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Die Meinung
10. September 2018

Hamburger Fernwärme-Rückkauf: SPD muss nun handeln

In den nächsten Wochen müssen Hamburger Landesregierung und Landesparlament die 100%-Eigentumsübertragung auch für die Fernwärme umsetzen. Die Rekommunalisierung seiner Energienetze hatten die Bürger 2013 per Volksentscheid entschieden. Die SPD muss nun liefern, so wie sie es am 22.9.2013 angekündigt hat. Sie selbst hat für die Verbindlichkeit von Volksentscheiden gesorgt.

Matthias Ederhof, Vorstand der EnergieNetz Hamburg eG und Mitgründer der Hamburger Volksinitiative „Tschüss Kohle“

Matthias Ederhof, Vorstand der EnergieNetz Hamburg eG und Mitgründer der Hamburger Volksinitiative „Tschüss Kohle“
Matthias Ederhof, Vorstand der EnergieNetz Hamburg eG und Mitgründer der Hamburger Volksinitiative „Tschüss Kohle“
Foto: EnergieNetz Hamburg eG

10.09.2018 – Um den Rückkauf noch in letzter Minute zu verhindern ist seit einigen Wochen, wie schon 2013 vor dem Volksentscheid, eine gigantische Medien- und Werbekampagne vom Noch-Mehrheitseigentümer Vattenfall zu beobachten, die kein Klischee ausspart: Eine flächendeckende Plakatierungsoffensive mit einem grün gewordenen Vattenfall-Image. Radiobeiträge im öffentlich-rechtlichen Lokalrundfunk, in dem angeblich verzweifelte Mieter in Sozialwohnungen die von der CDU/FDP-Opposition herbeigeredeten Wärmepreisexplosionen beklagen, ganzseitige Greenwashing-Anzeigen im Lokalblättchen „Hamburger Abendblatt“ und Statements von besorgten SPD-Spitzenpolitikern, die eine unzumutbare Preiserhöhung für ihre Wählerklientel fürchten.

Preiserhöhungen und Preissenkungen haben nichts mit einem Rückkauf zu tun.Dabei hat das eine nichts mit dem anderen zu tun: Preiserhöhungen und Preissenkungen haben nichts mit einem Rückkauf zu tun, sondern mit den Einkaufspreisen für die Primärenergieträger Kohle (Hamburg ist mit einem Anteil von 65 Prozent deutschlandweit negativer Spitzenreiter!), Gas, Müll und mit den zukünftigen Preisen für die notwendigen CO2-Zertifikate sowie der Höhe der Abschreibungen und Kapitalkosten für die Anlageninvestitionen. Zudem hat ein kommunales Fernwärme-Infrastrukturunternehmen einen deutlich größeren Spielraum bei der Frage, wie viel Gewinn erzielt werden muss und ob eventuelle Überschüsse für preisdämpfende Maßnahmen für die Wärmekunden eingesetzt werden. Die Ausübung der 100%-Rückkaufoption gibt der SPD genau diejenigen Hebel und Gestaltungsspielräume, die sie braucht, um eine sozial gerechte Energiepreispolitik in der Hansestadt durchzusetzen. Mit der jetzigen 25,1%-Minderheitsbeteiligung hat sie keinerlei direkten Einfluss auf die Geschäftsausrichtung, weder beim klimapolitischen Umbau noch bei der sozial gerechten Wärmetarifgestaltung noch bei der sozialen Absicherung der Beschäftigten.

Als die CDU-Regierung unter Ole von Beust im Jahr 2003 das Ergebnis des Volksentscheids zur Frage der Privatisierung der damals im kommunalen Besitz befindlichen Landeskrankenhäuser ignorierte und die Einrichtungen samt der wertvollen Grundstücke trotzdem kurze Zeit später verkaufte, erzürnte sich die damalige SPD-Opposition und klagte zu Recht lautstark die Ignorierung des Wählerwillens an. In der Folge sorgte die SPD in Hamburg dann für die verfassungsrechtliche Bindungswirkung von zukünftigen Volksentscheiden. 15 Jahre nach der skandalösen Krankenhaus-Privatisierung durch die Hamburger CDU steht die SPD-Führung in Hamburg vor der Frage: Volksentscheid umsetzen oder der Panikmache von Vattenfall, CDU und FDP nachgeben, die nur ein Argument kennen: Preisexplosion nach Rekommunalisierung.

