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Nachgefragt
24. März 2021

„Das ist mit dem aktuellen Ausbautempo nicht zu schaffen“

Auch nach der neuesten EEG-Novelle muss der Ausbau Erneuerbarer Energien erheblich beschleunigt werden, mahnt Simone Peter, sonst droht eine gewaltige Ökostromlücke. Doch noch bremst die Bundesregierung Energiewende und deren Treiber: die Bürger.

Dr. Simone Peter, Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) e.V.

Dr. Simone Peter, Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) e.V.
Simone Peter in der Halbtotalen
Foto: © BEE

Nach aktuellem Stand steuert Deutschland bis 2030 auf eine riesige Ökostromlücke zu, warum?

Die Bundesregierung unterschätzt den Bruttostrombedarf für 2030 massiv. Die politisch Verantwortlichen gehen bislang sogar von einem sinkenden Strombedarf aus, dank gesteigerter Energieeffizienzen. Doch auch bei steigender Energieeffizienz wird der Strombedarf sich perspektivisch weiter erhöhen. Vor allem die angestrebte Elektrifizierung von Verkehr und Wärme im Zuge der Sektorenkopplung und größere Mengen grünen Wasserstoffs sorgen unseren Berechnungen nach für einen zusätzlichen Bedarf von etwa 150 Terrawattstunden (TWh) Strom. Wir gehen von einem Bruttostrombedarf von mindestens 740 TWh im Jahr 2030 aus. 65 Prozent des Stroms sollen dann aus Erneuerbaren Energien stammen. Das ist mit dem aktuellen Ausbautempo nicht zu schaffen. Wir steuern vielmehr auf eine Ökostromlücke von 100 TWh zu. Und es kommt hinzu, dass wir angesichts der Anpassung an ein neues EU-Klimaziel eher 80 Prozent Erneuerbare im Stromsektor als Ziel setzen müssen.

Wie weit liegen wir zurück?

Zwar kommt die Photovoltaik langsam wieder in Schwung, aber ein Zubau von 4,8 GW, wie im vergangenen Jahr, reicht nicht aus. Bei dem bisherigen EU-Klimaziel bräuchten wir einen Zubau von 10 Gigawatt PV-Leistung pro Jahr, mit dem neuen Klimaziel nochmals deutlich mehr. Windenergie-Onshore ist noch weit von der notwendigen Zubaurate von 5 GW pro Jahr entfernt. Hätte man den Ausbau von Photovoltaik, aber auch der Windenergie in den letzten Jahren verstetigt, könnten wir heute bereits bei durchschnittlich 70 Prozent Ökostrom statt 46 Prozent im Netz sein. Die Politik machte es der Erneuerbaren Branche in den vergangenen Jahren schwer, ihr Potenzial auszuschöpfen. Vor allem die Bürgerenergie hatte zu leiden.

Dabei waren und sind Bürger die Treiber der Energiewende.

Ja genau. Immer noch sind rund 40 % der Ökostromanlagen in Bürgerhand. Aber das waren auch schon mal mehr. Die Ausschreibungsverfahren sorgten nach der letzten Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2017 für eine Schwächung der Bürgerenergie. Zusätzlich wurden die langwierigen Genehmigungen und fehlende Flächen bei der Windkraft zunehmend zu einem Hindernis. Mit der neuesten Novelle des EEG-2021 wurde die „Sonnensteuer“ für kleine Anlagen zwar abgeschafft, aber nach der EU-Erneuerbaren-Richtlinie müssten wir viel mehr für Bürgerbeteiligung tun.

Nun soll die neueste Novelle des EEG noch einmal überarbeitet werden.

Ja, das wurde ja auch im Entschließungsantrag der großen Koalition so festgehalten. Die Ausschreibungsmengen müssen den neuen EU-Klimazielen und einem realistischen Strombedarf angepasst werden. Inzwischen hat auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier eingestanden, dass die Entwicklung des Strombedarfs mit der Sektorenkopplung steigt. Am drängendsten ist aber, dass das neue EEG von der Kommission bald eine beihilferechtliche Genehmigung erhält, denn es fällt jetzt leider unter die Beihilfeleitlinien. Die Bundesnetzagentur kann die aktuellen Ausschreibungsergebnisse deswegen noch nicht veröffentlichen. Das führt zu Rechtsunsicherheit bei den Projektierern, die zeitnah zu beheben sind.

