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Nachgefragt
17. Dezember 2015

„Desertec hoch zehn“

Weltweit müssen in den nächsten Jahren immer mehr Megacities mit Energie versorgt werden. Eine Stadt dieser Größe kann sich nicht allein mit Ökostrom versorgen – es fehlt an der nötigen Freifläche. Solarkraftwerke könnten einen Teil dieser Energie liefern, erläutert Prof. Hoffschmidt im Interview.

Prof. Hoffschmidt vor Solarspiegeln. (Foto: Peter Winandy)
Prof. Hoffschmidt vor Solarspiegeln. (Foto: Peter Winandy)

18.12.2015 – Durch einen eingebauten Speicher liefern Solarkraftwerke, kurz CSP, zuverlässig Strom und ergänzen Photovoltaikanlagen. CSP-Anlagen bündeln Sonnenstrahlen mithilfe von Linsen oder Spiegeln und produzieren an guten Standorten heute Strom für 10 Cent die Kilowattstunde, bis 2050 sogar für nur 5 Cent. Diese Zahlen ergeben sich aus der Studie „Flexibilitätskonzepte für die Stromversorgung 2050“ der Technik-Akademie Acatech von Mitte Dezember 2015. Professor Bernhard Hoffschmidt hat die CSP-Entwicklung für Acatech untersucht. Er ist Direktor des Instituts für Solarforschung vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Hauptsitz in Köln.

Herr Professor Hoffschmidt, glauben Sie noch an Desertec, die Vision, Wüstenstrom nach Europa zu bringen?
Die Idee kommt ursprünglich aus dem DLR. Der Begriff ist heute leider durch die Industrieinitiative Dii etwas in Verruf geraten, was schade ist. Hinter Desertec steckt der richtige Gedanke, nämlich dass Strom dort produziert wird, wo die Ressource ist – also im Sonnengürtel der Erde, wo es mehr Sonnenstunden gibt. Ich investiere genauso viel wie an einem Standort in Deutschland, aber es gibt in Nordafrika drei Mal mehr Sonneneinstrahlung. Mit Hochspannungsgleichstromleitungen ließe sich der Strom mit weniger als zehn Prozent Verlust zu uns transportieren. Wichtig dabei ist, dass zuerst der lokale Bedarf in den Ländern vor Ort gedeckt wird. Das steht außer Frage.

Aber ist eine dezentrale Versorgung nicht sinnvoller als eine mit Großkraftwerken?
Dazu müssen Sie sich die Bevölkerungsentwicklung weltweit anschauen. Es gibt einen Trend zu Megastädten mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. In den 70er Jahren gab es vier dieser Städte, heute sind es bereits 28 Megastädte, die im Schnitt um 300.000 Menschen pro Jahr wachsen. Keine dieser Megastädte kann sich dezentral selbst versorgen. Es muss also, weltweit betrachtet, weiter zentrale Kraftwerke geben und deren Energie muss in die Städte transportiert werden. Das, könnte man sagen, ist Desertec hoch zehn.

Welche Wirkungsgrade erreichen CSP-Anlagen?
Ihr mittlerer jährlicher Wirkungsgrad liegt derzeit zwischen 15 bis 17 Prozent. Bis 2050 soll der Wirkungsgrad auf 19 bis 22 Prozent gesteigert werden. Ein Verlust in Höhe von 30 Prozent durch einen nicht optimalen Einstrahlungswinkel der Sonne, der bei Angaben zum Wirkungsgrad von Photovoltaik nicht mitgerechnet wird, ist bereits berücksichtigt. Die Effizienz gilt dabei sowohl für die Parabolrinnen- als auch die Turm-Technologie. Allerdings haben Solartürme das höhere Potenzial, denn es kommt noch mehr auf die Stromgestehungskosten an. Am Ende ist entscheidend, was die Kilowattstunde kostet.

Wie günstig kann CSP-Strom künftig hergestellt werden?
Die Antwort hängt stark vom Standort und dessen Sonnenstunden pro Jahr ab. Zwischen 10 und 16 Cent pro Kilowatt kostet der CSP-Sonnenstrom heute, aber 2050 wird der Solarstrom nur noch zwischen 5 bis 8 Cent liegen. Die günstigste Kilowattstunde wird an sehr guten Standorten erzielt – wie etwa in der chilenischen Atacama-Wüste oder der Mojave-Wüste im Westen der USA. In CSP-Anlagen in Südspanien oder Nordmarokko liegen die Kosten derzeit bei rund 16 Cent.

Was spricht für die Technik mit Parabolrinnen?
In Spanien haben diese Anlagen schon einen hohen Standard erreicht. Durch die Rohre fließt Thermoöl mit rund 400 Grad Celsius. Damit werden die Kraftwerke für Banken finanzierbar, weil die Technik seit den 80er im Einsatz ist und bis heute läuft. Die Bank weiß, dass die Technik funktioniert. Bei Turmkraftwerken fehlen diese Erfahrungswerte über Jahrzehnte.

