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Nachgefragt
07. September 2022

"Börsenvermarktung von Ökostrom muss weg!"

Die hohen Energiepreise sind auch den geltenden Marktregeln geschuldet, die es zu ändern gilt. Den Strompreis vom Gaspreis entkoppeln, verschiedene Märkte für teure fossile und preiswerte Erneuerbare Energien schaffen und Energy Sharing unter Nachbarn ermöglichen sind konkrete Vorschläge.

Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group und ehemaliger Bundestagsabgeordneter Bündnis 90/Die Grünen

Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group und ehemaliger Bundestagsabgeordneter Bündnis 90/Die Grünen
Foto: Hans-Josef Fell

Herr Fell, als Sie vor über 22 Jahren das EEG, das Erneuerbare-Energien-Gesetz miterfanden: Haben Sie und Ihre drei Bundestags-Kolleg:innen damals geglaubt, dass Solar- oder Windstrom einmal so günstig werden würden wie aktuell? Die letzten Ausschreibungen erbrachten ja garantierte Stromerlöse für die Betreiber von teilweise unter fünf Cent pro Kilowattstunde.

Ja, es war unser Ziel, den Strom aus Erneuerbaren Energien zum günstigsten zu machen im Vergleich zu Atom-, Kohle-, Erdgasstrom. Das war unsere klare Strategie. Wir wussten ja: Im Unterschied zu den Fossilenergien sind Solar-, Wind-, Wasserkraft, Geothermie frei von Rohstoffkosten. Und heute ist eine verlässliche Versorgung mit Erneuerbare Energien selbst mit Speichern die günstigste Art der Stromerzeugung. Das ist doch phänomenal.

War bei der Entwicklung des EEG im Blick, dass es irgendwann zu einer Vermarktung von Grünstrom über die Börse kommen würde?

Nein, die Vermarktung über Grünstromunternehmen war das klare Ziel. Es gibt ja seit Längerem einige eindeutig zertifizierte Unternehmen, die Ökostrom direkt an ihre Kunden verkaufen.  Aber an der Börse sollte Grünstrom nicht vermarktet werden. Im Gegenteil! Die Idee hinter der EEG-Umlage war: Wer für die Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien bezahlt, soll auch Ökostrom bekommen. Dieses Grundprinzip hatten wir im Jahre 2000 verwirklicht. Wenn das immer noch gülte, bekäme jeder heute ganz offiziell 50 Prozent kostengünstigen Grünstrom geliefert.

Die Börsenstrompreise gehen seit Mitte 2021 stark nach oben und aktuell durch die Decke. Warum kam es aus Ihrer Sicht zu dieser aktuellen Preisspirale?

Es sind viele Gründe. Ein wichtiger ist: Sigmar Gabriel, damals Bundes-Umweltminister der SPD hat 2009 das ursprüngliche EEG-Prinzip mit einer Änderung der Berechnung der EEG-Umlage abgeschafft. Ich konnte es damals aus der Opposition heraus nicht verhindern. In den Jahren danach hat es erhebliche Verwerfungen gegeben. Vor allem stieg dadurch die EEG-Umlage massiv an, obwohl die EE-Erzeugerpreise sanken. Und heute? Da bestimmt das teuerste Kraftwerk bei der Börsenvermarktung den Strompreis. Und der ist wegen der gestiegenen Erdgaspreise sehr teuer. Eine widersinnige Konstruktion! Denn dadurch erzielen nicht nur Ökostromproduzenten, sondern vor allem aber Betreiber von Kohle- oder Atomkraftwerken überdimensionierte Gewinne. Dieses Marktdesign muss abgeschafft werden, die Gewinne müssen wir abschöpfen. Es muss immer wieder klar gesagt werden: Nicht der Ökostrom ist zu teuer, sondern dieser Merit-Order-Mechanismus ist falsch.

Also ist nur die aktuelle Börsenvermarktung schuld an der Preisentwicklung?

Nein, nicht alleine. Ein zentraler Grund ist die Verknappung der weltweiten Energierohstoffe, vor allem von Erdgas, Erdöl, aber auch Kohle und Uran. Obendrauf kam noch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Deshalb stoßen unsere Regierenden überall, wo sie hinfahren, an ihre Grenzen. Denn es gibt als Ersatz für die russischen Energielieferungen diese notwendigen fossilen Energiemengen einfach nicht. Außer von der Sonne: Die strahlt 10.000mal mehr Energie auf die Erde, als wir verbrauchen. Und dann gibt es auch noch viele technische Probleme, zum Beispiel bei den Atomkraftwerken in Frankreich. Viele sind marode oder haben Kühlwassermangel. Das trifft übrigens auch auf Kohlekraftwerke zu, die außerdem für die Klimaveränderung sorgen. Und weil wegen klimabedingt niedriger Pegel auch Kohle- und Öltransport auf den Flüssen kaum mehr möglich ist, schaffen die Fossilen auch noch zusätzliche hohe Preise ins Haus.

