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Die Meinung
21. Mai 2018

Wie wirksamer Klimaschutz aussehen muss

Trotz verstärkt wahrnehmbarer Klimaschäden besitzen Klimaschutz und Energiewende derzeit eine sehr geringe politische Priorität. Zwar bekennt sich die Bundesregierung mit großer Emphase zum Pariser Klimaabkommen, aber ihre Aktivitäten lassen nicht erkennen, dass man dieses Ziel ernsthaft anstrebt. Dabei sind die notwendigen Maßnahmen längst bekannt.

Dr. Joachim Nitsch, Wissenschaftler und Mitglied im Beirat des Vereins für eine nationale CO2-Abgabe e.V.

Dr. Joachim Nitsch, Wissenschaftler und Mitglied im Beirat des Vereins für eine nationale CO2-Abgabe e.V.
(Foto: © Roland Horn)

21.05.2018 – Seit 2009 stagniert die Reduktion von Treibhausgasen (THG) in Deutschland und die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Fortführung der Energiewende sind anhaltend ungünstig. Ökonomische Anreize für einen klimagerechten Umbau der Energieversorgung sind nach wie vor sehr gering, trotz derzeitiger Preisanstiege werden auf absehbare Zeit niedrige Preise für fossile Energien dominieren. Geringe Börsenstrompreise und sehr niedrige CO2-Zertifikatspreise verschärfen das Problem. Und trotz verstärkt wahrnehmbarer Klimaschäden besitzen Klimaschutz und Energiewende derzeit eine sehr geringe politische Priorität.

Das THG-Reduktionsziel für 2020 von -40% rückt in weite Ferne. In nur drei Jahren müssten dazu weitere 150 Mio. t Treibhausgase vermieden werden. Dies würde eine Vervierfachung der durchschnittlichen jährlichen Minderung zwischen 1990 und 2017 erfordern. Schreibt man die derzeitige unzulängliche Umbaudynamik über einen längeren Zeitraum fort, würde die fossilen Energieträger zur Jahrhundertmitte mit ca. 70 % Anteil das Energiesystem immer noch dominieren, die THG-Minderung in Deutschland läge bestenfalls bei ca. -50%.

Zwar bekennt sich die Bundesregierung mit großer Emphase zu dem Pariser Klimaschutzziel, also zu einer emissionsfreien Energieversorgung bis 2050 („Dekarbonisierung“), aber bereits das im „Klimaschutzplan 2050“ konkretisierte Zwischenziel der THG-Reduktion für 2030 von -55% reicht nicht aus, um diesen Anspruch zu erfüllen. Das kann man leicht nachrechnen, wenn man das für Deutschland noch zulässige CO2-Budget für eine Begrenzung des mittleren globalen Temperaturanstiegs auf 2°C zum Vergleich heranzieht. Aber selbst die Maßnahmen für die Umsetzung dieses – ungenügenden – Reduktionsziels 2030 bleiben bisher vage. Die von der Großen Koalition bisher genannten Aktivitäten lassen nicht erkennen, dass man dieses Ziel ernsthaft anstrebt. Die Einsetzung einer Kommission zum Kohleausstieg, die lediglich eine finanzielle Absicherung der anstehenden Strukturveränderungen in den Braunkohleregionen zum Ziel hat, reicht dazu jedenfalls nicht aus. Völlig ausgeblendet wird außerdem, wie man die bis 2050 notwendige 100%ige Verringerung der THG-Emissionen erreichen kann.

Die notwendigen Strukturveränderungen und Maßnahmen für den Umbau der Energieversorgung im Sinne eines wirksamen Klimaschutzes sind inzwischen gut bekannt und in zahlreichen aktuellen Studien, Stellungnahmen und Empfehlungen niedergelegt. U.a. erfordert eine aussichtsreiche Annäherung an das 2°C-Ziel für 2050 für Deutschland bis 2030 eine Verringerung der THG-Emissionen um -65%.

Das Rückgrat der Energiewende ist und bleibt der Ausbau der Stromerzeugung auf Wind- und Solarbasis. EE-Strom muss nämlich auch die Aufgabe übernehmen, fossile Energien im Wärme- und Verkehrsbereich zu verdrängen (Sektorkopplung). Nur so ist bis 2050 eine emissionsfreie Energieversorgung für alle Sektoren erreichbar. EE-Strom muss dazu in wesentlich größerem Umfang als im Klimaschutzplan 2050 vorgesehen, bereitgestellt werden. In 2030 werden dazu mit rund 500 TWh/a EE-Strom bereits 75% des Bruttostromverbrauchs von EE bereitgestellt. Dazu ist im nächsten Jahrzehnt ein durchschnittlicher jährlicher Leistungszubau an EE-Anlagen von netto 11 GW/a erforderlich. Die zunächst angekündigten und jetzt wieder verworfenen Sonderausschreibungen für Wind und Fotovoltaik wären dazu nur ein erster Schritt gewesen.

Der zentrale Einstieg in diese Strategie ist aber eine erhebliche und Reduktion der Kohlestromerzeugung ist. Eine kurzfristige Halbierung der Braunkohlestromerzeugung, entsprechend einer Stilllegung von 9 GW Leistung, eine zusätzliche 20%ige Reduktion der Steinkohleverstromung bei einem leichten Anstieg der Gasverstromung auf KWK-Basis würden bereits kurzfristig zu einer wesentlich klimaverträglicheren Stromerzeugung führen, die rund 100 Mio. t. CO2/a zur THG-Minderung beitragen könnte. Die Versorgungsicherheit würde dadurch nicht verringert. Und es entstünde gleichzeitig „Platz“ in den Stromnetzen für mehr EE-Strom und Zeitgewinn für den notwendigen Ausbau der Stromnetze.

