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Die Meinung
19. Februar 2018

Natur- und Umweltschutz: Ökodiktatur als Lösung?

Angesichts der Aufgabe der deutschen Klimaziele für 2020, der Abkehr der USA vom Pariser Klimaabkommen und vermehrter Umweltkatastrophen wird die Frage nach der Umsetzung beschlossener Maßnahmen wieder besonders relevant. Und damit auch die Forderungen nach einer autoritären Natur- und Umweltschutzpolitik.

Yannick Passeick, Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN)

Yannick Passeick, Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN)
Yannick Passeick ist Bildungsreferent der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz. (Foto: NaturFreunde Deutschlands)
Yannick Passeick ist Bildungsreferent der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz. (Foto: NaturFreunde Deutschlands)

19.02.2018 – „Wenn es um das Überleben der Völker, ja ganzer Regionen und Kontinente, geht, werden Demokratie und Individualismus keine Rolle mehr spielen. Ja, da sie für das Gemeinwohl direkt schädlich sind, wird man sie abschaffen und verbieten müssen.“ (Wolfgang Venohr 1992 in der „Jungen Freiheit“)

Ende 2015 erklärte nahezu die gesamte Weltgemeinschaft die Notwendigkeit einer Beschränkung der Klimaerwärmung auf unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Seitdem erarbeiten die Staaten mehr oder weniger engagiert Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen und vor allem die CO2-Emissionen zu senken. Doch nicht erst seit der Abkehr der Regierung Donald Trumps von dem Abkommen wird Kritik an zu halbherzigen Anstrengungen laut. Sind internationale Abkommen oder Demokratien an sich überhaupt in der Lage, drastische Veränderungen gegen den Willen der finanzstarken Konzerne durchzusetzen? Bräuchte es nicht in einer solchen entscheidenden Situation eine (globale) Ökodiktatur?

Diese Rufe kommen nicht nur von den üblichen Verdächtigen – den rechtsextremen Kräften, die sich um den Volkskörper und den Erhalt der Kulturlandschaften sorgen, sondern auch aus Reihen der Natur- und Umweltschutzbewegungen.

Bereits in den 1960er-Jahren wurden von amerikanischen Bevölkerungswissenschaftlern Maßnahmen zur Einhegung einer „Bevölkerungsexplosion“ gefordert. Die immer wieder vorgebrachte These war leicht verständlich und sehr eingängig. Sie lautete: Je mehr Menschen auf der Welt leben, desto mehr Ressourcen werden von ihnen verbraucht und desto mehr Schadstoffe werden von ihnen ausgestoßen. Folglich schaden zu viele Menschen dem Planeten. Der Ruf nach einer wie auch immer gearteten politischen Kontrolle des Bevölkerungswachstums wurde in diesem Kontext immer lauter. Auch in beiden deutschen Staaten wurden die Ideen aufgenommen und als Ausweg für die ökologische Krise beispielsweise ein Einwanderungsstopp aus umweltpolitischen Erwägungen vorgeschlagen.

Eine prominente Stimme in der Bundesrepublik war die von Herbert Gruhl. Er war Mitbegründer der GRÜNEN und, nachdem diese ihm zu links wurden, gemeinsam mit dem rechtsextremen Öko-Bauern Baldur Springmann Mitbegründer der ÖDP. Gruhl sympathisierte mit der Idee einer ökologischen Notstandsregierung, die eine rigorose Geburtenkontrolle und Beschränkung von Einwanderung zum Erhalt des Volkes durchsetzen sollte. Diese Gedanken skizzierte er 1975 in dem für die Ökologiebewegung wegweisenden Buch „Ein Planet wird geplündert“:

„Einige europäische Völker, die in der glücklichen Lage sind, dass sich ihre Bevölkerung stabilisiert, haben einen Weg von sagenhafter Dummheit gefunden, diesen Vorteil wieder aus der Hand zu geben: Sie betrachten sich jetzt als Einwanderungsländer für den gesamten Erdball.“

In Bezug auf die Verehrung autoritärer Maßnahmen im sozialistischen Bruderstaat China taten sich auch Intellektuelle in der DDR wie Wolfgang Harich 1975 in seinem Werk „Kommunismus ohne Wachstum“ hervor. Seitdem wurde immer wieder offen die vormalige chinesische Ein-Kind-Politik von Natur- und Umweltschützer_innen bewundert. Die massive Umweltverschmutzung und Naturzerstörung, die aus dem chinesischen Wirtschaftsmodell resultiert, wurde dabei außer Acht gelassen.

