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Nachgefragt
29. Januar 2018

Das Konzept der Bergsteigerdörfer ist eine Chance

Die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA setzt sich seit mehreren Jahrzehnten für Klimaschutz in den Alpen ein. Wir haben mit dem Geschäftsführer der CIPRA Österreich Josef Essl über die Auswirkungen des Klimawandels, die Zukunft der Skigebiete und alternative Wintersportkonzepte gesprochen.

Josef Essl ist nicht nur Geschäftsführer der CIPRA Österreich, sondern ebenfalls Leiter des Alpenkonventionsbüros. Auf den Pisten ist er schon lange nicht mehr unterwegs – aus Überzeugung ist Josef Essl ein reiner Skitourengeher. (Foto: © W. Gutmann)
Josef Essl ist nicht nur Geschäftsführer der CIPRA Österreich, sondern ebenfalls Leiter des Alpenkonventionsbüros. Auf den Pisten ist er schon lange nicht mehr unterwegs – aus Überzeugung ist Josef Essl ein reiner Skitourengeher. (Foto: © W. Gutmann)

29.01.2018 – Die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA ist eine nichtstaatliche Dachorganisation mit über 100 Mitgliedern im gesamten Alpenraum. Josef Essl ist nicht nur der Geschäftsführer der CIPRA Österreich, sondern ebenfalls Leiter des Alpenkonventionsbüros. Dieses unterstützt die Umsetzung der Alpenkonventionen in Österreich und fördert dadurch den umfassenden Alpenschutz und eine nachhaltige Alpenentwicklung.

Herr Essl, weltweit werden die Auswirkungen des Klimawandels viel diskutiert. Nehmen Sie im Alpenraum bereits Veränderungen wahr?

Das Thema ist absolut aktuell und praktisch überall in den Medien sehr präsent. Fakt ist: Wir erleben zurzeit starke Veränderungen der Umwelt. Wenn man wie ich mitten in den Alpen wohnt und zu allen Jahreszeiten viel in den Bergen unterwegs ist, kann man dies nicht mehr übersehen. Für mich ist jedoch vor allem die Geschwindigkeit der Veränderungen dramatisch. Naturereignisse wie den riesigen Bergsturz in Graubünden in der Schweiz hat es natürlich immer schon gegeben. So etwas muss nicht unbedingt vom Klimawandel hervorgerufen werden. Aber die letzten Bergstürze in den Alpen hängen ja direkt mit den Problemen des Permafrosts zusammen. Früher war der Untergrund in gewissen Höhen einfach immer gefroren – auch im Sommer. Heutzutage verändern sich die Permafrostböden und tauen auf, wodurch ganze Bergpartien instabil werden. Da liegt natürlich die Vermutung nahe, dass die Klimaerwärmung einen maßgeblichen Einfluss hat.

Beeinflusst die Klimaerwärmung denn grundsätzlich die Temperaturen in den Alpen?

Man darf die globale Klimaentwicklung nicht unbedingt mit der Entwicklung in den Alpen in Zusammenhang bringen. Eine gewisse Abhängigkeit gibt es natürlich, keine Frage. Jedoch ist das Klima hier noch einmal viel spezieller und hat auch auf andere Bereiche in Europa einen großen Einfluss. So schreitet die Temperaturentwicklung in den Alpen wesentlich schneller und auf einem höheren Niveau voran, als außerhalb der Alpen. Wir haben hier eine ganz eigene Situation. Die Alpen bieten so gesehen ein eigenes Laboratorium – mit eigenen Erkenntnissen, auch für viele andere Regionen. Jedoch ist es auch ein Fakt, dass die Erwärmung in den Alpen massiv höher sein wird, als überall sonst in Europa. Im globalen Kontext reden wir über 1,5 Grad, jedoch kann die Erwärmung hier in den Alpen im schlimmsten Fall bis zum Ende des Jahrhunderts laut Wissenschaftlern sechs bis sieben Grad erreichen. Die Auswirkungen wären natürlich katastrophal, das kann sich jeder vorstellen.

