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Nachgefragt
07. Dezember 2020

"Der Globale Norden steht in der Verantwortung"

Für eine wirksame Klimafinanzierung fehle die moralische Verantwortung, prangert der Klimaphilosoph Darrel Moellendorf an. Und: wenn es einzig um die Reduzierung von CO2-Emissionen geht, sei Wachstum nicht das Problem.

Darrel Moellendorf ist Professor für Internationale Politische Theorie und Philosophie an der Goethe Universität in Frankfurt am Main

Darrel Moellendorf ist Professor für Internationale Politische Theorie und Philosophie an der Goethe Universität in Frankfurt am Main
Portraitfoto von Darrel Moellendorf. Ein Mann mit Dreitagbart und hellem Sommerhut
Foto: Ellen Nieß

Eigentlich haben die reichsten Länder beschlossen ab 2020 pro Jahr 100 Milliarden US-Dollar Hilfen für Klimaschutz und -anpassung an die ärmsten Länder dieser Welt zu zahlen, doch an der Umsetzung hapert es. Woran liegt das?

Für die reichen Staaten dieser Erde ist es wesentlich einfacher sich an den Klimawandel anzupassen und Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen. Zur Unterstützung der ärmeren Staaten müsste eine Mischung aus Altruismus, also selbstlose Denk- und Handlungsweise, sowie Gerechtigkeitsempfinden vorhanden sein. Aber diese Handlungsweisen und Empfindungen existieren leider zu wenig. Vielmehr könnte bei den reichen Staaten zunehmend die Angst einsetzen, dass die Klimakrise etwa in Form von Massenmigration vom Globalen Süden in den reichen Norden Einzug hält.

Staaten wie die USA, Ungarn und Polen begegnen der Migration bereits mit Abschottungspolitik.

Ja die Abschottung im Zuge von Nationalismus und Populismus ist ein großes Problem. Migration wie Klimawandel können nur in gemeinsamer internationaler Kooperation angegangen werden, um Lösungen zu finden. Doch leider gibt es diese starken politischen Tendenzen, Probleme nur innerstaatlich zu lösen, oder ihr Land wieder „Great again“ zu machen, wie ein Präsident sagte. Dabei besteht das Problem nicht nur in den Industriestaaten, auch ein Schwellenland wie Brasilien entzieht sich immer mehr der internationalen Kooperation. Das hat natürlich weitere negative Auswirkungen auf Klimaverhandlungen, indem auch andere Entwicklungs- und Schwellenländer weniger zum Klimaschutz beitragen wollen.

Dabei plädieren Sie für das Recht auf nachhaltige Entwicklung der Entwicklungsländer. Was meinen Sie damit?

Schon in den frühen 1990ern wurde das Recht auf nachhaltige Entwicklung in Verhandlungen der Vereinten Nationen festgehalten. Entwicklungsländer waren in Sorge, dass Anstrengungen für den Klimaschutz negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung haben. Wenn wir von menschlicher Entwicklung reden, sprechen wir nicht als allererstes über Geld und Einkommen, wir sprechen vor allem über bessere Bildung und Gesundheit der Bevölkerung. Aber egal wie wir Entwicklung definieren, sie geht einher mit einem steigenden Energiekonsum. Und die Sorge der Entwicklungsländer war bislang, dass Klimaschutz und Klimaanpassung zu steigenden Energiepreisen führt und damit ihre Entwicklung hemmt.

Inzwischen werden Erneuerbare Energien aber immer günstiger.

Ja, das gibt Anlass zur Hoffnung. Bisher war der Tenor, dass fossile Energien schneller und günstiger für mehr Energie sorgen und damit die menschliche Entwicklung vorantreiben. Doch mit den sinkenden Kosten für regenerativen Strom haben Entwicklungsländer die Chance, direkt in nachhaltige Energie zu investieren und, im Vergleich zu fossilem Strom, nicht auf Entwicklung verzichten zu müssen. Dabei müssen die reichen Staaten dieser Erde helfen, indem sie massiv investieren. Denn auch das ist ein wesentlicher Faktor des Rechts auf nachhaltige Entwicklung: Der Globale Norden steht in der Verantwortung, Klimaschutz und -anpassung sowie menschliche Entwicklung zu finanzieren. Bislang beruht die Klimafinanzierung jedoch auf Freiwilligkeit – was erst einmal wichtig war, damit überhaupt Verträge zustande kamen. Doch nun leisten die Staaten weniger als sie versprochen haben. Daher muss über neue Verbindlichkeiten nachgedacht werden. 

