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Nachgefragt
06. September 2018

„Den Kohleausstieg endlich angehen“

Die Dekarbonisierung der Berliner Fernwärme ist ein ambitioniertes Vorhaben, Kohleenergie soll durch Erneuerbare ersetzt werden. Beim Mieterstrom ist Berlin Vorreiter, sagt der Grünen-Abgeordnete Stefan Taschner, während das Verfahren um die Stromnetz-Konzession stockt. Das könnte sich bald ändern.

Dr. Stefan Taschner, (Bündnis 90/Die Grünen), Sprecher für Energie, Radverkehr und Tierschutz im Berliner Abgeordnetenhaus

Dr. Stefan Taschner, (Bündnis 90/Die Grünen), Sprecher für Energie, Radverkehr und Tierschutz im Berliner Abgeordnetenhaus
Foto: Barbara Dietl

05.09.2018 – Stefan Taschner war Mitinitiator des Berliner Energietisches, er begleitete und prägte die Diskussionen um die zukünftige Energieversorgung Berlins.

Herr Taschner, die Konzession für das Berliner Stromnetz ist weiter in der Warteschleife. Wie ist der derzeitige Stand?

Am 25. September erwarten wir die zweite Entscheidung zum Eilverfahren, wobei die Bezeichnung Eilverfahren relativ ist. Immerhin betreibt Vattenfall seit rund vier Jahren das Berliner Stromnetz, ohne eine gültige Konzession zu haben. Wenn die erste Entscheidung vom Landgericht bestätigt wird, könnten wir in diesem Jahr bereits eine neue Konzession an einen Netzbetreiber vergeben. Die vorliegenden Angebote sind mit Sicherheit schon bewertet.

Allerdings kann Vattenfall gegen die Vergabe klagen – die Hängepartie ginge weiter.

Diese Möglichkeit sieht das geltende Verfahren vor, das will ich auch nicht in Frage stellen. Dieser lange Zeitraum von vielen Jahren stellt allerdings einen Mitbieter wie die Genossenschaft vor eine fast unlösbare Aufgabe, sich zu finanzieren. Die Genossenschaft Bürgerenergie wird dadurch ausgehungert. Für Vattenfall sind zwei Entscheidungen in naher Zukunft sehr wichtig: Die schwedische Reichstagswahl am 9. September, wo ein Regierungswechsel erwartet wird, und der mögliche Verkauf des Hamburger Fernwärmenetzes, das noch in diesem Jahr entschieden werden soll. Für den Konzern könnte das eine strategische Neuausrichtung bedeuten.

Welche Bedeutung hat das Stromnetz für die Gestaltung der Energiewende?

Das Stromnetz ist eine wichtige Stellschraube, die ich generell lieber in öffentlicher Hand sehen würde. Gerade in einer dezentral organisieren Stadt mit vielen Klein- und Kleinst-Erzeugungsanlagen. Für die Energiewende wäre es wichtig, dass ein Netzbetreiber nicht nur Dienst nach Vorschrift macht, sondern auch eine Schippe drauflegt und proaktiv auch Prosumer-Lösungen voranbringt.

Sie haben sich viele Jahre mit dem Klimawandel und Hochwassergefahren beschäftigt.  Was bedeuten Hitzewellen wie in diesem Sommer für eine Stadt wie Berlin?

Das verändert und sensibilisiert sicherlich das Bewusstsein der Leute. Die Frage ist nur, wie nachhaltig das wirkt, wenn der kommende Sommer wieder verregnet ist. Erst 2003 gab es die letzte große europaweite Hitzewelle mit Temperaturrekorden. Diese heißen Sommer zeigen aber eines: Der Klimawandel findet statt – und er betrifft jeden, nicht nur in Berlin. Wir müssen mehr tun.

Zeigt das verabschiedete Berliner Energiewendegesetz schon Wirkung?

Das Rahmengesetz ist sehr umfangreich. Das Herzstück ist das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm. Das Novum dabei: Zum ersten Mal wird ein Konzept von der letzten Legislaturperiode fortgesetzt. Diese schlechte Tradition durchbrechen wir nun endlich. Die Senatsverwaltung arbeitet an einem Umsetzungsplan, den wir in den nächsten Wochen erwarten. Klimaanpassungsmaßnahmen um den Hitzewellen zu trotzen, machen allerdings einen wichtigen Teil des Konzepts aus.