Von derartigen Temperaturveränderungen wären die Gletscher besonders stark betroffen. Gehen Sie davon aus, dass die Gletscher in den Alpen irgendwann komplett verschwinden werden?

Nein, dass die Gletscher komplett verschwinden, glaube ich nicht. Es gibt schließlich sehr große und mächtige Gletscher in den Westalpen. Aber ich gehe davon aus, dass sich das Eis irgendwann nur noch in den wirklich hohen Lagen behaupten kann. So werden sich die Ostalpengletscher wahrscheinlich sehr weit zurückziehen, bis nur noch kleine Firnfelder zurückbleiben. Hier fehlt es einfach an einer entsprechenden Mächtigkeit. Die Gletscher ziehen sich nämlich nicht nur in ihrer Länge zurück, sondern büßen auch extrem in ihrer Dicke ein. Im Sommer verliert so ein Gletscher in den Alpen dann schon einmal drei bis vier Meter an Mächtigkeit. Dadurch wird natürlich auch der Halt der Berge gefährdet, was zu den bereits genannten Bergstürzen führen kann. Wir werden mit Sicherheit auch noch erleben, wie viele große Gletscher deutlich zusammenschrumpfen, weil über das gesamte Jahr betrachtet der Niederschlag in Form von Schnee fehlt. Dies hat zur Folge, dass die Gletscher mittlerweile schon sehr früh im Jahr den Schnee als schützende Hülle verlieren und vor allem im Sommer der lebenswichtige Sommerniederschlag in Form von Schnee fehlt. Das führt dann im Sommer zu massiven Eisverlusten.

Hat neben dem Klimawandel auch der Tourismus einen negativen Einfluss auf die Alpenregion?

Auf jeden Fall. Ich kann mich noch gut erinnern, wie die Thematik der Schneekanonen damals überhaupt ins Rollen gekommen ist. Da hat man noch grundsätzlich darüber diskutiert, ob eine künstliche Beschneiung vorgenommen werden sollte. Dann einigte man sich schließlich darauf, dass Schneekanonen an einzelnen neuralgischen Punkten zum Einsatz kommen dürfen. Also dort, wo der Schnee schnell abgeschabt wird oder Buckel und Kanten vorhanden sind. Doch die Spirale drehte sich plötzlich weiter und man begann die Beschneiung großflächig auszuweiten. Das hat aber auch schon bald nicht mehr ausgereicht. So hat man angefangen die Gletscherskigebiete zu beschneien. Weiter ging es mit einer flächendeckenden Beschneiung in den Skigebieten. Heutzutage ist der Skitourismus zu einem großen Teil vom Kunstschnee abhängig und damit auch äußerst schädlich für die gesamte Alpenregion.

Sie schätzen also insbesondere den Skitourismus als besonders umweltschädlich ein. Was sind die Gründe dafür?

Die Hauptgründe liegen auf der Hand: Schneekanonen verbrauchen Unmengen an Ressourcen. Dieser inakzeptable Verbrauch von Wasser und Energie ist eine Konterkarierung des Klimaschutzes. Trotzdem wird mit unheimlicher Brutalität weiter in den Wintertourismus investiert. Hier liefert man sich einen Wettbewerb, der seinesgleichen sucht. Sei es innerhalb eines Landes, sei es grenzüberschreitend, sei es zwischen den Alpenstaaten. Für mich ist das nur noch zum Kopfschütteln. Warum ist man nicht dazu bereit, andere Jahreszeiten zu stärken? Großinvestitionen fließen nach wie vor in einem großen Ausmaß in den Wintertourismus, ungeachtet der Zerstörung von Gebirgslandschaften. Dabei besteht in Österreich bereits an vielen Orten das Problem, dass die Skigebiete viel zu niedrig liegen und nur noch durch größten wirtschaftlichen und technischen Einsatz am Leben gehalten werden können. Daher frage ich mich, wieso die Politik nicht schon längst eingreift und warum die Tourismusbranche nicht endlich umdenkt, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. So werden auch nach wie vor zahlreiche Neuerschließungen zugelassen, die unter dem Vorwand genehmigt werden, dass es sich nur um Erweiterungen der Skigebiete handle. Für mich ist das Vordringen der Skigebiete in immer höhere Lagen wie in die Gletscherregionen außerdem ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Betreiber immer mehr Probleme bekommen.