Und auch heute halten viele Menschen die liberale Demokratie für nicht geeignet, um die ökologischen Krisen unserer Zeit zu lösen. Die politischen Entscheidungsträger_innen seien zu sehr fokussiert auf den kurzfristigen Wahlerfolg, besäßen zu wenig Handlungswillen und seien mit zu wenigen Gestaltungsspielräumen ausgestattet. Die Realpolitik behandle kein einziges Zukunftsproblem wie zum Beispiel den Klimawandel, die schwindenden Ressourcen oder den wachsenden Wasser- und Nahrungsmangel. Insbesondere junge Menschen sind der Überzeugung, dass Politiker_innen ganz andere Prioritäten haben als Umwelt- und Klimaschutz. Aus der Postwachstumsszene hört man zudem den Vorwurf, dass das bestehende System verzichtsfeindlich und somit seinem Wesen nach umweltzerstörend sei.

Stimmt das denn nicht? Muss nicht endlich mal jemand mit „harter Hand“ durchgreifen um uns alle zu retten?

Ein Blick in die Menschheitsgeschichte sollte eigentlich reichen, um die Folgen einer Machtkonzentration in der Hand eines oder weniger Menschen vor Augen zu führen. Von einem wohlmeinenden und menschenfreundlichen Öko-Diktator (oder einer Diktatorin) auszugehen, erscheint wenig plausibel.

Richtig ist, dass demokratische Prozesse Zeit benötigen. Genauso richtig ist aber auch, dass liberale Rechte nicht eingeschränkt werden dürfen. Umweltschutz und Humanität dürfen keine Gegensatzpaare darstellen. Der Ruf nach einer Ökodiktatur erweist sich als Irrweg.

Die vergleichende Forschung zu Umweltbilanzen in Demokratien und Diktaturen zeigt, dass die Verbindung von freiwilligem zivilgesellschaftlichem Engagement, Kooperation auf internationaler Ebene und rechtsstaatlichen Regelungen effektiver ist als autoritäre Maßnahmen einer allwissenden Führung.

Daher dürfen wir nicht in derartige Rufe einstimmen und demokratiefeindliche und menschenverachtende Forderungen rechtsextremer Gruppierungen oder autoritäre Gedankenspiele in die Mitte der Gesellschaft tragen. Denn ob es nun die Heimatschützer von der extremen Rechten oder die rechtspopulistischen Klimaskeptiker sind: An einer Lösung der ökologischen Krise sind sie nicht interessiert.

Vielmehr sollten wir gemeinsam eine sozial-ökologische Transformation auf allen Ebenen der Gesellschaft vorantreiben. Zentrales Ziel dieses Wandels muss die Verwirklichung von Gerechtigkeit zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden, innerhalb der heutigen und zwischen den heutigen und zukünftigen Generationen sein.

Yannick Passeick ist Bildungsreferent der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN). FARN wurde im Oktober 2017 gemeinsam von den NaturFreunden Deutschlands und der Naturfreundejugend Deutschlands gegründet und wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben! gefördert. Die Fachstelle untersucht die historischen und aktuellen Verknüpfungen des deutschen Natur- und Umweltschutzes mit extrem rechten und völkischen Strömungen. Zudem identifiziert FARN rechtsextreme und menschenverachtende Ideologien und Denkmuster im Natur- und Umweltschutz und erarbeitet menschenbejahende und demokratiefördernde Gegenentwürfe. FARN bietet Information, Beratung und Qualifikation für Akteure des Natur- und Umweltschutzes, der Kinder- und Jugendhilfe sowie für Jugendliche und junge Erwachsene.




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