Das klingt nicht gut für die nächste Zeit.

Nein, denn eigentlich müssten auch alle AKW in der Ukraine wegen des Krieges sofort abgeschaltet werden, um der Gefahr einer radioaktiven Verseuchung zu entgehen. Eine gewisse Entlastung beim Strompreis könnte die zurzeit von vielen geforderte Entkopplung des Strom- vom Gaspreis bringen, weil der Preis von Strom aus Gaskraftwerken wegen der hohen Erdgaskosten dank Merit Order-Effekt den Börsenstrompreis bestimmt.

Wie könnte dann eine echte Lösung des Problems aussehen?

Wir brauchen zwei Märkte: Einen schnellwachsenden für die Erneuerbaren Energien, Grünstromentstehung muss massiv befördert werden. Und es braucht einen Extra-Markt für die Altenergien. Weil der so teuer wird, werden die Kunden dort schnell verschwinden. Die momentane Vermischung der Erneuerbaren mit den fossilen Energien ist das entscheidende Problem. Das Beispiel Naturstrom AG zeigt, es geht auch anders: Die erzeugt schon ein Drittel eigenen Ökostrom. Aber günstigen Ökostrom kann auch jeder selber produzieren, im Unternehmen, auf dem Haus, gemeinschaftlich im Quartier. Man muss nicht auf Angebote warten.

Sie empfehlen also Wind- oder Solarkraftwerksbetreibern, ihren Ökostrom anders zu vermarkten als über die Börse?

Ja. Denn Ökostrom hat einen anderen Charakter als konventionell erzeugter. Die Konzerne haben die Gewinnmaximierung als Ziel, wollen also über die Börse gehen. Kleinere Wind- oder Solarstrom-Erzeuger können zunächst ihren Strom selbst nutzen, sich selber Kunden suchen, zum Beispiel über so genannte PPA-Verträge direkt an Stadt- oder Gemeindewerke verkaufen. Das muss ausgeweitet werden, damit der kostengünstige Ökostrom an die Verbraucher herankommt.

Dabei lecken sich gerade Betreiber ausgeförderter Solarstromanlagen die Finger: Gut zwei Cent pro kWh wurde ihnen für den Weiterbetrieb nach dem 20-Jahre-Fördersystem versprochen, für 2022 dürften es als durchschnittlicher Börsenstrompreis wohl fast 20 Cent werden. Was halten Sie davon?

Entscheidend ist, dass Hausbesitzer mit eigener Anlage die Eigenstromnutzung massiv erhöhen. Wenn sie 60 bis 80 Prozent Eigenstrom nutzen, ist viel gewonnen. Stellen Sie die Heizung auf Wärmepumpe um, laden Sie das Elektroauto daheim. Richtig ist zwar auch: Fachunternehmen kommen zurzeit nicht nach mit den Installationen. Aber seit 20 Jahren hätten viele etwas machen können, das darf auch nicht vergessen werden.

Aber mehr Eigenstrom im Einfamilienhaus kann doch nicht die einzige Lösung sein.

Nein, es sind auch gesetzliche Änderungen notwendig. Energy Sharing unter Nachbarn muss erlaubt werden. Warum nicht das Dach des Nachbarn mitnutzen, wenn das eigene verschattet ist? Die EU-Richtlinie fordert das – Deutschland hat es immer noch nicht umgesetzt. Über etwas anderes wird schon lange geredet: Die sauberen Stromproduzenten müsste man entlasten, die dreckigen fossilen und atomaren aber belasten. Würde man den Ökostrom von der Stromsteuer befreien, hätten wir auf einen Schlag eine zusätzliche Entlastung und Lenkungswirkung für den Klimaschutz. Doch dieses Grundprinzip, also Sauberes entlasten und Schmutziges belasten, ist immer noch nicht angekommen bei der Regierung. So soll Stand heute die neue Gasumlage auch auf Biogas erhoben werden.

Apropos Gesetzgeber: Ihre Grüne Partei ist im Bundestag eine von drei Koalitionärinnen, also an der Macht. Was erwarten Sie von der Regierung? Selbst das EEG ist ja inzwischen ein Moloch. Sehen Sie da dringenden Handlungsbedarf?