Der Staat hat andere Ziele als ein ausschließlich an maximaler Rendite interessierter ausländischer Energiekonzern.Das andere Argument in Bezug auf die Höhe des Kaufpreises für die restlichen 74,9 Prozent wurde am 17. Aug. 2018 durch die Vorlage eines Rechtsgutachtens zur Frage der Zulässigkeit des Rückkaufs gemäß Landeshaushaltsordnung hinfällig. Das Gutachten des Beratungsunternehmens Rödl&Partner zeigt eindrucksvoll auf, dass ein höherer Unternehmenskaufpreis aus gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Sicht mehr als gerechtfertigt sein kann, auch wenn der Ertragswert des Unternehmens deutlich niedriger liegt als der Kaufpreis. Insbesondere ist der Senat verpflichtet, eine umfassende Nutzen-Kosten-Analyse zu erstellen, in dem alle gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Effekte beschrieben werden. Der Staat als Eigentümer hat naturgemäß andere Ziele als ein ausschließlich an maximaler Rendite interessierter ausländischer Energiekonzern. Der Staat ist bei seiner wirtschaftlichen Betätigung und seinen finanzwirksamen Entscheidungen neben ökonomischen Interessen stets auch solchen des Gemeinwohls verpflichtet. Er hat dabei einen weiten Ermessensspielraum.

Durch den Erwerb des Fernwärmenetzes erweitert die Freie und Hansestadt Hamburg ihren Handlungsspielraum für absehbare zukünftige energiewirtschaftliche und klimapolitische Herausforderungen und deren Auswirkungen deutlich. So erzeugt das Fernwärmenetz als strategisches Instrument des für eine klimafreundlichere, gesundheitsfördernde und stadtplanerisch effektive Entwicklung nicht nur im Zeitpunkt des unmittelbaren Erwerbs einen unmittelbaren Mehrwert, sondern verbessert die Ausgangssituation der Stadt auch für die Zukunft. Insbesondere die Nutzenpotenziale in den Bereichen Klimaschutz, Stadtentwicklung, Arbeitsplatzsicherung, CO2- Reduzierung und Gesundheitsschutz sind Bestandteile der Daseinsvorsorge und damit originäre Aufgaben des Staates.

Die SPD Hamburg steht vor ihrer wichtigsten Entscheidung in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeit, was die von ihr selbst geforderte und dann eingeführte verfassungsrechtliche Bindungswirkung von Volksentscheiden angeht. Der damalige Fraktionsvorsitzende und heutige Finanzsenator Dr. Andreas Dressel verkündete vor laufenden Fernsehkameras noch am Wahlabend des Volksentscheids am 22.9.2013: „Wir werden den Volksentscheid vollständig umsetzen!“. Hamburgs Bevölkerung und alle bisherigen SPD-Wähler werden bei den demnächst anstehenden Wahlen zu den Bezirksparlamenten und zum Landesparlament sich daran erinnern, ob diesem Versprechen auch Taten gefolgt sind.

Matthias Ederhof ist Vorstand der EnergieNetz Hamburg eG und Mitgründer der Hamburger Volksinitiative „Tschüss Kohle“.




Kommentare

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Gilbert Siegler 10.09.2018, 11:35:53

+185 Gut Antworten

Sehr guter, informativer, argumentativer Text. In der Tat muss die SPD-Führung müssen auch Bürgermeister und Finanzsenator jetzt darüber nachdenken, welches Demokratieverständnis sie pflegen wollen, ob sie sich an Recht und Gesetz halten und die verbindliche Festlegung des Volksentscheids umsetzen oder diese den Profitinteressen von Vattenfall opfern wollen.


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