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Die Meinung
15. Dezember 2014

Nachhaltigkeit im Netz – ist das möglich?

Die Entwicklung des Internets hat den Online-User vom Konsumenten zum Produzenten und Meinungsbildner werden lassen. Kritische Nutzer hinterfragen auch Online-Konzepte. Schließen sich Nachhaltigkeit und Profit im Netz gegenseitig aus? Und wie könnten neue Wirtschaftssysteme entstehen? Ein Denkanstoß.

Dr. Sabine VogelBiologin und Wissenschaftslektorin

Dr. Sabine VogelBiologin und Wissenschaftslektorin
Dr. Sabine Vogel ist Biologin und selbständige Redakteurin. (Bild: © Gülay Keski/ Sabine Vogel)
Dr. Sabine Vogel ist Biologin und selbständige Redakteurin. (Bild: © Gülay Keski/ Sabine Vogel)

15.12.2014 – Die Möglichkeiten einer nachhaltigen Lebensweise haben sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt und diversifiziert: Wir wissen von Veganern, die auf Tierprodukte nicht nur aus Tierschutzgründen verzichten, sondern dies aus weitergehenden ökologischen Gründen tun, um in Zukunft mehr Menschen auf diesem Planeten ernähren zu können. Wir erfahren von Lebensmittelrettern, die im Müll von Lebensmittelläden tauchen, um der massenhaften Verschwendung noch genießbarer Nahrungsmittel etwas entgegenzusetzen. Wir lesen von Upcyclern, welche die in einem ausgedienten Gegenstand gebundenen Ressourcen von Zeit, Material und Energie maximal erhalten, indem sie durch Umformung, Kreativität und handwerklichem Geschick ein neues Produkt von praktischem oder ästhetischem Wert erhalten. So entstehen auf zahlreichen Blogs und Youtube-Tutorials beispielsweise aus uniformen Euro-Paletten schicke und individuelle Möbel oder aus Plastikflaschen phantasievolle Leuchtgebilde oder Hängegärten. Laut Hannes Treichl vom Blog andersdenken.at, einem Blog voller kreativer Upcycling-Ideen, hat jeder alte Gegenstand mindestens 50 andere Verwendungsmöglichkeiten.

Die Beweggründe sind sicher individuell verschieden und die Ausprägungen der Lebensweisen im Detail ebenso. Der gemeinsame Nenner ist leicht zu erkennen: Pro Nachhaltigkeit und contra Verschwendung, ein Anliegen, das stärker denn je öffentlich diskutiert wird. So ist das Thema Nachhaltigkeit längst kein Nischenthema mehr für ein paar Individualisten und Weltenretter, sondern ein Trend-Thema, das die breite Masse beschäftigt. Das geschieht umso schneller und effektiver als dass wir heute weit über unseren Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis hinaus vernetzt sind: das Internet ermöglicht den Kontakt mit Gleichgesinnten, die man im realen Leben, also ohne das Internet, wohl niemals kennengelernt hätte.

Spätestens mit der Entwicklung des Internets von einer reinen Nutzerplattform zu einem „Mitmach“-Internet, dem Social Web oder Web 2.0, dürfte klar geworden sein, dass der User vom Konsumenten zum Produzenten und Meinungsbildner geworden ist. Wie sehr sich diese sogenannten Prosumer im Netz emanzipiert haben, indem sie sich beispielsweise in Gruppen mit ähnlichen Wertevorstellungen zusammenfinden und austauschen und darüberhinaus nicht nur ihre Meinung streuen, sondern tatsächlich in der Lage sind, aktiv mitzugestalten, zeigte sich erst kürzlich im Netz.

Kommerzialisierung der Nachhaltigkeit, ein Ausverkauf der Werte?

„Stilvoll gegen Verschwendung“ lautete einmal die Philosophie dreier junger und idealistischer Unternehmer, die 2009 mit ihrer vielversprechenden Idee, Second Hand Kleidung, Schuhe und Accessoires eine zweite oder gar dritte Verwendung zu geben, eine Online-Plattform gründeten. Dort ließ sich ausschließlich privat kaufen und verkaufen, aber auch tauschen und verschenken. Der Kleiderkreisel war geboren. Finanzieren wollte sich das Unternehmen vor allem aus Werbeeinnahmen und versprach fest und glaubwürdig, auch in Zukunft für die Nutzer kostenlos zu bleiben. Mit diesem Konzept trafen die Macher der Plattform den Nerv der Zeit. Das Besondere war die Flohmarkt-Atmosphäre dieser Online-Plattform, der persönliche Austausch, die Weitergabe eines geliebten Kleidungsstückes, das man gerne in guten Händen wissen wollte.