Im Wärmesektor müssen ebenfalls rasch nennenswerte THG-Reduktionen angestoßen werden. Im Gebäudesektor kann durch die überfällige steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen in die energetische Gebäudemodernisierung und die Ausweitung des EE-Wärmegesetzes auf den Gebäudebestand ein Schub zur Einsparung von fossiler Heizwärme ausgelöst werden. Vor dem Hintergrund niedriger Preise fossiler Energien können im Industriebereich die Ausnahmereglungen bei Energie- und Stromsteuer weitgehend zurückgefahren werden. So entstehen zusätzliche ökonomischen Anreize zu einer rascheren Umstellung auf effizientere Anlagen und Verfahren.

Die Analysen zur zukünftigen Entwicklung des Verkehrssektors zeigen, dass dieser Sektor besonders problematisch ist. Die Fortführung der traditionellen, hinsichtlich Klimaschutz praktisch unwirksamen und teilweise sogar kontraproduktiven Verkehrspolitik ist nicht mit dem Klimaschutzziel vereinbar. Die Möglichkeiten der Minderung von CO2-Emissionen im Verkehr sind aber prinzipiell groß, wenn die technischen Potenziale einer weiteren Effizienzsteigerung, neuer Antriebstechnologien und klimaneutraler Kraftstoffe verknüpft werden mit der Entwicklung klimaverträglicherer Mobilitätskonzepte. Dazu gehört insbesondere ein generelles „Downsizing“ der PKW-Flotte. Dieses kann induziert werden durch Maßnahmen, die das Fahren mit leistungsstarken, großen PKW unattraktiv machen. Dazu gehören eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, Abschaffung von Privilegien für eher große Fahrzeuge, z.B. Dienstwagenbesteuerung; Angleichung Diesel- und Benzinsteuer, Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr in Ballungsräumen (u.a. City Maut; Parkraumverknappung) bei gleichzeitiger Ausweitung von Car-Sharing-Angeboten; und der Ausweitung und Attraktivitätssteigerung des ÖPNV und des Fahrradverkehrs. Unverzichtbar für die notwendige Umstrukturierung des Verkehrs ist insbesondere eine steuerliche Gleichbehandlung aller Kraftstoffe einschließlich der Flugtreibstoffe mit einer zusätzlichen Klimaschutzkomponente. Im Güterverkehr ist eine deutliche Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene unverzichtbar und längst überfällig. Auch die Vollelektrifizierung aller Bahnstrecken (derzeit sind nur 60% elektrifiziert) ist vorrangig vorzunehmen.

Der Hauptgrund für die Stagnation der Energiewende ist aber die völlig unzulängliche Berücksichtigung der Schäden des Klimawandels bei der Preisbildung im Energiemarkt. Die notwendige Beschleunigung der Energiewende, die möglichst viele Akteure zu klimafreundlichen Investitionen anreizt, ihnen eine angemessene wirtschaftliche Rendite bietet und gleichzeitig marktwirtschaftlich effektiv abläuft, ist unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht möglich. Wegen relativ niedriger Energiepreise unterbleiben Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und zur Umstrukturierung der Verbrauchssektoren weitgehend. Der Emissionshandel ist weitgehend wirkungslos. Förderinstrumente wie das EEG verlieren trotz wachsender Komplexität an Wirkung. Die Energiewende braucht daher einen „anderen“ Markt, der die (externen) Kosten der fossilen Energieversorgung in wirksame Preissignale umsetzt. Das zweckmäßigste Instrument dafür ist die ausnahmslose CO2-Bepreisung aller fossilen Energieträger gemäß ihrem Treibhausgaspotenzial.

Eine angemessene CO2-Abgabe mit einem Einstiegsniveau von 30-40 €/t CO2 würde die Lenkungswirkung hinsichtlich einer Verringerung fossiler Energieträger beträchtlich erhöhen. Sie kann darüber hinaus gleichwertig die Zwecke der derzeitigen Steuern und Umlagen erfüllen; u.a. ermöglicht sie die Finanzierung der EEG- und der KWK-Umlage, solange diese noch erforderlich sind. Da sich Strom für die Mehrzahl der Endverbraucher deutlich verbilligt, fossile Brenn- und Kraftstoffe sich verteuern, wird mit ihr in marktwirtschaftlich effektiver Weise die erforderliche Sektorkopplung, d.h. das Vordringen von EE-Strom im Wärme- und im Verkehrssektor, angestoßen und kann zukünftig gezielt durch eine stetige Anpassung des CO2-Preises aufrechterhalten werden. Damit verfügt man über ein marktkonformes und transparentes Steuerungsinstrument, welches die notwendige Flexibilität und Schnelligkeit bei der permanent notwendigen Anpassung des Transformationsprozesses im Energiebereich bis zur völligen „Dekarbonisierung“ um die Jahrhundertmitte gewährleisten kann. Das derzeitige komplexe, unübersichtliche, teilweise widersprüchliche und mit zahlreichen Ausnahmeregelungen behaftete Förderinstrumentariums kann gezielt zurückgebaut und mittelfristig eingestellt werden. Eine umfassende CO2-Abgabe ist die marktwirtschaftlich korrekte und die effizienteste Antwort auf die Klimaschutzforderung von Paris 2015, die weltweite Energieversorgung bis zur Jahrhundertmitte zu „dekarbonisieren“.

Dr. Joachim Nitsch war lange Jahre Abteilungsleiter am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart und sitzt seit 2017 im Beirat des Vereins für eine nationale CO2-Abgabe.




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