Der Tourismus ist für etliche Regionen aber auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Was passiert Ihrer Meinung nach, wenn man nun auf den Skitourismus verzichten muss?

Wenn man sich für den Schutz und die nachhaltige Entwicklung der Alpen einsetzt, wird einem oft vorgeworfen, man sei grundsätzlich gegen den Tourismus. Problem ist allerdings nicht der Tourismus an sich, sondern vor allem die Intensität. Man hat sich natürlich in der Vergangenheit auf Gedeih und Verderb dieser Art von intensivem Tourismus ausgeliefert. Trotz deutlich sichtbaren Veränderungen durch den Klimawandel versuchen die Skigebiete im gesamten Konkurrenzkampf immer besser zu sein als der Nachbar. Die Skigebiete im Zillertal konkurrieren sich ja gegenseitig. Das ist für mich ein zerstörerischer Antrieb, noch mehr Gebiete mit Seilbahnen und Pisten zu erschließen, um noch größer und besser als das Nachbarskigebiet zu sein. Das Problem an der Sache: Man kann es sich nicht leisten, dass heutzutage die Einnahmen und Übernachtungen sinken. Im Zillertal kommt hinzu, dass das gesamte Tal oft nur noch im Stau steht. Das ist selbstverursacht, denn einerseits wird die Skitouristische Transportkapazität bei den Seilbahnen immer weiter erhöht und andererseits lockt man damit noch mehr Skifahrer mit dem PKW an und wundert sich dann über den unsäglichen Stau im Tal. Das betrifft dann nicht nur die Touristen, sondern auch noch die Einheimischen. Mit den halbherzigen Maßnahmen hinsichtlich des öffentlichen Personennahverkehrs konnten naturgemäß auch keine positiven Effekte erzielt werden. Man hat über die ganzen Jahrzehnte die Tourismusspirale laufend nach oben gedreht und geglaubt, dass man mit Umfahrungsstraßen und dem Bau des Brettfalltunnels am Eingang des Zillertals das Verkehrsproblem lösen kann. Damit hat man die Straße noch attraktiver gemacht und noch mehr Verkehr angezogen. Heute steht man hinsichtlich der Verkehrssituation im Zillertal vor einem Scherbenhaufen.

Gibt es denn heutzutage bereits alternative Tourismuskonzepte zum Wintersport?

Ja, es gibt viele alternative Konzepte. Zunächst muss man aber festhalten, dass der Skitourismus und vor allem die Skifahrerzahlen seit über 30 Jahren beständig zurückgehen. Man spricht zwar immer wieder von touristischen Rekordwintern, doch verschweigt sehr gerne, dass sich die Aufenthaltsdauer der Gäste in den letzten Jahren stark reduziert hat. Durchschnittlich bleiben die Gäste oft nur mehr 3,9 Tage. Zudem setzt man zumeist nur mehr auf Quantität anstatt auf Qualität, damit man keine kalten Betten hat. Das belegen vielerorts die billigen Übernachtungspreise der Hotels. Deshalb gibt es mit den Bergsteigerdörfern ein Projekt, das andere Wege einschlägt. Nicht alle Regionen haben die Möglichkeit, derartig hohe Investitionen in eine entsprechende Skiinfrastruktur vorzunehmen und sind oftmals auch von Schutzgebieten umgeben. Jedoch sollen auch diese Gebiete die Möglichkeit haben, eine andere Form des Tourismus entwickeln zu können. Mittlerweile gibt es 23 Regionen und Orte, die das Konzept der Bergsteigerdörfer als Chance erachten. Es gibt einfach immer mehr Menschen, die genug vom Wahnsinn auf den Skipisten haben und lieber etwas mehr Ruhe sowie Authentisches in ihrem Winterurlaub suchen. Damit verbinde ich zum Beispiel Skitouren gehen, Schneeschuhwandern oder auch einfach nur Winterwandern. Natürlich kann aber auch die Entspannung und das Kennenlernen von Kultur und Menschen eine Rolle spielen, sodass man sich wirklich erholen und anderen Interessen widmen kann. Hierbei sind auch Wildtierbeobachtungen oder sportliche Aktivitäten wie Eisklettern immer mehr im Kommen. Damit ist man auch nicht mehr so abhängig vom Skifahren. In den Bergsteigerdörfern geht man nämlich einfach wandern, wenn kein Schnee liegt. In den Tourismushochburgen bricht hingegen beinahe die Welt zusammen, wenn aufgrund des fehlenden Schnees das Skifahren nicht möglich ist. Diese Panikstimmung hat man in den letzten schneearmen Wintern sehr gut beobachten können. Ich persönlich bin zufriedener und glücklicher, wenn ich diese Flexibilität habe. Und es gibt immer mehr solche Regionen und Häuser, die auf ein solches Prinzip umstellen und sich nicht der große Tourismusmaschinerie anschließen.

