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Die Meinung
08. Oktober 2018

Hambacher Wald – die Wiederentdeckung einer Bewegung

Selten hat ein Thema Menschen aus Nah und Fern so emotionalisiert, wie der Hambacher Wald. „Hambi bleibt“ ist der Ruf einer binnen weniger Wochen auf hunderttausende Menschen angewachsenen Bewegung geworden. Die Bevölkerung in NRW lehnt zu 79% weitere Rodungen ab. Ein Gewinn für die Demokratie – eine herbe Klatsche für RWE und NRW.

Andreas Büttgen, Vorstand der Initiative Buirer für Buir

Andreas Büttgen, Vorstand der Initiative Buirer für Buir
Foto: © Andreas Büttgen

08.10.2018 – Wie konnte es passieren, dass das Thema Braunkohle, das viele Menschen – wenn überhaupt – nur oberflächlich aus Klimaschutzdiskussionen kannten, auf einmal und quasi über Nacht zum Tagesthema in Medien und politischen Diskussionen aber auch in der S-Bahn, in Kantinen beim Frisör oder in der Kneipe wurde? Und warum ist es unserer Initiative und den vielen anderen Akteuren über viele Jahre eines überaus engagierten Widerstands gegen die fortlaufende Zerstörung von Klima, Natur, Heimat und die Gefährdung unserer Gesundheit durch die Braunkohleverstromung nicht gelungen, diese Aufmerksamkeit viel früher zu erreichen?

Ich bin mir sicher, es gab dieses oft bemühte „Momentum“, wo viele Themen zusammen kamen und bei zahlreichen Menschen eine spontane und deutlich spürbare Reaktion hervorriefen: Unverständnis, Empörung, Zorn und DankbarkeitUnverständnis über weiteren Ausbau der Braunkohle – Empörung über manipulatives, unehrliches Verhalten einer Landesregierung – Zorn über das gewaltsame Vorgehen des Energiekonzerns RWE gegen Mensch und Natur – Dankbarkeit und Wunsch nach Unterstützung für die WaldschützerInnen.

Was war passiert, dass dieses Momentum entstehen konnte? Klar war, dass RWE in diesem Jahr unbedingt 100 Hektar des Hambacher Waldes roden wollte, um den Tagebau Hambach weiterentwickeln zu können. Das hatte RWE unmissverständlich Mitte August dieses Jahres öffentlichkeitswirksam verkündet. Und klar war auch, dass RWE für Ruhe im Wald sorgen wollte – den schon lange schmerzhaft verspürten Stachel der Waldbesetzung ein für alle Mal ziehen und für klare (Macht-)Verhältnisse sorgen. Dazu wurde anscheinend schon sehr früh gemeinsam mit der Landesregierung bzw. einigen Ministerien ausgetüftelt, wie dies funktionieren könne. Denn gegen die Waldbesetzung an sich gab es keine konkreten rechtlichen Möglichkeiten – eEs musste also etwas konstruiert werdens musste also etwas konstruiert werden.

Parallel haben sich Umweltschützer, WaldbewohnerInnen und der gesamte Braunkohle-Widerstand auf die zu erwartenden Auseinandersetzungen akribisch vorbereitet. Die einen durch Gerichtsverfahren und Eilanträge, die anderen durch Vorbereitungen im Wald, die die zu erwartenden Räumungen erschweren sollten und alle zusammen durch Öffentlichkeitsarbeit und intensive Vernetzung.

Im September startete RWE dann mit starker Unterstützung durch den nordrheinwestfälischen Innenminister eine selten dagewesene Eskalationsmaschinerie. Zunächst wurde in immer kürzeren Abständen über Angriffe mit Zwillen und Molotowcocktails auf RWE-Mitarbeiter oder Dienstleister berichtet. Täter wurden nie ermittelt aber durch mediale Unterstützung der regionalen Presse sowie gezielter Anfragen von RWE-nahen Landes- und Bundespolitikern immer stärker der Eindruck eines rechtsfreien Raumes „Hambacher Wald“ in der Öffentlichkeit erzeugt. Dann erfolgte der erste Großeinsatz mit weit über 500 Polizisten, Räumpanzern und WasserwerfernGroßeinsatz mit weit über 500 Polizisten, Räumpanzern und Wasserwerfern, um „waldfremde“ Gegenstände aus dem Wald zu holen. Nach eigenen Angaben war RWE von Komunen und der Verwaltung dazu als Eigentümer des Waldes gebeten worden.

Geborgen wurde ein halb in die Erde eingegrabener Kleinwagen – das Loch dann mit Beton verfüllt. Waldfremd? Die WaldbewohnerInnen nahmen es gelassen. Es kam nicht zu den erwarteten und via Landesregierung prognostizierten Gewaltexzessen. Auch bei weiteren Versuchen, die Menschen im Wald heftig zu reizen – zum Beispiel durch das Abspielen von Kettensägengeräuschen oder dem „Ritt der Walküren“ aus Polizeifahrzeugen während der Nacht, oder durch Teilräumungen des Wiesencamps in unmittelbarer Nähe des Waldes – blieben diese recht gelassen. Zwischendurch präsentierte das Innenministerium bzw. der Polizeiapparat gleich mehrere „Räuberpistolen“.