Ein neues Bezahlsystem, das irgendwann „gegen Ende November 2014“ eingeführt werden sollte und dessen Bedingungen über Wochen nicht klar von Unternehmensseite kommuniziert wurde, hatte zum wesentlichen Inhalt, dass die Leistungen der Plattform für die Verkäufer künftig zahlungspflichtig würden - ganz entgegen dem vorherigen Versprechen – mit dem Ziel von Kostendeckung und Gewinnmaximierung. So wollte man den Vorgaben involvierter Investoren entsprechen. Die Gründer von Kleiderkreisel waren bereits vor Monaten leise aus dem Unternehmen ausgeschieden und damit wohl auch deren ursprüngliche Unternehmensphilosophie.

Das Ziel der Kostendeckung war für viele Mitglieder logisch nachvollziehbar, ein derartiger Wertewandel jedoch nicht. Die stark veränderten Bedingungen würden dazu führen, dass der persönliche Kontakt unter Mitgliedern verloren ginge und gerade der Verkauf sehr günstiger Ware von wenigen Euro sich nicht mehr rentiere, so die Kritik vieler bisheriger Kleiderkreisel-Anhänger. Ab in die Tonne, wäre dann die Devise. Nicht sehr nachhaltig. Zahlreiche konstruktiv-kritische Lösungsvorschläge seitens der Community für einen gesunden Kompromiss zwischen Nachhaltigkeitsgedanken und dem Vorhaben der Kommerzialisierung schlugen leider fehl und viele Mitglieder quittierten den kommerziellen Kurswechsel letztlich konsequent mit der Löschung ihres Accounts.

Ein Zeichen dafür, wie wichtig Ehrlichkeit und Authentizität im Netz sind – wie im wahren Leben auch. Ob sich Nachhaltigkeit und Kommerzialisierung wohl gegenseitig ausschließen? Ich denke: nein. Wären sich Unternehmen und Community auf Augenhöhe begegnet und hätte das Unternehmen die Community als aktiven Teil des Unternehmens wahrgenommen, nämlich als den Teil, der die Inhalte für ein sehr lebendiges Forum zuverlässig beliefert und damit auch immer wieder neue Mitglieder anzog, dann hätte dies durchaus zu einer kostendeckenden Lösung führen können.

Aber wer verzeiht einen solchen Ausverkauf der Werte – ob im realen Leben oder im Netz? Und wer bezahlt für eine Leistung, die er woanders genauso günstig oder sogar noch günstiger bekommt?  Und so wird aus einem herausragenden Unternehmenskonzept nur ein weiterer Online-Shop wie es sie wie Sand am Meer gibt.

Dass unser Wirtschaftssystem derzeit immer noch auf Wachstum ausgerichtet ist, scheint tief verankert. Wer nicht oder zu wenig konsumiert, der schade der Wirtschaft, heißt es scherzhaft. Immerhin basiert unser Wirtschaftssystem auf Wachstum. Nur haben wir nicht bemerkt, dass der Markt, wie er bisher war, Schaden anrichtet und deswegen neue Regeln erfordert. Inwieweit und unter welchen wirtschaftlichen Bedingungen sich Nachhaltigkeit doch kommerzialisieren lässt, bleibt abzuwarten. Ich schließe den gesunden Kompromiss nicht aus, aber möglicherweise erfordert das ein rigoroses wirtschaftliches Umdenken.

Auf dem Sprung in ein neues Wirtschaftssystem?

Dass wir mit dem Social Web ein neues Zeitalter des Miteinanders erleben, indem es in Zukunft nicht mehr den klassischen Kunden und den klassischen Anbieter geben wird, zeigt das Szenario, das der amerikanische Ökonom und Visionär Jeremy Rifkin in seinem neuesten Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus“ für die kommenden Jahrzehnte zeichnet. Er prophezeit dem heutigen Kapitalismus im Jahr 2050 ein Nischendasein und den Beginn einer neuen Wirtschaftsordnung, einer Sharing Economy, in der der maximale Zugang zu Ressourcen die zentrale Grundlage sein wird. Ganz schön revolutionär, diese These. Und kaum zu glauben, wenn man sich vor Augen führt wie Wirtschaft derzeit (noch) funktioniert und wie wichtig Konsum ist.