Ja, diese überbordende Bürokratie, die Umstellung auf Ausschreibung bei größeren Anlagen, die Nichtumsetzung des von der EU geforderten Energy Sharing: Da müssen meine Grünen stärker hinschauen. Und Energieminister Robert Habeck sollte nicht in der Welt rumfliegen und nach LNG (Flüssiggas) suchen, sondern nach Bayern fahren und Ministerpräsident Söder den Kopf waschen, vor allem bei der Windkraft. Denn die viel genannten Energieprobleme Bayerns sind doch das Ergebnis einer verfehlten Energiepolitik von Seehofer und Söder. Aber auch in den anderen Bundesländern muss die Regierung endlich aktiv werden.

Das EEG-Konto bei der Bundesnetzagentur hat sich immer weiter gefüllt. Weil die Stromnetzbetreiber zum EEG-Preis gekauften Strom über die Börse vermarktet haben, lag der Kontostand Ende Juli bei knapp 17 Mrd. Euro.Kann man das Geld nicht einfach zur Entlastung der Endverbraucher verwenden? Immerhin haben die und nicht die Großverbraucher ja die EEG-Umlage bis jetzt bezahlt.

Das Beispiel zeigt wieder, wie falsch die Konstruktion der Vermarktung über die Börse ist. Das Fehlkonstrukt muss verändert werden. Genauso war der Wechsel der EEG-Umlage in die Steuerfinanzierung ein krasser Fehler. Denn eigentlich wäre die EEG-Umlage ohnehin langsam abgeschmolzen. Jetzt hat die EU die Hoheit übers EEG, weil es nun eine Subvention ist. Positiv aber ist, dass inzwischen die EU selbst etwas ändern will am Prinzip Merit Order.

Ich habe gehört, es gibt von den drei noch lebenden EEG-Eltern einen Appell an die Ökostromproduzenten: Die sollen durch das EEG erzielte Kostenvorteile an die Verbraucher weitergeben.

Ja, wir appellieren an die Ökostrombranche, auf überzogene Gewinne zu verzichten, um die sozialen Probleme durch überhöhte Strompreise zu verhindern. Ich fürchte, AfD und die Linke werden bald auf die Straße gehen und behaupten, der Ökostrom ist schuld. Deshalb sollten gerade größere Gemeinschaftsanlagen, solare oder Windkraft, jetzt nicht einfach die großen Gewinne mitnehmen von der Börse, sondern die billigen Erzeugungskosten der Erneuerbaren an viele Kunden weitergeben. Die Firma Westfalenwind zum Beispiel macht das vor: sie stellt ihren Anlegern und Bürger:innen in der Gegend billigen Ökostrom zur Verfügung. Wenn die Menschen sehen, wie günstig der Ökostrom ist, dann fallen sie nicht mehr auf die Fake News der Rechten rein. Ich möchte aber klarstellen: Die Gewinne bei den konventionellen Anbietern sind noch weitaus höher als die der Erneuerbaren. Die Altenergiekonzerne müssten erst recht helfen.

Sie sprachen den Appell an die Betreiber an: Wie waren die Reaktionen bisher?

Leider gab es bisher kaum welche. Die erste positive stammt von einem Windkraftbetreiber aus Franken. Fakt ist: Die möglichen Vermarktungs-Modelle zur Entlastung der Stromkunden müssen bekannter gemacht werden. Das ist auch Aufgabe der Medien.

Letzte Frage: Was sagen Sie Menschen oder Unternehmen, die jetzt auf die teuren Strompreise schimpfen und den Erneuerbaren dafür die Schuld geben?

Dass das einfach falsch ist! Meine Grundthese ist schon seit jeher: Man soll mit Klimaschutz Geld verdienen und nicht mit Klimazerstörung. Deshalb empfehle ich zum Beispiel Dorfgemeinschaften: Erzeugt euren Strom und die Wärme erneuerbar selbst, statt dies von Konzernen teuer zu kaufen. So könnt Ihr euch aus der teuren Abhängigkeit von Energiekonzernen befreien. Denn Erneuerbare Energien sind ja der Billigmacher, liefern heute den billigsten Strom. Doch es braucht eben auch die beschriebenen gesetzlichen Änderungen, damit dieser Preis auch bei den Menschen ankommt. Und weil viele dieses Prinzip nicht verstanden haben, gehen sie Fake-News-Produzenten auf den Leim.

Das Gespräch führte Heinz Wraneschitz.


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