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Nachgefragt
06. Oktober 2020

„Denken im System - das ist der Ansatz, den wir brauchen“

Ende September fand in Berlin eines der wenigen Live-Events der Energiewelt statt. Nicht nur Corona-bedingt gibt es zu wenig Austausch zwischen Energiewendetreibern und anderen Akteuren, zum Beispiel mit den Netzbetreibern. Ins Gespräch auf Augenhöhe kommen – dafür treten Tina Barroso und Karl Heinz Remmers ein.

Tina Barroso ist Projektleiterin und Gastgeberin für das Forum Neue Energiewelt. Karl Heinz Remmers hat das Forum aus der Taufe gehoben und ist eine der streitbarsten Stimmen der Branche.

Tina Barroso ist Projektleiterin und Gastgeberin für das Forum Neue Energiewelt. Karl Heinz Remmers hat das Forum aus der Taufe gehoben und ist eine der streitbarsten Stimmen der Branche.
Karl Heinz Remmers und Tina Barroso
Foto: Conexio Expert

Sie haben Ende September eines der wenigen Live-Events in diesem Jahr auf die Beine gestellt. Wie fühlt sich das an?

Tina Barroso: Ich bin begeistert, dass wir es geschafft haben, unsere Branche bei einem Open-Air-Netzwerktreffen live zusammenzubringen. Wir haben gezeigt, dass „echte“ Events auch in dieser Zeit möglich sind, wenn man kreativ und seriös an die Sache herangeht. Wir haben in diesem Corona-Jahr schon früh auf digitale Angebote umgestellt. Diese werden auch gut angenommen, wobei jedes der Formate seine eigenen Vorteile hat. Aber mir ist erst beim Live-Event klargeworden, wie sehr ich den persönlichen Austausch vermisst habe.

Karl Heinz Remmers: Wenn man bedenkt, dass wir uns fast sechs Monate nicht mehr ohne digitale Hilfsmittel sehen konnten, ist das grade richtig überwältigend. Ich komme aus den Gesprächen gar nicht mehr heraus. Das zeigt mir, dass die Energiebranche nach wie vor den Austausch dringend nötig hat. Schön, so viele vertraute Gesichter zu sehen. Und schön, dass sich alle an die Hygiene- und Abstandsregeln halten – das gibt einem ein besonderes Gefühl der Verbundenheit und der Rücksichtnahme in dieser Community.

Welche Trends sind sichtbar in der Energiewirtschaft?

Karl Heinz Remmers: Wir erleben gerade eine massive globale Innovationswelle im Bereich Erneuerbare. Solar- und Windenergie sind nicht nur billig, sie werden auch immer leistungsfähiger. Als Treiber kommen Speichertechnologien und Elektroautos hinzu. Der Klimawandel und seine Gefahren sind in den Köpfen und Herzen der meisten angekommen – da wird sich in den nächsten Monaten noch viel tun. Natürlich geht das einigen Leuten gegen den Strich, die versuchen das zu bremsen oder kleinzureden.

Tina Barroso: Wasserstoff ist ein Top-Thema. Die meisten hier sind sich einig, dass die Technologie für die Praxis sehr schnell kommen und auch bleiben wird. Ein weiterer Trend, den wir in der Photovoltaik beobachten, ist das enorme Potential bei Freiflächenanlagen. Diese haben in letzter Zeit große Preissenkungen verzeichnet. Auch die politischen Entwicklungen sorgen für Diskussionen, zusammen mit der Frage, wie man mehr Solarenergie auf Gebäuden möglich machen kann. Dabei sprechen sich die meisten für eine Solarpflicht statt einer PV-Pflicht aus, da sie die Solarthermie miteinschließt.

Sind die konventionellen Energieversorger jetzt wirklich an Bord oder kommen von denen immer noch nur Lippenbekenntnisse?

Tina Barroso: Die Lippenbekenntnisse kommen eher aus der Politik. Wir sehen hier, dass die neuen grünen Geschäftsmodelle der großen Energieversorger funktionieren und gute Perspektiven haben. Sie schließen Allianzen mit Start-Ups, sind innovativ und weiten ihr Portfolio aus.

Karl Heinz Remmers: Die Frage, die uns hier umtreibt, ist: Wer bremst? Die Bereitschaft, auf Erneuerbare umzustellen, ist da – auch in der Industrie. Die Technologieentwicklung senkt die Preise, wir kommen stetig voran. Eine Einschätzung, die wir hier hören: Einige Parteien halten vor allem aus einem Grund an der Mär von der ewigen fossilen Energieversorgung fest – aus Angst vor der AfD, wenngleich auch diese regional zuweilen geschlossen für Erneuerbare-Energien-Projekte stimmt.