Umso faszinierender seine These: Der Kapitalismus kannibalisiere sich selbst, denn: Im freien Wettbewerb steigt die Produktion bei gleichzeitig fallenden Preisen, und zwar so lange, bis keine Gewinne mehr erzielt werden können. An diesem Punkte hebele sich der Kapitalismus selbst aus und schaffe Platz für ein neues Wirtschaftssystem, in dem der Prosumer der virtuellen aber auch der realen Welt über das Internet den maximalen Zugang zu Informationen hat, optimal weit über sein persönliches Umfeld vernetzt ist und sich seine Ideen nicht mehr für kommerzielle Ziele von Unternehmen wegnehmen lässt. Warum auch? Unternehmen würden so an Macht verlieren, die Kontrolle durch die Gesellschaft würde zunehmen und Unternehmen würden zu Kunden oder Dienstleistern der Zivilgesellschaft. Und dies gälte für alle Ressourcen: Informationen, aber auch Energie und Logistik.

Für Rifkin ist es vorstellbar, dass sich in Zukunft eine ganz neue Wirtschaftsordnung entwickelt als logische Konsequenz in Zeiten immer knapper werdender Ressourcen und immer neuer Technologien, die Prozesse verschlanken, Produkte immer kostengünstiger herstellen lassen, aber auch Arbeitnehmer überflüssig machen.

Dass ein solcher Wandel hin zu einem gemeinsamen Wirtschaften bereits begonnen hat, lässt sich bei genauerem Hinsehen leicht erkennen: bereits heute bezahlen wir unsere Internet- und Telekommunikation nicht mehr getaktet, unsere Musik nicht mehr CD-weise oder unsere Videos pro Tape und unsere Nachrichten nicht pro Zeitung, sondern wir bezahlen für den Zugang dazu. Der eigentliche Wert liegt dann in den Spuren, welche die Nutzer im Netz hinterlassen, ihre Daten, ihre Kontakte, die Information darüber, wo sie sich gerade aufhalten, aber auch welche Ideen sie haben. Das Schöne daran ist, dass Menschen dies laut Rifkin in Zukunft ganz selbstverständlich und freiwillig tun werden, weil sie durch das Geben und Nehmen von Wissen und auch Eigentum voneinander profitieren werden, sie werden zur Sharing Economy.

Es bleibt alles anders

Mir gefällt diese Vision und, sollte sich Jeremy Rifkins Theorie bewahrheiten, zeigt sie einmal mehr, wie das Leben in allen Aspekten als Kreislauf, nicht als ständiges Wachstum funktioniert. Die Natur macht es vor: eine Phase stetigen Wachstums ist möglich, jedoch begrenzt. Organismen und Systeme unterliegen einem ständigen Wandel und mit Hilfe der Variabilität sorgt die Natur dafür, dass sie auf kommende äußere Veränderungen reagieren kann. Das nennt man Evolution. Und vielleicht wird es in Zukunft darum gehen, dass unser Wirtschaftssystem genauso evolvieren kann in Zeiten immer knapper werdender Ressourcen.

Dr. Sabine Vogel ist Biologin und selbständige Redakteurin sowie Wissenschaftslektorin für niedergelassene Ärzte und Pharma-Unternehmen. In ihrer Freizeit geht sie gerne auf lokale Flohmärkte und versucht ihr Leben Schritt für Schritt immer minimalistischer auszurichten, um so mehr Zeit, Energie und Kreativität für die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu haben. Derzeit bereitet sie einen privaten Blog zum Thema Nachhaltigkeit und Minimalismus vor.




Kommentare

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Thorsten Zoerner 15.12.2014, 23:45:52

+301 Gut Antworten

Beim Thema Strommarktdesign ist von vielen Akteuren leider gerade das Gegenteil des Prosumer-Trendes zu spüren. Weder beim Modell des Grünstrom-Marktes (unter anderem Naturstrom AG) - noch beim Dezentralen Leistungsmarkt (BDEW+VKU) wird der Kunde in den Mittelpunkt gesetzt. Die Vision von Rifkin wird damit leider verhindert. Mit dem http://hybridstrommarkt.de/ gibt es einen alternativen Vorschlag. Lasst uns diskutieren!

heinbloed 16.12.2014, 15:40:10

+290 Gut Antworten

Betr. Stromnetz:

In Australien gehen Versorger und Netzbetreiber mittlerweile davon aus dass sie bzw. ihre momentanen Geschaeftsmodelle ueberfluessig werden.

SA Power Networks geht von noch 5 Jahren aus die zur Anpassung bleiben:

 

http://reneweconomy.com.au/2014/network-operator-sees-no-future-for-generators-retailers-24660


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