Ausbauziele sind schön und gut, aber es braucht auch konkrete Maßnahmen, um den Ausbau Erneuerbarer Energien voranzutreiben.

Das stimmt, wobei man aber nicht unterschätzen sollte, wie stark man Ambitionen senkt und Investitionen bremst, wenn man Ausbaupfade deckelt. Aber klar ist auch, Bund und Länder müssen sich auf einen Anteil von zwei Prozent Fläche für Windenergie verständigen, administrative Hürden für alle Erneuerbare Energien weiter abgebaut sowie Genehmigungen schneller erteilt werden. Auch sind beim Naturschutz Standardisierungen vorzunehmen, um Rechts- und Investitionssicherheit zu schaffen. Und der Bundeswirtschaftsminister hat schon vor anderthalb Jahren beim „Runden Tisch Windenergie“ Verbesserungen, u.a. beim Repowering, versprochen. Passiert ist bislang zu wenig.

Und bei der Solarenergie?

Eine Verdoppelung bis Verdreifachung des jährlichen PV-Ausbautempos ist erforderlich, um eine Stromerzeugungslücke zu verhindern. Vom EEG 2021 profitieren zwar kleinere Anlagenbetreiber und Investoren größerer Solarparks, aber es verschlechtert die Investitionsbedingungen für gewerbliche Solardachbetreiber teils erheblich. Dabei müssen wir die Dächer vollpacken. Es ist zum Beispiel Unsinn, dass man ab einer Anlage mit 300 Kilowatt Leistung an einer Ausschreibung teilnimmt oder alternativ nur noch eine Marktprämie von 50 Prozent des erzeugten Stroms erhält. Das sind künstliche Marktbremsen. Hier muss das EEG nochmal angepackt werden.

Nun steht in diesem Jahr die Bundestagswahl an. Was erhoffen Sie sich von einer neuen Regierung?

Ich erhoffe mir neuen Schwung für die Energiewende, auch aufgrund internationaler Entwicklungen. Die Ankündigungen des neuen US-Präsidenten Joe Biden lassen aufhorchen. Er wirbt für eine Joboffensive durch Erneuerbare Technologien, will den Regierungsfuhrpark auf Elektromobilität umstellen und ist innerhalb weniger Wochen die Stimme für den Klimaschutz geworden. Das hören wir seit vielen Jahren nicht mehr aus Deutschland, einem Land, das mal Energiewendevorreiter war. Verhandlungen innerhalb der Großen Koalition enden fast immer beim kleinsten gemeinsamen Nenner. Immer noch werden die Kosten der Erneuerbaren Energien problematisiert, obwohl sie längst wettbewerbsfähig sind. Statt die EEG-Umlage abzuschaffen und das EEG damit zu gefährden, müsste die eigentliche Ursache – ein auf Großkraftwerken ausgelegter Strommarkt – endlich auf neue Füße gestellt werden. Erneuerbare Energien können in allen Sektoren Konjunkturmotor sein und so Ökologie und Ökonomie erfolgreich verbinden. Und beim Biogas geht es um die Umsetzung der Anschlussregelung für Gülleanlagen und die Korrektur des Fehlers beim Flexzuschlag.

Wollen Sie eine Prognose abgeben, welche Regierungskonstellation es wird?

Das ist schwer zu sagen. Es ist gerade viel in Bewegung. Die Union muss klären: Will sie den Weg für eine lebenswerte Zukunft ebnen oder an fossilen Strukturen festhalten? Das gilt vor allem für den neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, der viele Entscheidungen pro Kohle und gegen die Erneuerbaren in seinem Bundesland getroffen hat, wie jüngst gegen die Windkraft. Die SPD wird sich besinnen müssen, ob sie nicht vielleicht doch voll auf den Kurs von Hermann Scheer einschwenkt, der das EEG vor über 20 Jahren mitgezimmert und damit die Basis für eine bürgernahe Energieversorgung geschaffen hat. Ich denke, gerade die letzten Ergebnisse für die Grünen zeigen, dass Klimaschutz das Megathema der nächsten Jahre ist. Die Pandemie macht doch gerade deutlich, wie wichtig es ist, auf Wissenschaft zu hören, um Krisen einzuhegen. Deswegen glaube ich, dass die Parteien, die Klimaschutz in den Fokus stellen, am Ende des Jahres gut abschneiden werden.  

Das Interview führte Manuel Först


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