Für Klimaschutz fordern viele auch eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum. Wie sehen Sie das?

Ich bin skeptisch, dass dies der richtige Weg ist. Klar gibt es eine Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und steigenden Emissionen, wie wir bei der Finanzkrise 2008/09 gesehen haben. Und wir sehen es wieder in diesem Jahr, wo die Corona-Pandemie zu einem Einbruch der Wirtschaft und geringen CO2-Emissionen geführt hat. Doch nachdem die damalige Finanzkrise USA und Europa getroffen hat, wurden auch Entwicklungsländer sehr hart, ja zum Teil noch härter getroffen. Die Gründe dafür sind vielfältig. So konnten die Entwicklungsländer weniger in die USA und Europa exportieren, was zu Einnahmenverlusten führte. Auch arbeiten viele Menschen aus Entwicklungsländern im Globalen Norden und schicken Geld in ihre Heimat. Viele verloren ihre Arbeit. Das Geld in der Heimat blieb aus. Es ist nahezu unmöglich, in einer globalisierten Welt wie unserer in Deutschland eine Reduktion der wirtschaftlichen Aktivität zu fordern, ohne dabei negative Auswirkungen im globalen Süden in Kauf zu nehmen. Der Einbruch der Wirtschaft in der Finanzkrise hat zu einer vergleichsweise geringen Reduzierung der CO2-Emissionen gesorgt – im Vergleich zu den immensen wirtschaftlichen Schäden.

Wo sehen sie die Lösung?

Wenn wir unsere Wirtschaftsweise betrachten, müssen wir natürlich auch andere Missstände sozialer und ökologischer Art in den Fokus rücken und diese angehen. Aber wenn es einzig um die Reduzierung von CO2-Emissionen geht, ist Wachstum nicht das Problem. Vielmehr müssen wir unsere ökonomischen Aktivitäten von den CO2-Emissionen entkoppeln. Und da sind wir wieder bei den Erneuerbaren Energien sowie technologischem Fortschritt. Die Energiewende und Technik zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes muss radikal vorangetrieben werden.

Haben Sie Hoffnung, dass kommende Klimaverhandlungen den Weg für mehr Klimaschutz und eine gerechte nachhaltige Entwicklung ebnen?

Ja die habe ich. Aber vor allem weil sich außerhalb der politischen Verhandlungen viel bewegt. Neben dem sich verändernden Energiemarkt ist es vor allem der Aktivismus der meist jungen Menschen, der mir Hoffnung gibt. Auch die Coronakrise kann Dinge zum positiven verändern, wenn Menschen zum Beispiel weniger reisen oder die Entwicklung der Radinfrastruktur in vielen Städten vehement voranschreitet. Mit Hoffnung fokussieren wir uns speziell in schwierigen Zeiten darauf etwas zu erreichen. Wir würden auch nicht über Hoffnung sprechen, wenn wir nicht in Sorge wären, dass die Ergebnisse möglicherweise anders sind als von uns erhofft. Die Politik schreitet zu langsam voran und Menschen leiden bereits enorm unter dem Klimawandel. Doch ich habe die Hoffnung, dass die Bürger etwas erreichen können, wenn sie auf die Straße gehen und von der Politik mehr Klimaschutz und Gerechtigkeit einfordern. Und wenn sie sich und andere dazu bewegen, eine nachhaltigere Lebensweise zu beschreiten.  

Das Interview führte Manuel Först

 

Das Interview erschien ebenfalls in der neuen Ausgabe des energiezukunft-Magazins, mit dem Thema: Gerechter Wandel.


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