Wer setzt wertvolle Impulse und wie sehen die aus?

Karl Heinz Remmers: Einige Verbände wie der Bundesverband Neue Energiewirtschaft denken im System – das ist der Ansatz, den wir brauchen. Es zeigt sich aber auch, dass es noch nicht genügend Austausch mit den Leuten gibt, die dieses System machen. Zum Beispiel mit den Netzbetreibern.

Tina Barroso: Deswegen brauchen wir mehr Austausch auf Augenhöhe und echtes Interesse an den Projekten und Herausforderungen in verschiedenen Teilen der Branche. Und weiterhin Veranstaltungen, die verschiedene Akteure ins Gespräch bringen – zum Beispiel die Konferenz zukünftige Stromnetze im Januar hier in Berlin. Conexio wird als innovativer Veranstalter weiterhin herausstechen aus der Masse der digitalen Angebote und den Frontalvorträgen und einen Schwerpunkt auf genau diesen Austausch setzen. Nur so kommen wir voran.

Was waren die Themenhighlights beim Netzwerktreffen unter den Teilnehmern?

Tina Barroso: Corona betrifft uns alle, privat und beruflich. Das merkt man auch bei vielen Gesprächen hier im Festsaal Kreuzberg. Auch bei Conexio mussten wir uns schnell an die Einschränkungen anpassen. Dabei ist mir besonders aufgefallen, wie alles ineinander greift: den Unternehmen fehlen durch Corona die Plattformen für die Kommunikation mit den Kunden. Viele haben eigene Webinare auf die Beine gestellt, um ihre Botschaften zu transportieren. Das hat zu einem Überangebot an Werbe-Events ohne Tiefgang geführt und letztlich zu Ermüdungserscheinungen der Menschen im Zusammenhang mit digitalen Angeboten. Hier kommen wir mit Veranstalterkompetenz und Leidenschaft ins Spiel.

Karl Heinz Remmers: Wir brauchen Alternativen, um uns zu treffen und im Gespräch zu bleiben. Die Projekt-Pipelines müssen gefüllt werden, Lieferketten sind durcheinandergekommen. Andererseits gibt es nun die Möglichkeit, neue Dinge auszuprobieren, „out of the box“ zu denken, und wirklich disruptive Ideen zu diskutieren. Diese neue Flexibilität spürt man ganz deutlich hier. Ein bisschen Silicon-Valley-Entspannung hierzulande!

Wie schauen die Akteure zurück aufs vergangene Jahr?

Tina Barroso: Wir schauen nur nach vorne. Die Herausforderung haben wir angenommen, nun freue ich mich über jede Änderung, die uns Neues bringt. In der Branche ist es ähnlich: Wir sind stolz auf das, was wir bei den Erneuerbaren Energien erreicht haben. Aber wir blicken vorwärts: wie können wir die Energiepreise weiter senken? Wie schaffen wir einen kontinuierlichen Ausbau der Erneuerbaren, mit denen die Klimaziele dann auch wirklich erreicht werden können?

Und mit welchen Ambitionen, Hoffnungen und evtl. Sorgen gehen sie ins neue Jahr?

Karl Heinz Remmers: Die Politik wird sich nicht so schnell ändern, das zeigt leider der neue EEG-Entwurf. Viele können nicht verstehen, dass dieser Entwurf als freudige Verkündung inszeniert wurde, wenn er doch in der Praxis keinen wirklichen Fortschritt bringt, sondern nur weiteres Klein-Klein. Hier schwimmen wir noch immer als Branche gegen den Strom, was uns aber nicht davon abhält, dran zu bleiben. Es ist wie mit dem FC Bayern und Union Berlin: Wir sind der Underdog, aber wir verkriechen uns trotzdem nicht aus Angst vor dem Gegner in der Kabine. Sondern wir gehen raus auf den Platz und spielen. Und am Ende gewinnen wir.

Das Interview führte Petra Franke.

Das Forum Neue Energiewelt im November ist traditionell Anlass für einen Blick zurück auf das Jahr, die Entwicklungen in der Energiebranche und auf die Impulse und Ideen der Branche für eine neue Energiewirtschaft. In diesem Jahr ist alles etwas anders: Das Forum findet im Jahr 2020 zweigeteilt statt – eine Premiere. Im November zum gewohnten Termin wird das Forum digital ausgerichtet. Im September hat der Veranstalter Conexio einen Live-Event in Berlin auf die Beine gestellt, um den direkten Austausch bei milderem Wetter zu ermöglichen.


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