Gibt es weitere zentrale Punkte?

Die Einleitung des Kohleausstiegs muss endlich angegangen werden. Dazu zählt die Dekarbonisierung der Fernwärme, Künftig soll eine Umstellung von Kohle auf Erneuerbare Energien und möglichst nicht auf Gas erfolgen. die in Zusammenarbeit mit Vattenfall gut anläuft. Berlin verfügt immerhin über das größte Fernwärmenetz westlich von Warschau. Künftig soll eine Umstellung von Kohle auf Erneuerbare Energien und möglichst nicht auf Gas erfolgen. Bei diesem Thema besitzt Berlin durchaus eine Vorreiterrolle in Deutschland. Das könnte auch für andere Städte mit großen Fernwärmenetzen interessant sein, wie beispielsweise Hamburg, wo der Versorger bekanntlich ebenfalls aktiv ist.

Die Fläche in der Stadt ist sehr begrenzt. Wie soll der Ökostrom herkommen?

Richtig, Windkraftanlagen wird es in der Stadt nicht geben. Bei diesem Thema bietet sich eine Zusammenarbeit mit dem benachbarten Bundesland Brandenburg an. Aber mit Photovoltaik können nach Berechnungen des Berlin-Brandenburg Energy Network rund 70 Prozent des Haushaltstrombedarfs decken – bei einer Flächenausnutzung von einem Fünftel der geeigneten Dachflächen. Da tut sich gerade viel. Das Stadtwerk, aber auch die Berliner Energieagentur sowie die Gasag und Vattenfall treiben die Entwicklung voran. Beim Mieterstrom sind wir in Berlin derzeit bundesweit führend. Das Stadtwerk hat zudem ein Portal geründet, das helfen soll, zusammen mit Wohnungsbaugesellschaften grundsätzliche Fragen zu klären. Beispielsweise wurde ein einheitlicher Pachtvertrag erarbeitet und Dächer werden auf ihre Eignung und Tragfähigkeit überprüft. Das sind alles Vorarbeiten, die gemacht werden müssen. Zudem ist noch in diesem Monat ein Dialogtisch zum Thema Strom geplant, der alle Akteure zusammenbringen soll.

Sie haben die Zusammenarbeit mit Brandenburg angesprochen. Das Berliner Stadtwerk baut dort auch Windräder.

Besonders schön finde ich, dass neben dem klassischen finanziellen Beteiligungsmodel bei Windparks eine gesellschaftliche Komponente hinzukommt. Denn ein Teil der Gewinne soll für die kommunale Infrastruktur oder soziale Einrichtungen ausgeschüttet werden. Die Gesellschaft wird so insgesamt profitieren. Und das erhöht wiederum die Akzeptanz für die Energiewende insgesamt. Denn die Kohle ist ein sehr emotionales und identitätsstiftendes Thema in Brandenburg.

Sie müssen auch die Verkehrswende in Berlin vorantreiben. Was muss passieren?

Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) muss attraktiver werden für die Berliner. Ich selbst bin ein großer Fan der Mobilitätskette. Sprich, ich kombiniere den ÖPNV und das Fahrrad. Unsere Idee ist, eine einheitliche App für alle Anbieter zu schaffen: Car- und Bike-Sharing sowie ÖPNV. Das muss bequemer und günstiger werden, als das eigene Auto zu nutzen, das zudem wertvolle Flächen beim Parken in der Stadt blockiert. Der Zuwachs von Leihfahrrädern zeigt, dass der Gehweg nicht mehr ausreicht. Stattdessen sollten Fahrräder die Parkplatzfläche nutzen. Laut Straßenverkehrsordnung ist das erlaubt. Daher der Aufruf zum Parking Day am 21. September: Stellt eure Fahrräder auf die Autoparkplätze!

Was muss noch passieren, um die CO2-Emissionen auch im Verkehrssektor zu senken.

Die schnelle Ausschöpfung der Fördermittel für Lastenräder zeigt das große Interesse am Thema in der Stadt. Und das spiegelt auch das Straßenbild immer deutlicher. Ich würde mir nur wünschen, dass die Lieferdienste sich besser abstimmen und nicht hintereinander mit Transportern durch dieselbe Straße fahren. Auch wenn das aus Firmensicht nicht angestrebt wird. Jede Entlastung des Straßenverkehrs hilft.

Das Gespräch führte Niels H. Petersen


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