Fahren Sie eigentlich selbst Ski?

Auf der Piste schon lange nicht mehr, ich bin ein reiner Skitourengeher. Als Kind bin ich Ski gefahren und in meiner Jugend auch Rennen. Damit habe ich aber völlig aufgehört. Ich wollte diesen Weg, den die gesamte Branche eingeschlagen hat, nicht mehr mitgehen. Ich konnte das durch die ganze Landschaftszerstörung nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren. Außerdem will ich im Urlaub einfach auch meine Ruhe haben und die Bergwelt genießen. Beim Skitourengehen ist alles viel entschleunigter, ruhiger und authentischer. Auch ist der Austausch mit Familien und Freunden dabei viel größer. Die Nachfrage nach einer Skitourenausrüstung ist in der letzten Zeit unglaublich gestiegen, wohingegen die nach Alpinausrüstung immer mehr abnimmt. Gerade viele junge Leute fangen heute direkt mit dem Skitourengehen an, nicht mehr mit dem alpinen Skilaufen. Früher galt man als Skitourengeher noch oft als „Hungerleider“, weil man sich das andere nicht leisten kann. Aber das stimmt ja nicht, denn unter den Skitourengehern ist ja ein hoher Anteil gut ausgebildeter Menschen mit guten Jobs, die genug Geld für Skipässe hätten, aber bewusst darauf verzichten wollen.

Glauben Sie, dass der Wintersport in den Alpen irgendwann komplett aussterben wird?

Komplett aussterben wird der Wintersport in den Alpen wohl nie. Ich gehe davon aus, dass die Beschneiung zukünftig immer weiter optimiert und dadurch die Abhängigkeit vom Wetter immer weiter reduziert wird. Man denkt in diesem Bereich einfach sehr kurzfristig und hält den Winterbetrieb solange es noch geht aufrecht. Gerade die Skigebiete in den niedrigeren Lagen wird es aber früher oder später zwangsläufig nicht mehr geben, weil sie irgendwann die Kosten des Skibetriebs nicht mehr tragen können. Schließlich muss ja heutzutage immer mehr Geld in eine teure Infrastruktur investiert werden. Außerdem nimmt die Länge der Skisaison aufgrund der immer kürzeren Winter nach und nach ab. Generell gehen die Zahlen an Skifahrern zurück, viele wachsen inzwischen komplett ohne Skifahren auf. Hierbei ist natürlich auch die Preisgestaltung ein Faktor, der gerade für Familien ausschlaggebend sein kann. Deshalb suchen sich viele Familien bereits jetzt Alternativen. Natürlich wird es aber auch weiterhin eine Klientel geben, die sich weiterhin das Skifahren leisten kann.

Das Interview führte Joschua Katz.


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