In einem so genannten Hintergrundgespräch, wenige Tage vor Start der Räumung, präsentierte der Innenminister Journalisten im Wald gefundene Waffen – dummerweise erkannten Journalisten diese aus vorherigen Fällen wieder. Es stellte sich heraus, dass die Asservatenkammer für den Fund herhalten musste. Dann wurde über die Tunnelsysteme im Hambacher Wald berichtet, die die Versorgung der BesetzerInnen mit weiteren Terroristen und Waffen sicherstellen sollten. Der Bezug zu den Vietcongs wurde sogar hergestellt. Das war so abenteuerlich, dass im weiteren Verlauf der Diskussion die kreativ-satirische Verarbeitung dieser Fake News immer mehr Beachtung fand. Fazit:  Es war NRWE nicht gelungen, eine dramatisch verschlechterte Sicherheitslage als Räumungsgrund zu verwenden.

An Absurdität kaum zu überbietenAlso Plan B: Mangelhafter Brandschutz in den Baumhäusern. An Absurdität kaum zu überbieten.

Der Beginn der Räumung dürfte dann vermutlich der Auslöser des „Momentums“ gewesen sein, denn mit brachialer Gewalt gegen Wald und Menschen, mit dem, wie der Innenminister stolz verkündete „größten Polizeiaufgebot Nordrhein Westfalens seit dem 2. Weltkrieg“ wurde die Räumung gestartet. Und anscheinend auch wieder mit dem Ziel, durch Eskalation und Falschinformation die Sicherheitslage zu dramatisieren – was wieder nicht funktionierte. Die Menschen im Wald haben es den Polizisten schwer gemacht. Ja. Aber sie haben nicht die heraufbeschworene Gewalt angewendet. Stattdessen gab es immer mehr Bilder und Filme über völlig überzogener Härte durch einige Polizisten. Immer mehr Berichte über unverhältnismäßige Rodungen oder das Aussperren von Journalisten. Die Stimmung kippte zunehmend. Auch und erst recht nach dem tragischen Unfalltod eines Journalisten.

Bereits ab dem ersten Tag der Räumung zogen Tausende von Menschen spontan auf die Straße. Bundesweite Demos, Solidaritätsbekundungen, Mahnwachen. Auf einmal kamen sonntags zu den Waldspaziergängen nicht mehr 300 oder 500 Menschen. Über 10.000 Menschen aus der Mitte der Gesellschaft standen auf und zogen nach Buir zum Hambacher Wald.

Die Räumung wurde dann schnellstmöglich durchgezogen und irreparable Schäden am Wald durch weitflächige Rodungen vorgenommen. Und es stellt sich für mich die Frage, ob der Wald etwa so zerstört werden sollte, dass das Oberverwaltungsgericht Münster nicht mehr die wesentliche Bedeutung des Waldes aus Arten- und Naturschutzgründen anerkennen könnte?

Wie eine Befreiung war dann der Spruch des OVG Münster zu einem vorläufigen Rodungsstopp, um weitere irrevisible Schäden für den Wald zu vermeiden.

Vor wenigen Tagen haben dann 50.000 Menschen in der größten Klimaschutz-Demo der letzten Jahre diesen wichtigen Etappensieg gefeiert und ein klares Votum für die Rettung von Wald und Klima gegeben. Eine der Kernforderungen der Demonstranten war dabei, dass die Regierenden endlich verantwortungsvoll im Sinne des Pariser Klimaabkommens für die Menschen und die Erde handeln und ihre einseitige Unterstützung für RWE-Kohle aufgeben.

Meine eindrucksvollsten Erlebnisse an diesem Tag waren:

Eine große Anzahl von gut gelaunten Polizisten fielen lautstark in die „Hambi bleibt!“ Rufe mit ein – und kauften grüne „Hambi bleibt!“-Fahnen.

Viel können wir und die vielen anderen Akteure also nicht falsch gemacht haben ...

Unsere Einladung: Kommen Sie zu den Waldspaziergängen, unterstützen Sie den Widerstand in der Region und die Umweltverbände. Und fordern Sie RWE-Stromkunden auf, zu verantwortungsbewussten Anbietern zu wechseln und darüber auch den gesellschaftlichen Wandel zu stärken.

Mit herzlichen Grüßen aus dem Herzen des Rheinischen Reviers,
Andreas Büttgen

Andreas Büttgen ist Vorstand bei der Initiative Buirer für Buir und seit vielen Jahren aktiv für Umwelt-, Natur- und Klimaschutz.




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