausforderung des künftigen Energiemarktdesigns dar. Dazu gehört, dass sich letztendlich auch die externen Kosten für Umweltschäden im Preis fossiler Energieträger angemessen widerspiegeln müssen. Derzeit sind wir weit davon entfernt: Mit einem Zertifikatspreis von weniger als zehn Euro je Tonne CO2 wird im Europäischen Emissionshandel nicht einmal der wissenschaftlich konsensfähige Mindestpreis abgedeckt. Ganz zu schweigen von Bewertungen des Bundesumweltamtes, das die Tonne CO2 mit circa 80 Euro ansetzt. Dementsprechend stellt das BMWi in seinem Grünbuch fest, dass die heutigen Zertifikatspreise nur vergleichsweise geringe Anreize für Investitionen in eine emissionsarme Stromerzeugung bieten und für die Klimaschutz-Ziele der Bundesregierung nicht förderlich sind. Hier braucht es neue Ansätze: Energiewende heißt eben nicht nur, Erneuerbare Energien hinzuzubauen, sondern auch, fossile Kraftwerke sukzessive stillzulegen. Die jüngsten Vorschläge des BMWi zu einer so genannten „Klimaabgabe“ für die ältesten und klimaschädlichsten Kohlekraftwerke weisen hier in die richtige Richtung. Insgesamt wäre aber im Sinne eines umfassenden Ersatzes für den am Boden liegenden europäischen Emissionshandel die Einführung einer europäischen CO2 -Steuer erstrebenswert.

Die Energiewende ist mehr als eine Stromwende

Insgesamt geht das Grünbuch, das sich allein auf das Strommarktdesign von morgen konzentriert, nicht weit genug: Die Energiewende ist mehr als eine Stromwende. So entfallen nur gut 20 Prozent des deutschen Endenergiebedarfs auf den Stromverbrauch. Fast 30 Prozent liegen im Verkehrsbereich und rund die Hälfte (50 Prozent) im Wärmesektor. Stromversorgung muss – auch im Sinne des Klimaschutzes – zusammengedacht werden mit effizienter Wärmenutzung und intelligentem Verkehrsdesign: Überschussstrom kann so zum Beispiel in Wärmepumpen oder Elektro-Autos fließen, Blockheizkraftwerke springen an, wenn der Strom einmal knapp werden sollte. Es gilt, die Grenzen zwischen Strom, Wärme und Mobilität abzubauen, die heute zum Teil noch durch die ungleiche staatliche Besteuerung von fossilen und regenerativen Energieträgern künstlich hochgehalten werden. So wäre beispielsweise der Einsatz von Windstrom zur Wärmeerzeugung in einer Luft-Wärme-Pumpe schon heute konkurrenzfähig mit einer Ölheizung. Die unterschiedliche Belastung mit Umlagen und staatlichen Abgaben verhindert dies jedoch.

Das Weißbuch, das dem Grünbuch im Herbst 2015 folgen soll, muss unbedingt auf diese „vollständige Transformation des Energiesystems“ ausgerichtet sein. Denn nur so kann die Energiewende auch ganzheitlich gelingen.

Jan Dobertin ist Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW e. V. (LEE NRW). Der LEE NRW ist ein politisch unabhängiger Zusammenschluss von Verbänden, Unternehmen und Privatpersonen aus allen Sparten der Erneuerbaren Energien. Er vertritt auf Landesebene die Interessen der Branche gegenüber Politik, Medien und Öffentlichkeit. Mehr Informationen zum LEE NRW finden Sie unter www.lee-nrw.de. Unter dem Namen @JanDobertin twittert der Geschäftsführer des Verbands zu Themen rund um die Erneuerbaren.




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