Steht die CSP-Technologie mit Parabolrinnen in Konkurrenz zum Solarturm?
Beide Technologien werden künftig gebaut werden, weil sie unterschiedliche Vor- und Nachteile haben. Eine einzelne Anlage mit Spiegelrinnen ist einfacher zu skalieren. Bei einer einzelnen Turmanlage ist die Leistung hingegen bei 100 bis 150 Megawatt begrenzt. Dann der Transportweg für die reflektierten Strahlen in der unteren Atmosphäre: Während es bei Parabolrinnen bis zu vier Metern sind, legen die Strahlen bis zum Receiver im oberen Solarturm gut 500 bis 1.000 Meter zurück. Wenn nun viel Dunst und Staub in der Luft liegt, sinkt der Ertrag. Ein Vorteil des Turms ist jedoch, dass er auch auf hügeligen Böden stehen kann. Spiegelrinnen brauchen nahezu eine Ebene. Für ihren Aufbau muss der Boden häufig planiert und damit stark in die Landschaft eingegriffen werden. Auch ein späterer Rückbau eines Turms ist somit einfacher.

Mit welchen Partnern arbeitet das DLR an internationalen Solarprojekten?
Wir kooperieren für die Solartechnologie mit internationalen Partnern, unter anderem in Marokko, Saudi-Arabien, Indien und den USA. Das DLR baut allerdings Anlagen nicht selbst, sondern steht als Berater bereit. Unsere Wissenschaftler arbeiten auch für Betreiber, um Anlagen zu verbessern. Oder wir schreiben Gutachten für Finanzierer, wie die Staatsbank KfW, damit die versprochene Stromerzeugung einer Anlage auch erreicht wird.

Wo sehen Sie die Stellschrauben, um Solarenergie künftig günstiger zu erzeugen?
Ein wichtiger Faktor ist der Skaleneffekt, der bei jeder Wärmekraftmaschine auftritt. Je größer, desto effizienter. Zudem gilt die Faustregel, dass ein Bauteil, das mehr als eine Million Mal gebaut wird, nur noch rund die Hälfte kostet. Dafür ist eine Standardisierung der Technik erforderlich. Erst dann werden Firmen weltweit vermehrt in die Technologie einsteigen.

Woran arbeiten Sie derzeit?
Wir Forscher suchen immer nach Wegen, die Prozesstemperatur zu erhöhen. Denn eine höhere Temperatur erhöht die Effizienz. Dafür müssen die Strahlen stärker konzentriert werden. Ein höherer Wirkungsgrad verringert zudem die nötige Spiegelfläche, um eine Kilowattstunde zu erzeugen. Und das spart wiederum Platz und Investitionskosten. Eine Salzschmelze, die anstelle von Thermoöl durch die Parabolrinnen fließt, erhöht die Temperatur von 400 auf 550 Grad Celsius. Das steigert den Wirkungsgrad einer erprobten Technik. Metallschmelzen haben ebenfalls gute Chancen, die Anlagen effizienter zu machen. Sie erfordern allerdings noch weitere Forschung. Sogenannte Partikel, kleine Kügelchen aus keramischem Material oder Bauxiten, sind für Solartürme eine aussichtsreiche Option.

Beanspruchen höhere Temperaturen nicht das verwendete Material stärker?
Nicht unbedingt. Forscher entwickeln für diese Abnutzung neue Materialien. Das macht aber nur Sinn, wenn die Kosten für die Hochtemperaturmaterialien nicht stärker steigen, als der Ertrag aus einem höheren Wirkungsgrad. Der Receiver im Solarturm in Jülich erreicht mit heißer Luft heute schon 700 Grad. Bei einer Salzschmelze liegt der Standard derzeit bei 565 Grad, gut 580 Grad schätze ich künftig als machbar ein.

Die Photovoltaik ist in den vergangenen zehn Jahren dramatisch günstiger geworden. Werden CSP-Anlagen trotzdem gebraucht?
Ja, denn sie können grundlastfähigen Strom liefern, wenn mal eine Wolke die Sonne verdeckt. Bei Atacama I in Chile steht eine CSP- neben einer Photovoltaikanlage, damit sie zusammen die Anforderungen des Netzbetreibers erfüllen. Die CSP-Anlage lädt, wenn die Photovoltaikanlage Strom produziert, entsprechend ihren Speicher auf. Bei CSP ist der Speicher bereits mit eingebaut. Überraschend dabei ist: Die Stromgestehungskosten dieser Anlagen sind mit einem Speicher sogar niedriger als ohne. Denn die Anlage läuft mit einem Speicher beispielsweise nicht mehr 2.500 sondern 4.000 Stunden pro Jahr – eine Steigerung von 75 Prozent mehr Kilowattstunden. Damit produziert sie fast jede zweite Stunde Strom.

Ein CSP-Kraftwerk steht also für Versorgungssicherheit?
So ist es. Und aus einem CSP-Kraftwerk wird durch einen zusätzlichen Brenner schnell ein konventionelles Kraftwerk, das immer Strom liefern kann. Dafür fallen nur geringe zusätzliche Kosten an. Wenn die Anlage also einen kleinen Teil fossil verfeuern darf, steigt die Versorgungssicherheit noch einmal enorm an.

Das Interview führte Niels Hendrik Petersen.


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